Bärbel Röttger war 20 Jahre alt, als sie die Diagnose bekam: Glomerulonephriptis, eine chronische Nierenentzündung. “Seitdem habe ich immer davon geträumt, eine neue Niere zu bekommen”, sagt die 60-Jährige heute. Zunächst konnte sie viele Jahre mit ihrer Krankheit leben, nach etwa fünf Jahren Dialyse kam sie im Dezember 2017 auf die Transplantationsliste. Und schon wenige Monate später, am 18. April 2018, der Anruf: Es gab eine passende Niere für sie, die Gewebemerkmale stimmten. “Praktisch hab’ ich so viel Glück gehabt, als wär’ meine Zwillingsschwester gestorben”, sagt Röttger.
Inzwischen hat ihr Körper die neue Niere gut angenommen: “Seit dem 1. April bin ich gesundgeschrieben und versuche jetzt, wieder Arbeit zu finden.” Aber nicht alle haben so viel Glück wie Bärbel Röttger. Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) warten in Deutschland aktuell etwa 9.400 Menschen auf ein neues Organ.
Für die meisten von ihnen findet sich aber kein geeigneter Spender: Im vergangenen Jahr gab es nur 955 Spender. Um das zu ändern, ist Anfang April eine Änderung des Transplantationsgesetzes in Kraft getreten. Das Ziel: Mehr Geld und mehr Zeit für Organtransplantationen in den Kliniken.
Neben der Organisation von Transplantationen ist die Bereitschaft zur Organspende ein Grund für die geringe Zahl der Spender. Obwohl die große Mehrheit der Deutschen die Organspende positiv sieht, haben nur 36 Prozent einen Organspendeausweis, so eine repräsentative Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bärbel Röttger sagt, sie könne verstehen, wenn jemand keine Organe spenden wolle. “Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, wie man denken würde, wenn man selber in der Situation wäre.”
Röttger sieht das Problem auch darin, dass sich viele einfach nicht gerne mit dem eigenen Tod beschäftigen möchten und deshalb keine Entscheidung zur Organspende treffen. Darüber, dass sich das ändern muss, sind sich die meisten Politiker einig. Aber auf welchem Weg? Zwei Vorschläge sind in der Diskussion:
Vorschlag 1: Die doppelte Widerspruchslösung
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat am Montag, 1. April, den Gesetzesentwurf vorgestellt, den er zusammen mit einigen Politikern auch aus anderen Parteien erarbeitet hat. Nach diesem Entwurf müsste jeder aktiv widersprechen, Organspender zu sein. So müssten sich alle mit dem Thema auseinandersetzen und für sich eine persönliche Entscheidung treffen.
Wer nicht widerspricht, wäre dann automatisch Spender. Doppelte Widerspruchslösung, weil auch nach dem Hirntod im Zweifel noch einmal die Angehörigen gefragt werden, ob sie der Organspende widersprechen wollen.
Kritiker sagen, dass ein solches Gesetz die Grundrechte einschränken würde. “Schweigen heißt nicht Zustimmung”, meint Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz in einer Pressemitteilung. Das Geschenk der Organspende sei nicht “mit der Brechstange zu erzwingen.”
Vorschlag 2: Freiwillige Zustimmung und Spenderregister
Kritische Stimmen gibt es auch von anderen Bundespolitikern. Eine parteiübergreifende Gruppe um Annalena Baerbock (Bundesvorsitzende Bündnis 90/die Grünen) möchte deswegen ein anderes Modell durchbringen.
Die Entscheidung für eine Organspende soll weiterhin freiwillig sein, jedoch bei allen Menschen mehrmals im Leben abgefragt und dann in ein Spenderregister eingetragen werden. Das könnte zum Beispiel mit dem Antrag auf einen neuen Personalausweis kombiniert werden – denn dafür muss schließlich jeder spätestens alle zehn Jahre zu Behörden gehen.
“Ich bin natürlich für die die Widerspruchslösung”, sagt Röttger. Auch hier gebe es keinen richtigen Zwang – noch immer könne jeder selbst entscheiden, keine Organe spenden zu wollen. Aber es gebe eben den Zwang, sich zumindest mit dem Thema zu beschäftigen. Und die Entscheidung nicht auf Angehörige abzuwälzen, die dann in einer Extremsituation noch zusätzlich belastet würden.
Man kann viel eher in die Lage kommen, ein Organ zu brauchen, als eins zu spenden.
Außerdem sagt sie: “Man kann viel eher in die Lage kommen, ein Organ zu brauchen, als eins zu spenden.” In ihrer Nachbarschaft habe mittlerweile fast jeder einen Spenderausweis, die ganze Verwandtschaft sowieso. “Warum sollen Organe verwesen oder verbrannt werden, wenn damit andere Leute leben können?”, meint Röttger.
Das Leben mit der neuen Niere ist noch immer nicht vergleichbar mit dem eines völlig gesunden Menschen. “Natürlich weiß man, dass man nach der Transplantation nicht im Himmel lebt, dass man sehr starke Medikamente nehmen muss, mit sehr großen Nebenwirkungen”, sagt Bärbel Röttger. Sie trifft sich regelmäßig in einer Selbsthilfegruppe mit anderen, die auch ein Spenderorgan bekommen haben.
Die Angst als ständiger Begleiter
Eine große Belastung ist für Röttger die Angst, dass die Spenderniere doch irgendwann aufhören könnte, zu funktionieren, dass sie Abstoßungsreaktionen zeige, oder dass sie sich trotz ständigen Händewaschens Keime einfange. “Das kann jeden Tag passieren.” Deswegen spreche Röttger auch regelmäßig mit einem Psychotherapeuten.
“Ich würde immer empfehlen, sich anderen Leuten anzuschließen und offen darüber zu reden, das ist mein persönliches Resumé aus der Geschichte”, sagt Röttger. “Und, dass das Leben nach wie vor schön ist.”
Ein ausgezeichneter Bericht, gut recherchiert und aufgearbeitet. Fazit: Den Nagel voll auf den Kopf getroffen!
An die Kritiker und ewigen Nörgler: Denkt mal drüber nach?Was wäre denn, wenn ihr oder eure Kinder betroffen wären?
Also, ruhig Blut und eine Entscheidung treffen! Sprecht innerhalb der Familie darüber, denn die werden im Falle gefragt!