Höher, schneller, weiter: Ungebremstes Wachstum gilt nicht nur als Motor der Wirtschaft, sondern auch als Treiber der Klimakrise. Die Degrowth-Bewegung möchte das System daher grundlegend umwälzen – und fordert drastische Einschränkungen.
Wachstum gibt es überall – die Natur macht es vor: Ein winziger Samen kämpft sich als Spross aus der Erde, streckt seine Blätter immer weiter dem Sonnenlicht entgegen und drückt seine Wurzeln tiefer und tiefer in den Boden. Blühen, gedeihen, reifen – und verwelken: Es gibt biologische Grenzen, die das Wachstum nicht überschreitet.
Ähnlich ist es bei der Wirtschaft. Neue Unternehmen sprießen aus dem Boden, vielfältige Produkte verströmen ihren Duft und Länder verzweigen sich auf der ganzen Welt für gemeinsamen Handel. Die Politik achtet auf das Gleichgewicht, während Banken die Märkte mit Geld versorgen.
Wirtschaftswachstum ohne Grenzen „funktioniert nicht“
Der gravierende Unterschied: Die Wirtschaft wächst ohne Grenzen. Das BIP muss permanent steigen – so lautet das Ziel der meisten Staaten. Doch genau das „funktioniert nicht, weil wir in einer Welt mit begrenzten Ressourcen leben“, sagt Mascha Schädlich vom Konzeptwerk Neue Ökonomie. Mit dem Verein setzt sie sich für einen grundlegenden Wandel unseres jetzigen Systems zu einem neuen Modell ein – eine sogenannte Degrowth-Gesellschaft.
Und die sähe für sie so aus: Reiche zahlen deutlich mehr Steuern, Autos verschwinden aus den Innenstädten und die wöchentlichen Arbeitszeiten sinken auf 28 Stunden – ein kräftiger Tritt auf die Bremse also. Das Ziel: „Statt wirtschaftlichen Profiten muss der Erhalt unserer Lebensgrundlagen in den Fokus rücken“, sagt Schädlich. Gerichtet sei das Konzept vorrangig an den „globalen Norden“, der nach ihrer Ansicht über seine Verhältnisse lebe. Doch dies müssten die Menschen erst verstehen. Denn aktuell seien wir praktisch gezwungen, ständig zu wachsen.
„Imperiale Lebensweise“ zwingt uns, zu wachsen
Werbung verführe uns nämlich pausenlos zum Konsum, Produkte würden schneller verfallen als nötig, Firmen müssten immer weiter Gewinne machen – so beschreibt Schädlich das Dilemma unserer „imperialen Lebensweise“. Und die basiere vor allem auf Ausbeutung: „Ressourcen werden pauschal gesagt in Südamerika abgebaut, in Asien verarbeitet, in Europa konsumiert und in Afrika entsorgt“, führt Schädlich fort. Eine Kette, die von prekären Arbeitsbedingungen und gewaltigen CO2-Emissionen geprägt sei.
Das Kernproblem: Nach wie vor stützt sich ein Großteil der globalen Wirtschaft vorrangig auf fossile Energien. So gehen Wachstum und Klimawandel Hand in Hand, zeigt die Entwicklung des BIP und der CO2-Emmissionen. Diesen „engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Aktivität und negativen Umweltfolgen“ bestätigt auch Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Für die Energieökonomin ist daher klar: „Das bisherige Modell stößt an ökologische Grenzen, wodurch eine Transformation unausweichlich wird.“ Doch ist Degrowth dazu der richtige Weg? Kemfert warnt, dass „soziale Sicherungssysteme auf fortwährendem Wachstum“ basieren. Auch die Entwicklung strukturschwacher Regionen könne auf der Strecke bleiben. Wirtschaft schrumpfen und Wohlergehen erhalten – aus ihrer Sicht wäre das eine „gewaltige Aufgabe“.
Entkopplung statt Degrowth
Doch mit diesem Problem beschäftigt sich die Politik derweil noch nicht. Statt Degrowth soll der Weg zur großen Transformation nämlich ein anderer sein: Entkopplung. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien und technologischen Fortschritt soll die Wirtschaft weiter wachsen – ohne dabei die Umwelt zu zerstören. Das Ziel: „Klimaneutraler Wohlstand“, wie es im Koalitionsvertrag heißt.
Kemfert hält dies zwar für möglich, betont jedoch: „Diese Strategie allein reicht nicht aus, um die planetaren Grenzen und Klimaziele einzuhalten.“ Mit Blick auf die drängende Zeit sei es somit „nicht ratsam, auf ein ‚Weiter so‘ mit der Hoffnung auf Entkopplung zu setzen.“ Daher führe kein Weg daran vorbei, über mehr Alternativen zu sprechen. Eine davon sei, Stoffströme und Emissionen zu reduzieren. Heißt: Die beschriebene Kette vom Abbau bis zur Entsorgung von Rohstoffen müsste sich grundlegend verändern.
Mehr Offenheit für neue Ansätze – das wünscht sich auch Degrowth-Verfechterin Mascha Schädlich. Ihr Appell: „Wir müssen uns in Zukunft mehr mit Utopien beschäftigen.“ Auch Degrowth sei am Ende nämlich „keine Idee, die von oben durchgesetzt wird“, sondern eine, die von allen verinnerlicht werden müsse.
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