Viren und Personalmangel: Kinderkliniken in Deutschland am Limit

Die Corona-Maßnahmen sind weitestgehend abgeschafft und andere Viren greifen wieder um sich. Gerade die Kleinsten der Gesellschaft trifft es aktuell mit voller Wucht: Überlastete Kinderkliniken können oft keine kranken Kinder mehr aufnehmen.

Deutschlandweit schlagen Kinderärzt*innen Alarm: Die Kinderkliniken sind mit ihren Kapazitäten am Ende. Kranke Kinder müssen mehrere Stunden in Notaufnahmen warten oder an andere Krankenhäuser weitergeleitet werden. Grund für die aktuelle Krise ist eine starke Infektwelle von Atemwegsinfektionen wie der Grippe oder auch dem RS-Virus.

Durch die Maskenpflicht und die Corona-Lockdowns kommen viele Kinder erst im Kindergartenalter mit den Viren in Berührung. Ihr Immunsystem kennt die Erreger daher noch nicht. Es kommt zu einer Häufung von schweren Erkrankungen, die gerade bei Neugeborenen mit Vorerkrankungen lebensgefährlich sein können. Die Kombination aus sehr jungen Kindern und Kindern, die erst später mit den Viren in Kontakt kommen, sorgt für eine Infektwelle, die deutlich größer ist als gewöhnlich.

Sparen und Personalmangel in der Jugendmedizin

Seit 1990 ist die Anzahl der Krankenhaus-Betten laut dem Statistischen Bundesamt zufolge massiv gesunken. Sparmaßnahmen, die im Gesundheitssektor seit Jahrzehnten einen immer größeren Einfluss haben, trafen besonders die Kindermedizin: Viele Kinderkliniken seien schlichtweg wirtschaftlich nicht rentabel und würden durchweg rote Zahlen schreiben. Als Grund dafür nennen viele Expert*innen die Fallpauschalen. Da die Kinderkliniken sämtliches Equipment sowie spezielles Personal bereithalten müssen und die Zahl an Behandlungsfällen gering ist, machen die Kinderkliniken oft Verluste. Hinzu kommt ein gravierender Personalmangel. „Pflegekräfte von Erwachsenenstationen können nicht einfach auf Kinderstationen eingesetzt werden, da die Kinderheilkunde ein sehr sensibler Bereich ist“, sagt Henriette Neumeyer, Vizevorstandschefin der deutschen Krankenhausgesellschaft.

Prof. Dr. Thomas Lücke, Leiter der Klinik für Kinder und Jugendmedizin am St. Josefs Hospital Bochum, betont, dass die Kinderklinik um 30 Prozent überbelegt sei. Deutschlandweit sieht die Lage nicht anders aus. Laut einer Umfrage der deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin aus dem November 2022 hatten 42,7 Prozent von 110 befragten Intensivstationen in den Kinderkliniken kein einziges Bett mehr frei. 40 Prozent hatten genau ein Intensiv-Bett frei.

Auch Dortmunder Kinderklinik steht unter hohem Druck

Im Klinikum Dortmund ist die Lage ebenfalls weiterhin angespannt. Prof. Dr. Dominik Schneider, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, berichtet zu Jahresbeginn von einer etwas entspannteren Personalsituation als vor Weihnachten: „Die Stationen, besonders die Kinderonkologie sind immer noch ziemlich voll. Jedoch haben wir nicht einen so hohen Krankenstand wie im Dezember.“ Der Mangel an Pflegekräften sei aber immer noch gravierend. „In den letzten Jahren wurden immer mehr Ausbildungsplätze in der Kinderkrankenpflege abgebaut.“ All das führe laut Schneider dazu, dass auch Kinder in schweren Infektwellen wegen fehlenden Kinderkrankenpflegepersonals abgelehnt werden müssten. Allein die Kinderklinik in Dortmund hat im letzten Jahr bereits etwa 200 Kinder abweisen müssen. Diese sind dann in anderen Kliniken untergekommen. Somit fallen vor allem für Angehörige lange Anfahrtswege an.

Außerdem werden für die Verlegungen Rettungsmittel in Anspruch genommen. Das sei problematisch, da bei einem Notfall eventuell Rettungsmittel von anderen Stationen angefordert werden müssten und die dann zum Einsatzort mehr Zeit benötigen. Auch werden Kinder zwischen den Kliniken verlegt, was ebenfalls Personal beansprucht. Das fehlt dann im lokalen Rettungsdienst oder in den Kliniken. Teilweise müssen Kinder sogar bis in Kliniken nach Oberhausen oder Minden in Ostwestfalen verlegt werden, erklärt Schneider. Der Chefarzt betont dabei jedoch die gute Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern: „Wir unterstützen uns immer gegenseitig. Wenn andere Kliniken Kapazitäten frei haben, nehmen diese Kinder von uns auf. Umgekehrt genauso: Haben wir Kapazitäten frei, nehmen wir Kinder aus anderen Kliniken auf.“

Hoffnung hat der Chef der Dortmunder Kinderklinik, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist, in die neuen Vorschläge der Expertenkommission: Diese hat einen Drei-Stufen-Plan vorgeschlagen, sowie eine stärkere Berücksichtigung der Vorhaltekosten. Dabei sind Vorhaltekosten Kosten, die durch das Erstellen und Bereithalten von beispielsweise Betten oder Geräten verursacht werden. Zudem sollen bereits in diesem Jahr über 300 Millionen Euro an die Kinderklinken erteilt werden. Das sei ein erster Tropfen auf den heißen Stein. Damit sollen die Kinderkliniken wieder mehr in den Fokus der Finanzierung rücken.

 

Beitragsbild: stock.adobe.com/sudok1

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1 Kommentare

  1. says: Sean Klaas

    Guten Tag Herr Finsterbusch,

    Zur Kindermedizin: In der Pädiatrie kommen zum Glück Erkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle extrem selten vor. Trotzdem müssen Geräte und auch spezielles Personal (zum Beispiel Neuropädiater und Pflegefachpersonal) bereitstehen. Alles das kostet natürlich viel Geld. Die Fälle reichen dann meistens nicht aus, um diese Geräte etc zu finanzieren. Die Gesundheit des Menschen sollte meiner Meinung nach unabhängig der Altersklasse an Nummer 1 stehen. Dazu bedarf es nicht nur Reformen in der Pädiatrie, sondern man sollte auch über Reformen des gesamten Gesundheitssystems nachdenken. Erste Ansatzpunkte könnten neue Krankenhauspläne sein, damit sich die verschiedenen Kliniken auf spezielle Fachgebiete fokussieren um den wirtschaftlichen Druck raus zu nehmen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Sean Klaas

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