Von Mittwoch bis Samstag lief im Industriegebiet in Dortmund-Wischlingen der Kampf um die verrücktesten und beliebtesten Stücke aus dem Kostümfundus des Theaters Dortmund. Wer hier ein heiß begehrtes Teil ergattern wollte, der musste vor allem eins mitbringen: Zeit!
Die Schlange der Besucher reicht fast die ganze Straße entlang. Hunderte von Menschen stehen und warten. Aber die meist bunt und experimentell gekleideten Leute warten nicht fast zwei Stunden lang auf ein Autogramm von Marco Reus, sondern wollen in die heiligen Industriehallen des Dortmunder Theaters.
Von Mittwoch bis Samstag wurden hier sämtliche Kleidungsstücke und Accessoires für kleines Geld angeboten, die für Vorstellungen wie Carmen oder La Traviata wirklich auf der Bühne getragen wurden. „Das ist wie bei jedem im Kleiderschrank, dass man da auch mal entmisten muss und sich trennen muss, weil man zu dick geworden ist oder weil die Saison zu Ende ist“, vergleicht Marianne Rickert, die Initiatorin des Verkaufs, die Aktion. Mit der Ausnahme, dass der „Kleiderschrank“ hier natürlich ein XXL-Format hat.
Jedes Jahr kommen zehn neue Stücke an die Oper, an das Schauspielhaus oder an das Kinder- und Jugendtheater. Da ist horten gar keine gute Idee. Auch auf die Erzfeinde der Kleidungsstücke, die Motten, muss geachtet werden. Und klar, geht der Überblick bei viel Produktion schnell mal verloren. „Es kommt ja immer wieder neues nach, also von daher muss man sich auch mal trennen, auch wenn es manche Sachen gibt, bei denen es schwer fällt“, gibt Marianne Rickert zu.
Die 56-Jährige ist die ganze Zeit im Stress. Zeit zum Durchatmen bleibt da kaum. Da beißt sie gerade genüsslich in ihr Brötchen, schon kommt die nächste Kundin und fragt nach einem Preisnachlass auf zwei aufwendig gearbeitete Kleider. Zum zweiten Mal findet die Aktion in den Industriehallen in Wischlingen statt und zum sechsten Mal insgesamt. Zuvor war die Oper Dortmund Schauplatz dieses Spektakels, doch dort ist es leider zu klein geworden.
Von Sparfuchs bis extravagant
Und nicht nur die Fläche der Industriehalle ist riesig. Auch die Vielfalt der schätzungsweise 10.000 gebotenen Kostüme ist scheinbar endlos. Von Ballettschuhen über Gruselkostüme mit angenähten Babyfiguren geht hier niemand ohne ein neu liebgewonnenes Lieblingsstück. Überall sind Kleiderstangen mit sortierten Klamotten und Schränke, in denen Haufen von Taschen und Kopfbedeckungen lagern.
Der Flair wird unterstrichen von dieser ganz besonderen Theaterluft. Ein Geruch aus alten Stoffen, bei denen man ins Träumen kommt, wenn man sie nach Jahren auf dem Speicher wiederfindet. Nicht unangenehm, sondern inspirierend.
Diese Luft ist der ständige Begleiter und umgibt die Besucher, während die verschiedenen Stoffe durch hunderte Finger gleiten. Wer etwas gefunden hat muss nach einem bunten Pappschild an den Klamotten suchen. In der gesamten Halle hängen Tabellen aus, auf denen man sich schlau machen kann, wie viel jedes Stück kostet. Taschen, Schürzen und manches Oberteil staubt man hier schon für einen Euro ab. „Das teuerste Kleidungsstück ist ein Kleid für 180€, das hält sich dieses Mal in Grenzen”, sagt Marianna Rieckert.
Vintage-Kleidung besonders bei Studenten beliebt
Viele der Besucher sind Studenten aus dem Ruhrgebiet, wie Kathrin Hüing. Die 24-jährige studiert an der TU Dortmund Angewandte Literatur- und Kulturwissenschaften und stand über eine Stunde lang an, um durch Hüte, Westen und Co. zu stöbern.
Sie wird schnell fündig. Ihre Wahl fällt auf eine Art schwarze Zirkusweste. „Im letzten Jahr hab ich die Veranstaltung verpasst und dieses Jahr wollte ich unbedingt hierhin.“, schwärmt die Studentin.
Auf Facebook hatte sie die Veranstaltung entdeckt und sich – bei den ganzen Likes – schon auf einen Ansturm eingestellt. Nachdem sie es endlich rein geschafft hatte, heißt es für sie nun „Auf die Plätze, fertig, stöbern!“, wie für hunderte andere Besucher.
Zu denen zählt auch Cosplay-Künstlerin Sophia La Faye, wie sie sich selbst nennt. Neben dem Cosplayen studiert die 24-Jährige Literatur in Bochum, aber hier kann sie in die mittelalterliche Welt eintauchen, die sie sonst nur aus Büchern kennt.
Ein Eldorado für Fashion Victims
Dieses Mal wird es ein langes, aufwendig gearbeitetes Kleid. „Das trage ich dann auf Events, wie einem viktorianischen Picknick“, sagt sie, während eine Theatermitarbeiterin ihr das Kleid am Rücken zuschnürt. Es ist nicht ihr letzter Kauf. Voll gepackt mit verschiedensten Artikeln verlässt sie später freudestrahlend die Hallen.
Was mit den Kostümen passiert, die es nicht in ein neues Zuhause geschafft haben, weiß Initiatorin Marianne Rickert noch nicht. „Manche werden umgeändert zu ganz neuen Kostümen, aber wir hoffen natürlich jedes Mal, dass möglichst wenig übrig bleibt“, sagt sie, während eine weitere Kundin nach einem Komplettpreis für zwei Kleidungsstücke fragt.
Wer auch Lust auf Buntes und Besonderes hat, der kann sich die Kostüme für den nächsten Verkauf schon einmal in den Vorstellungen des Theaters Dortmund anschauen. Die hängen dann beim nächsten Mal auf den Kleiderstangen und warten auf neue Besitzer.
Fotos: Malin Annika Miechowski