Verschwörungstheorien sind aktuell so präsent wie schon lange nicht mehr. Sie finden zahlreiche Anhänger, die oft einfache Erklärungen für komplexe Phänomene suchen. Viele von uns schütteln darüber wahrscheinlich nur mit dem Kopf. Aber was können wir tun, wenn plötzlich jemand aus unserem Umfeld an diese Erzählungen glaubt und sie verbreitet?
Die Mondlandung wurde nur inszeniert, 9/11 war ein Inside-Job und Corona wurde im Labor gezüchtet – oder noch besser: Wird durch 5G verursacht. All das sind Verschwörungstheorien und -mythen, die im Netz kursieren. Laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 glaubt sogar fast jeder zweite Deutsche, dass es geheime Organisationen gibt, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Betroffen sein kann dabei jeder: Die Autorin Katharina Nocun sagt, dass der Glaube an Verschwörungen ein Phänomen sei, das sich durch die komplette Gesellschaft zieht.
Auch Lukas* ist betroffen – allerdings indirekt. Sein Vater glaubt an Verschwörungstheorien und das schon seit vielen Jahren. Los ging es 2001 mit 9/11, als Lukas Vater behauptete, der Anschlag auf das World Trade Center sei von George Bush geplant gewesen. Eine andere plausible Erklärung habe es für ihn damals nicht gegeben. Lukas selbst war zu dem Zeitpunkt erst 10 Jahre alt. Ihm war noch nicht bewusst, wie gefährlich die Behauptungen seines Vaters sind: „Er ist ja mein Vater und da habe ich das natürlich erst mal so gefressen wie es mir vorgesetzt wurde.“
Vom Finanzcrash und dem dritten Weltkrieg
Erst in den letzten Jahren hat der Student realisiert, dass sein Vater empfänglich für Verschwörungstheorien ist, diese glaubt und verbreitet: „Wenn er für irgendwas keine richtige Erklärung hat, dann wird sich da irgendwas zusammengesponnen, was in sein Weltbild passt.“ Nach wie vor handelt es sich dabei vor allem um Erzählungen mit dem klaren Feindbild USA. Lukas erzählt, dass sein Vater regelmäßig einen Finanzcrash oder den dritten Weltkrieg voraussage. Aktuell behaupte er, das Corona-Virus sei in einem amerikanischen Militärlabor entwickelt worden, um den Amerikanern in die Karten zu spielen. Lukas nimmt das aber mittlerweile nicht mehr so hin: „Einfach gar nichts dazu zu sagen, ist ja auch eine Form von Unterstützung“.
Solche Situationen kennt auch Giulia Silberberger. Sie ist die Gründerin von „Der goldene Aluhut“ – einer Initiative gegen Verschwörungstheorien. Den Glauben von Lukas Vater identifiziert sie klar als Antiimperialismus. Dieser ist – wie auch von Lukas – oft nur schwer als Verschwörungstheorie zu erkennen: „Antikapitalismus und Antiimperialismus lassen sich oft noch hinter Politik-Kritik verstecken. Und erst wenn man sich dann mal mit den Themen auseinandersetzt, erkennt man die Verschwörungstheorien dahinter.“
Handlungsempfehlungen für Angehörige seien bei Menschen wie Lukas Vater schwierig, da sie sich schon sehr lange nach diesem Glauben ausgerichtet haben. In diesem Fall sei es oft eine tiefenpsychologische Arbeit, den Auslöser dafür zu finden. „Wenn Leute noch ganz am Anfang stehen und gerade erst von den Theorien anfangen, dann kann man in der Regel noch mit ihnen diskutieren. Das ändert sich, je weiter sich die Person an diese Ideologien bindet und je mehr sie das glaubt”, so Silberberger.
Erste Überzeugungsversuche
Mit den Jahren hat Lukas immer mehr angefangen, die Aussagen seines Vaters zu hinterfragen und ihn damit zu konfrontieren. „Ich habe irgendwann mal angefangen, ihn darauf anzusprechen. Ich habe dann versucht ihn dazu zu kriegen, das auch mal selbst zu hinterfragen“, erzählt der 28-Jährige. Sein Vater habe darauf aber oft ablehnend reagiert und Lukas Einwände damit abgetan, dass dieser noch zu jung und naiv sei und die Zusammenhänge noch nicht begreifen würde.
Auch Giulia Silberberger empfiehlt, mit Verschwörungstheoretikern zu reden und zu versuchen, herauszufinden, woher dieser Glaube überhaupt kommt und was der Auslöser dafür war. Allerdings brauche man für solche Diskussionen auch ein gutes Rüstzeug in Medienkompetenz und Wissen über Verschwörungstheorien. „Das heißt, man muss sich schon vorher damit auseinandergesetzt haben, wie man die Theorie widerlegen kann. Ansonsten kann man mit solchen Menschen nicht diskutieren“, erklärt Silberberger.
Respektvoller Umgang ist wichtig
Lukas ist in der Diskussion mit seinem Vater irgendwann sauer geworden. „Ich habe wortwörtlich gesagt: ‚Bei dir dampft ja schon der Aluhut‘. Da sind wir echt aneinandergeraten.“ Das Gespräch hätten sie daraufhin beendet und seien sich erst mal aus dem Weg gegangen. Solche Vorwürfe bringen oft nichts, sagt Giulia Silberberger. Man müsse der Person immer mit Respekt begegnen, ohne gleich die „Aluhut-Keule“ rauszuholen. Oft sei es deshalb gut, die Diskussion auf später zu verlagern. In der Zwischenzeit habe man dann genug Zeit, in Ruhe zu recherchieren.
Giulia Silberberger empfiehlt Angehörigen, die nicht mehr weiterwissen, sich an eine Beratungsstelle oder Initiativen wie „Der goldene Aluhut“ zu wenden. Diese könnten wenigstens dabei helfen, das Familienleben zu sichern und den Angehörigen zeigen, wie sie mit der Situation umgehen können. „Denn es bringt nichts, wenn man sich trennt. Es ist niemandem geholfen, wenn man nicht mehr miteinander redet“, so Silberberger.
Lukas sagt, dass er eigentlich ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Vater habe. Nur das Vertrauen zu ihm würde sehr unter seinen Aussagen und Ansichten leiden. „Ich hinterfrage mittlerweile alles, was er erzählt wirklich dreimal. Wenn es irgendwas mit Krisen oder Krieg oder irgendwelchen Nachrichten zu tun hat, nehme ich nichts mehr so hin, was er sagt. Ich erwische mich auch regelmäßig dabei, dass ich nach Gesprächen mit ihm Dinge nachrecherchiere, die er gesagt hat. Nur um mich abzusichern“, erzählt der Student.
Besserung ist in Sicht
Er hat aber die Hoffnung, dass die Gespräche mit seinem Vater etwas gebracht haben: „Mittlerweile, wenn er wieder etwas Neues erzählt, dann sagt er auch immer woher das kommt und versucht das zu belegen. Ich habe das Gefühl, er achtet jetzt ein bisschen mehr darauf, was er so liest. Und ich glaube, er hinterfragt jetzt auch ein bisschen mehr.“ Auch Lukas rät im Umgang mit Verschwörungstheoretikern, über die Themen zu sprechen und ihnen mit Respekt entgegenzutreten: „Was ich empfehlen würde, ist, solche Theorien einfach mal mit denen in einem ruhigen, rationalen Ton durchzuspielen. Man sollte die Leute mal überlegen lassen, was es bedeuten würde, wenn ihre Theorie wahr ist. Denn dann verstricken sie sich automatisch irgendwann in Widersprüchen.“
Vor allem eines sollte man seiner Meinung nach aber nicht tun: Ihre Aussagen komplett ignorieren. Und noch eine Sache hat der Student gelernt: „Man sollte am besten nicht sagen ‚Bei dir dampft ja schon der Aluhut‘. Das ist keine gute Reaktion, das habe ich gemerkt“, sagt er und lacht.
* Name geändert