Wie bist du eigentlich Kritiker geworden?
Ist eigentlich ziemlich einfach. Ich habe früher neben dem Abitur Schauspielerei betrieben. Nach dem Abitur habe ich dann meine ersten Schauspielrollen bekommen. 2009 oder 2010 machte sich dann YouTube auch langsam in Deutschland ein bisschen breiter und man konnte langsam verstehen, was das ist. Damals wurde mir klar: „Ey, man kann da ja quasi Videos zu einem bestimmten Thema hochladen, Kanäle haben und die Leute, die sich für bestimmte Themen interessieren, können einen dann abonnieren“ – damals der absolut neuste Kram. Ich hatte zwar als Schauspieler immer eine ganz okaye Auftragslage, aber auch immer genug Zeit. Ich fand das halt super spannend, sowas mal zu machen und über Filme zu reden, weil mir das am ehesten lag. Das war dann im Februar 2011 und ich habe seitdem einfach nicht damit aufgehört. Jetzt sind es neun Jahre später und was einmal mit Heimkinostarts begann, weshalb auch mal der Name meines Kanals „DVD Kritik“ war, hat sich ausgebreitet auf Kinoveröffentlichungen, Vorschauen, Verlosungen, auf verschiedene Formate, wie Film-News, Rankings, auf eine eigene Filmveranstaltungsreihe mit der „Social Movie Night“ und Sondervideos – eben auf verschiedenste Dinge. Damit steigerte sich dann auch irgendwann die Reichweite. Mit der Reichweite kam dann nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, sondern auch der Industrie und dann greifen eigentlich alle gängigen Mechanismen, so ein wenig des Journalismus, aber auch des Influencer-Marketings.
Wie gehst du an die Filme heran, wenn du dann ins Kino gehst?
Über die Jahre versucht man natürlich ein paar verschiedene Ansätze zu verfolgen. Ich habe mir im Kino noch nie irgendwas aufgeschrieben, weil ich schon immer der Meinung war, das was mir nach 24 oder 48 Stunden nicht im Kopf geblieben ist, das ist auch nicht wirklich wichtig zu berichten. Aber am Anfang denkt man immer so: „Wow. Diese ganze Welt und ständig Filme gucken. Das ist dein Job?!“. Das fasziniert dich. Aber du wirst dann irgendwann einfach routinierter und im Grunde bereite ich mich nicht besonders darauf vor. Ich versuche immer, nach größter Möglichkeit unvoreingenommen in jeden Film zu gehen. Ich gucke dann einfach, was mich denn da erwartet. Das einzige, was ich will, ist das Ruhe ringsherum ist.
Danach produzierst du dann die Kritiken für deinen YouTube-Kanal. Hast du da ein bestimmtes Vorgehen, machst du dir ein Skript oder ähnliches?
Also ich habe nie ein Skript für meine Videos, außer bei den Formaten wie Film-News. Das ist komplett durchgeschrieben, sodass ich da auch eher ablesen kann. Ansonsten ist keines meiner Formate gescriptet. Es gibt für die Kritiken z.B. so eine Art Gitterraster, was ich mir mal erstellt habe. Da gibt es dann bestimmte Departments und Bereiche, über die ich reden möchte. Da finden sich überall Stichpunkte, triviales Wissen oder bestimmte Sachen, die ich gerne aufnehmen wollte. So verliere ich im Laufe meiner Kritik inhaltlich nichts und habe so einen groben Roten Faden. Ich drehe alles in einem One-Take. Deswegen gibt es keinen festen Text.
Unsere Gesellschaft entwickelt sich immer weiter und damit auch verschiedene Werte. Siehst du so einen Wertewandel auch im Kino?
Naja, du siehst ja generell einen großen Wandel. Wenn man sich z.B. mal Filme aus den 50er bis 80er Jahren anschaust, gibt es da Dinge, die völlig rassistisch oder sexistisch sind. Das bildet sich noch viel krasser in der Werbeindustrie ab. Wenn man sich z.B. mal Kippen-Werbung aus den 80ern anguckt mit dem HB-Männchen. Der Vater kommt nach Hause und der Junge steht schon mit dem Feuerzeug da, damit der Papa seine Zigarette rauchen kann. Das ist ein Beispiel aus der Werbeindustrie. Aber das Rauchen ist eine Sache, die man auch bei Filmen klar nehmen kann. Früher haben Bösewichte oder auch coole Leute geraucht. Die Serie „Mad Man“ wird bis heute so geliebt, weil jeder raucht da und da kriegt die noch einen Klaps auf den Hintern.
Aber auch generell hat man immer wieder irgendeinen Rhythmus, der sich widerspiegelt. Vor allem jetzt auch bei „Joker“ gab es diese riesige Debatte: „Darf es solche Filme überhaupt geben, die so psycho sind?“. Da wird natürlich auch immer wieder die Referenz auf „Taxi Driver“ gegeben. Diese Filme gab es schon immer, nur vielleicht nicht so oft auf der großen Bühne. Aber klar gab es in der Vergangenheit immer wieder Filme, die die Gesellschaft abbilden, wo man auch merkt, dass die Gesellschaft sich ein Stück weit verändert hat.
Es gibt ja auch Filme, die sich auch direkt mit investigativem Journalismus beschäftigen. Wenn man sich z.B. „Spotlight“ anschaut, wird einem das natürlich klar – wenn sich der Film auf diese Art und Weise der Kirche annimmt. Ein anderes Beispiel ist „Wind River“, der sich mit der Vertreibung von Einheimischen beschäftigt. Das ist in den USA ja ein Thema, das immer wieder hochkommt. Diese ganze Rassenthematik wird da in den letzten fünf Jahren extrem stark thematisiert. Du hast Filme wie „Schindlers Liste“, wo Filme auch zu gesellschaftlichen Veränderungen führen kann. Denn die Shoa Foundation ist aufgrund dieses Films gegründet worden.
Film bildet also immer wieder die Gesellschaft ab. Film kann aber auch die Gesellschaft verändern, weil der Film natürlich auch Teil der Popkultur ist. Viele Dinge, die irgendwann kultig werden, werden eben von der Gesellschaft bestimmt. Das typische Motiv von „Rocky“ oben auf der Spitze der Treppe, mit den Handschuhen und die Arme hochreißend, ist ja auch ein Sinnbild für jeden Underdog, der versuchen will, sich einer übermächtigen Aufgabe zu stellen. Filmzitate finden eben in alle möglichen Bereiche und in allen Sprachen immer wieder Zugang. Das Wort „Inception“ beispielsweise ist so in den Sprachgebrauch übergegangen, was vorher so ohne den Film überhaupt nicht existiert hat. Auf der anderen Seite gibt es halt auch Filme wie „Aus dem Nichts“, die sich mit dem rechtsradikalen Untergrund beschäftigen. Das sind halt auch immer wieder Filme, die preisverdächtig sind und abbilden, wie sich unsere Gesellschaft verändert.
2019 erschien auch der deutsche Film „Das perfekte Geheimnis“. Vor allem Menschen aus der LGBTQI+ Community haben dem Film vorgeworfen an einigen Stellen schwulenfeindlich zu sein. Wie hast du das wahrgenommen?
Wir haben immer wieder eine Ambivalenz zwischen angeblich nicht mehr tabuisierten Themen, die eigentlich aber doch noch tabuisiert sind. Zu denen gehört Sex, Liebe, Geburt, Tod oder die angeblich offene Sexualität. Das trifft im Film dann immer wieder auf die Realität eines Massengeschmacks, mit dem man versucht, Millionen Leute ins Kino zu ziehen. Das zeigt sich einem dann natürlich mit dem Umgang, wann wer wo lacht. Viel schlimmer fand ich dabei noch „Klassentreffen 1.0“, ein durchaus sexistischer Film. Da kann man nur auf den Nachfolger „Die Hochzeit“ gespannt sein. Da gab es bei „Das perfekte Geheimnis“ Momente, wo ich auch dachte: „Ok, schwierig wie man es hier anpackt“. Ich fand aber wiederum auch sehr gut, wie Florian David Fitz und die Figuren darauf reagieren. Ich hatte eigentlich eher das Gefühl, dass der Film zeigt, wie solche Diskussionen manchmal stattfinden können. Aber das ist eben fern ab von dem Ideal, das wir uns manchmal vorstellen. Mir persönlich ist Homosexualität so egal in Anführungszeichen, weil wirklich jeder jeden lieben kann, wen er will, solange die Gegenseite damit absolut d’accord ist. Ich kann verstehen, wenn man den Film so sehen will. Aber es grenzt bei dem Film auch an eine Diskussion, wo man gucken muss, wo beginnt eine, in ganz großen Anführungszeichen, Empfindlichkeit. Da muss man gucken, wie eng steckt man den Rahmen bei so einer Diskussion. Das Problem ist nur, dass du in erster Linie nicht tolerieren musst, was die breite Masse für richtig empfindet, sondern was die Betroffenen empfinden. Denn wir reden über einen kleinen Kreis. Denn es gibt einfach weniger homosexuelle Menschen als heterosexuelle Menschen in unserer Gesellschaft. Da muss man eben gucken, wann sie sich aus welchen Gründen angegriffen fühlen. Da fehlt es im Wandel der Gesellschaft einfach noch an Empathie. Das braucht dann auch nochmal mehr Zeit. Ich bin auch noch groß geworden, wo das Wort „schwul“ noch ein typisches Schimpfwort war. Es braucht eben diese Generationen, die dann nachrücken und dann von vornherein noch viel aufgeklärter sind. Denn da setzt es genau an. Wie werden wir sozialisiert als Kinder und Jugendliche? Deshalb verstehe ich es bei diesem Film. Ich habe aber eben auch das Gefühl, dass Komödien aus dem süddeutschen Raum noch mal ein bisschen derber sind als Komödien aus dem nord- oder westdeutschen Raum. Aber klar, da werden dann Worte wie „Schwuchtel“ so rumgeworfen, dass man denkt: „Ist das noch aktuell? Wer sagt denn wirklich noch Schwuchtel?“. In den USA hat man in den Filmen noch, dass die Leute „Fag“ sagen. Aber Schwuchtel? Sagt das überhaupt heute noch irgendeiner, der unter 25 ist? Also mir wäre das irgendwie neu.
Gesellschaftliche Themen und Debatten beeinflussen also auch den Film. Das hat auch die „MeToo“-Bewegung gezeigt. Einer der bekanntesten Fälle der Auswirkungen war zum Beispiel, dass Kevin Spacey aus dem Film „Alles Geld der Welt“ geschnitten und durch einen anderen Schauspieler ersetzt wurde. Was hältst du von so einem Schritt?
Naja, im Fall von „Alles Geld der Welt“ war es ja so, dass man Mark Wahlberg und Michelle Williams für Dreharbeiten zurückgeholt hat. Wo es ja wiederum die Diskussion gab, wieso Wahlberg zwanzigmal so viel Geld bekommen hat für die Nachdrehs, obwohl die beiden die gleiche Agentur hatten.
Grundsätzlich ist ein Film natürlich eine Teamarbeit aus meist hunderten, manchmal tausenden Leuten. Auch wenn die Leute beim Abspann nicht sitzen bleiben, um das zu sehen. Wenn es dann ein Fehlverhalten von einem einzelnen Mitarbeiter gibt, der aber alles aufgrund seiner Präsenz vor der Kamera überstrahlt, kann man fragen, inwiefern das die Arbeit aller anderen beeinflusst. Auf der anderen Seite orientieren sich Menschen oft gerne an Figuren, die vor der Kamera im Fokus des Films stehen und vergessen dabei geflissentlich, dass auch ein Chris Pratt als „Starlord“ sicher auf die Toilette geht. Aber das werden wir im Film nicht sehen. Wir entmenschlichen ja unsere Helden, indem wir sie nur in den heroischsten und tragischsten Augenblicken sehen.
Auf jeden Fall ist es schwierig eine künstlerische Leistung und das private Verhalten zu vermischen. Aber da dieses Fehlverhalten eben einhergeht mit der direkten Arbeit, weil das Fehlverhalten ja teilweise auch direkt am Set stattgefunden hat, ist es ganz schwierig. Kevin Spacey hat ja sogar dann sein Coming-Out verwendet, um sich zu entschuldigen, was nochmal für die Homosexuellengemeinde ein absoluter Schlag war. Es ist sehr drastisch und es wird auch spannend zu sehen sein, ob und wie er wiederkommt, wenn er jemals wiederkommt. Genauso spannend wird sein, wie Filme das Thema aufgreifen werden. Ich habe ihn zwar noch nicht gesehen, aber „Bombshell“ kommt nächsten Monat raus. Der Film beschäftigt sich mit drei Frauen, wo diese Vorwürfe bei Fox News im Raum stehen. Es gibt ja jetzt auch „The Morning Show“, die Apple-TV-Serie, wo der Aufhänger ist, dass der Co-Moderator aufgrund von sexueller Belästigung seinen Job verliert.
Hast du noch andere Auswirkungen der „MeToo“-Bewegung im Kino festgestellt?
„MeToo“ ist ja, wie ich es verstehe, von diesen sexuellen Übergriffen ausgelöst worden. Da ist man letztendlich motiviert, weiter über über die Gleichstellung der Frau zu diskutieren. Das ist ja das höhere Ziel dabei. Wenn man sich jetzt mal teilweise die Line-Ups der Filmstudios für z.B. 2020 anschaut, stellt man fest, dass es Indizien gibt, dass wir bei vielen Filmen so viele Regisseurinnen haben wie noch nie. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Denn Frauen haben auch einen anderen Blickwinkel auf Stoffe, die vielleicht femininer oder vielschichtiger sind. Damit wird auch einhergehen, dass mehr große Frauenrollen über mehr reden als nur über Männer. Also ich denke, da findet ein Wandel statt, der auch bei den Oscars oder anderen Preisverleihungen ein großes Thema gewesen ist. Dieses Jahr war es auch wieder Thema bei den Golden Globes, wenn man sich Ricky Gervais Eröffnungsrede anschaut.
Ein Wandel ist spürbar, aber wie so viele Dinge dauert es länger. Wenn ich mir allein den Produktionszyklus von einem einzelnen Film anschaue, der gerne mal mindestens ein Jahr, aber auch bis zu fünf Jahre dauern kann, hast du auch diesen Versatz drin. Das heißt, eine Diskussion wird nicht heute gestartet, über ein paar Monate oder ein, zwei Jahre geführt und führt direkt zu Resultaten. Was „MeToo“ wirklich bewegt hat, wird sich eher ab 2023 erst richtig widerspiegeln.
Durch diese Debatte ist auch ein altes Grundproblem wieder aufgetaucht, nämlich die Frage: „Kann man Künstler und Kunst trennen?“. Das ist eine Frage, die es nicht erst seit dem Fall von Kevin Spacey gibt, sondern zum Beispiel auch schon aufkam, als Mel Gibson sich wiederholt antisemitisch geäußert hat. Deshalb auch die Frage an dich: Ist diese Trennung möglich?
Man hat da eine schwierige Vermengung von verschiedenen Dingen. Ich bin beispielsweise Veganer und McDonalds bietet einen veganen Burger an. Aber trotzdem gehe ich ja nicht zu McDonalds und esse einen veganen Burger, weil ich damit deren Hauptgeschäft unterstütze, das zu 97 Prozent aus Massentierhaltung und Fleischkonsum besteht. Genauso ist es eben bei Künstlern. Natürlich könnte man sagen, Mel Gibsons Film „Hacksaw Ridge“ ist großartig. Das Geld, das ich für jedes Kinoticket bezahle, wandert aber wahrscheinlich auch in sein Portmonee. Kann ich das dann unterstützen? Will ich das denn so überhaupt unterstützen?
Das ist eben aber auch nur ein Teil. Wenn mal jeder vorher gewusst hätte, welche Produktionen alle von Harvey Weinstein sind. Denn die Produzenten sind ja wirklich die richtig mächtigen dahinter. Dann ist das immer so etwas, wo in die eine Ecke geschaut wird, aber bei allen anderen Sachen konsequent weggeguckt wird. Man erlebt das gerade auch bei Australien. Wie viele Tiere verbrennen in diesen Flammen? Aber wenn du dann fragst, wie viele jedes Jahr industriell für den Verzehr abgeschlachtet werden, dann wollen das viele wieder nicht in Relation setzen. Das heißt, man kann es trennen, wenn man den Film als Film sieht und man sich einfach für Film interessierst. Man kann es vielleicht nicht trennen, wenn man eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung hinter Filmen sieht. Manche Filme haben eben eine größere gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Man stelle sich mal vor, Steven Spielberg hätte als Jude Verbindungen zum Rechtsextremismus und hätte dann „Schindlers Liste“ gemacht. Das wäre wohl viel brisanter, als wenn Vin Diesel mal ein bisschen zu schnell mit dem Auto gefahren ist und macht weiter „Fast and Furious“. Aber auf einmal stirbt Paul Walker mit einem Porsche in L.A., während der Kumpel zu schnell gefahren ist. Die Dinge und auch die speziellen Einflüsse verändern sich. Ein Film ist ja nicht nur ein Film. Deshalb lässt es sich auch nicht so unkomplex abbilden und bleibt deshalb auch immer ein bisschen eine Fall-zu-Fall-Betrachtung.
Ein großes Thema in den Medien war 2019 auch die Debatte um den Film „Joker“. Die Frage war, ob man diesen Film überhaupt zeigen darf, weil man befürchtet hat, dass er zu Gewalttaten animieren könnte. Wie hast du diese Diskussion gesehen?
Ich finde die Leute beschweren sich hier auch wieder über Dinge, wo ich denke: „Jetzt ernsthaft?“. Ich meine, die gleichen Leute haben ja auch kein Problem, in ein FSK 16 oder 18 Weggeschnetzel-Film zu gehen. Ich glaube, diejenigen die sich bei Joker darüber aufregen, dass dieser Film zu gefährlich sei, sind oft Menschen, die dieses Thema im Privaten manchmal von sich wegschieben. Auf einmal ist man dann in diesem Film und beschäftigt sich mit Menschen, die ein psychisches Problem haben. Eigentlich finde ich, dass Joker zeigt, wie kalt die Welt sein kann. Sie ist nicht immer so. Aber Leute werden auch alleingelassen und sowas kann man im Umfeld schneller erleben, als man denkt. Ich finde, wer über die Darstellung der Wahrheit diskutiert und ob man diese abbilden darf, der hat die künstlerische Freiheit vergessen. Denn Kunst darf erstmal alles und soll zum Nachdenken anregen. „Joker“ ist ganz weit weg davon ein Film zu sein, den man indizieren muss. Wenn „Joker“ ein Problem ist, dann ist auch „Aus dem Nichts“ oder „Der goldene Handschuh“ ein Problem, nur um mal zwei deutsche Beispiele zu nennen. Die Faszination von Mördern oder Serienkillern sieht man auch an den vielen Dokumentation über Ted Bundy oder Charles Manson, die auf Netflix, Amazon und so weiter ausgepackt werden. Die Leute haben für dieses Dunkle und Düstere eine Faszination und „Joker“ hat über eine Milliarde Dollar eingespielt. Gerade bei so einem Film kommt das auch dazu. Der ist so groß. Den sehen so viele. Alle finden den irgendwie beeindruckend. Irgendwas passiert da mit einem, weil der auch ein sehr gutes Timing hat und künstlerisch sehr interessant in Szene gesetzt ist und auch was natürlich Joaquin Phoenix‘ Spiel angeht. Alle wollen dann wieder eine Meinung dazu haben. Allein wenn zwei Gruppen eine Meinung dazu haben wollen, aber trotzdem diskutierten möchten, dann stellen sich die einen auf die eine und die anderen auf die andere Seite, gar nicht mal mehr der Sache wegen. Das ist ein bisschen wie beim Fußball. Ich habe das Gefühl, wenn man einen Dortmund-Fan fragt, warum er gegen Schalke ist, dann sagt er: „Ja die sind nebenan und da wohne ich nicht!“. So wirkt das manchmal auf mich. Tiefere, richtige Gründe gibt es dann manchmal gar nicht.
Solange der Bösewicht am Ende stirbt, ist es okay für alle. Aber wenn der vermeintlich Böse gar nicht so böse ist und auch noch andere umbringt, dann bekommt man ein Problem. Wenn dein eigenes Weltbild bei so einem Film dann schon wankt, dann weiß ich nicht, was das für eine Diskussion sein soll. Wenn jemand wirklich denkt, dass Leute sich durch den Joker animiert fühlen, loszurennen und zu morden, dann ist ja sowieso schon ein bisschen Hopfen und Malz verloren. Wer sich anstiften lassen will und das System kaputt machen will, der muss wahrscheinlich nur ein paar Stunden durchs Darknet surfen und findet alles, was er an Inspiration braucht. In einer Welt, wo Leute Hinrichtungen sogar auf Facebook stellen, da ist Joker wirklich ein ganz anderes Ende von Diskussionen.
Denkst du denn, dass Filme uns in unserem Denken oder Handeln beeinflussen können?
Das hat ja auch ein bisschen mit der Killerspiel-Diskussion zu tun. Denn Brutalität und auch alles andere, das uns in unserer Umwelt begegnet, hat Einfluss auf uns. Wir sind Erziehung, wir sind Erbgut, aber wir sind eben auch Entwicklung und Einflüsse. Weil ich irgendwie die Faszination für Nazi-Dokus habe, habe ich gestern zufällig wieder eine Dokumentation darüber gesehen, wie viele Kinder von SPD oder Linkspolitikern in der Nazizeit damals die Faszination von Uniformen gepackt hat und zur NSDAP oder Hitlerjugend übergelaufen sind. Da fragt man sich ja auch, wie das gehen kann – genau zum anderen politischen Ende nur wegen eigentlich oberflächlicher Motive.
Generell hat alles, was wir sehen, Einfluss auf uns. Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal „Der Soldat James Ryan“ gesehen habe. Diese Eröffnungsszene an Omaha Beach ist total beeindruckend. Ich werde aber auch nie vergessen, wie ich „Der König der Löwen“ geguckt habe und was der Film in seinen gefühlvollen Momenten für eine besondere Bedeutung für mich hatte. Da geht es um Verantwortung, Vergangenheit, die Beziehung zu unseren Eltern und das Suchen nach Liebe, bezüglich auch Freundschaft.
Daraus kann man viel nehmen, aber generell sollte Film halt eben animieren, zu verschiedenen Themen verschiedene Ansätze und Denkweisen kennenzulernen. Gerade im Arthouse-Genre findet man so nischige Themen. Aber manchmal ist da auch sowas wie der deutsche Film „Systemsprenger“, der sich mit Kindern beschäftigt, die durch das System fallen und wirklich einfach ein lauter Hilfeschrei ist. Klar verändert das etwas bei uns. Manchmal werden uns dadurch auch erst Themen bewusst, von denen wir vorher keine Ahnung hatten. Ein gutes Beispiel ist auch der Film „Girl“ von 2018. Da geht es um einen Jungen, der per Geschlechtsumwandlung ein Mädchen werden möchte, weil sie sich im falschen Körper fühlt. Da haben mich transsexuelle Menschen auf den sozialen Plattformen darauf hingewiesen, gar nicht böse oder so, dass es nicht Geschlechtsumwandlung heißt. Das suggeriert nämlich, dass man sich verändern möchte. Dabei heißt es Geschlechtsangleichung, weil man sich körperlich dem angleichen möchte, wie man sich selbst wahrnimmt. Da gibt es dann auch bei mir einen Aha-Moment. Dabei denke ich, dass ich nicht ungebildet bin und mich mit vielen Themen beschäftige. Da entschuldige ich mich dann auch gerne. In dem Fall macht auch Film und die Thematik dahinter etwas mit mir und bildet mich weiter. Wenn ich jetzt nicht gerade ständig nur „Fast and Furious“ gucke, dann kann Film sehr viel mit einem machen.
Du hast gerade schon gesagt, dass Nazi-Dokus etwas sind, dass dich fasziniert. Es gibt immer wieder Filme, die unsere eigene Geschichte behandeln, sei es der Zweite Weltkrieg oder in Deutschland die DDR. Warum denkst du, ist das so?
Es ist wirklich sehr einzigartig und ich bin auch noch Berliner. Berlin ist wahrscheinlich zumindest in den letzten 200 bis 300 Jahren der historischste Ort der Welt. Berlin war durch die Mauer zweigeteilt. Deutschland ist ein Land, das 30 Jahre lang geteilt war. Familien wurden von heute auf morgen voneinander getrennt. Zwei völlig verschiedene politische Systeme wurden vor dem Eisernen Vorhang ausgetragen. Es gab einen Kalter Krieg, den es auch vorher noch nie gegeben hat. Das alles passiert auch noch in einem Land, von dem beide Weltkriege ausgingen. Das wirkte dabei teilweise so übernächtigt, vor allem beim Zweiten Weltkrieg, dass man Sorgen haben musste, dass sie es schaffen, die Welt zu unterjochen und ein drittes Weltreich aufzubauen. Da kommt so viel zusammen, auch an Faszination, wie das überhaupt passieren konnte. Dann kommt auch noch Deutschland als Land der Dichter und Denker dazu, als Land extremster Ingenieurkunst mit absoluter Präzision. So sehr wir auch in diesem Land meckern, es ist bis zu einem bestimmten Punkt auch immer ein Land der absoluten Superlative gewesen. Wolltest du irgendwie die klügsten Leute, dann blickte man nach Deutschland oder in den fernen Osten nach Japan. Wolltest du über Philosophen reden, blickte man nach Deutschland. Ging es um klassische Musik, blickte man nach Deutschland oder nach Österreich. Dann kommt auch noch die Militärstrategie und alles, was dazu gehört hinzu und dann auch noch der verheerendste Krieg mit dem verheerendsten industriellen Massenmord und Genozid der Menschheitsgeschichte. Natürlich ist das wahnsinnig faszinierend und will immer wieder abgebildet werden.
Im letzten Jahr wurde jetzt der Erste Weltkrieg mehrfach abgebildet. Es gab ja z.B. diese Dokumentation von Peter Jackson „They shall not grow old“. Das liegt vielleicht daran, dass der Zweite Weltkrieg in Anführungszeichen jetzt schon ein wenig ausgelutscht ist. Aber die Weltkriege sind auch militärstrategisch so interessant, weil es die letzten beiden Frontenkriege waren. Denn mit dem Vietnamkrieg gab es dann Guerillataktiken. Es war nicht mehr wirklich Armee gegen Armee bzw. Uniform gegen Uniform. Zugleich war es auch der Wechsel von statischem Krieg zu sehr bewegtem Krieg, weil die Panzer erfunden wurden. Das heißt, es gibt so viele spannende Dinge, die letztendlich das Weltgefüge und die geopolitische Zukunft so geändert haben, dass es darüber immer Filme geben wird.
Lieber Robert, danke für das spannende Gespräch.