Das Land NRW will die Digitalisierung der Hochschulen vorantreiben. Fast 70 Millionen Euro sollen bis 2030 für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung stehen. Aber wo sind die großen Baustellen der Hochschulen im Ruhrgebiet und wie erfolgversprechend ist die Finanzierung?
Seit Dienstag (1. Dezember) steht fest: So schnell wird es an den Hochschulen in NRW keine regelmäßigen Präsenzveranstaltungen geben. Die sind in den nächsten Wochen nur erlaubt, wenn sie dringend notwendig sind. Die 68 Hochschulen müssen also wie im Frühjahr ihre digitale Lehre für ihre fast 800.000 Studierenden unter Beweis stellen.
Um die Hochschulen in ihrer Digitalisierung zu fördern, hat das Land zusammen mit der Digitalen Hochschule NRW am Montag (30. November) eine Vereinbarung beschlossen. Bis 2023 will die Landesregierung insgesamt fast 70 Millionen Euro für hochschulübergreifende Digitalisierungsprojekte ausgeben. Aber wo genau liegen überhaupt die Digitalisierungsschwachstellen? Und reicht die Vereinbarung überhaupt, um die Hochschulen auf den Digitalisierungsstand zu bringen, auf dem sie dringend sein sollten?
Größte Probleme bei Lehre und Verwaltung
Bis jetzt sind selbst die Hochschulen im Ruhrgebiet auf unterschiedlichen Ständen, was die Digitalisierung in der Lehre, der Verwaltung und in der Forschung angeht. Simon Hensellek, Juniorprofessor für Entrepreneurship und Digitalisierung an der TU Dortmund, lobt zumindest die Forschung im Ruhrgebiet.
Hier klappen der digitale Austausch und die Kollaboration meines Erachtens […] auch über Lehrstuhl- und Universitätsgrenzen hinweg.
Hensellek sieht die Schwachstellen eher in der Lehre und in der Verwaltung. Als ersten richtigen Schritt begrüßt er die Single Sign-On-Portale, zum Beispiel von der TU Dortmund. “Im Vergleich dazu sind mir aber auch Hochschulen bekannt, die noch vor Kurzem ein standardisiertes Papierformular mit Durchschlag zur Beantragung von Urlaub eingeführt haben, das dann der Reihe nach unterschrieben werden musste.” Neben solchen administrativen Aufgaben müsse mehr Zeit und Geld in das digitale Lernen investiert werden, damit Studierende “auch in einer Post-Covid-Welt Inhalte von Vorlesungen und Übungen zeit- und ortsunabhängig zur Verfügung haben und diese nachbereiten können.”
Hochschulen müssen Digitalisierungstreiber werden
Manuel Wiesche, Professor für Digitale Transformation an der TU Dortmund, hat ähnliche Bedenken zur digitalen Lehre. Er wünscht sich, dass die Hochschulen genauer auf die Bedürfnisse der Studierenden eingehen. “Studierende müssen wesentlich besser adressiert werden, besser verstanden werden.” Dafür müssten die Hochschulen nicht nur die technologischen, sondern auch die didaktischen Voraussetzungen schaffen.
Darüber hinaus glaubt Wiesche, dass sich die Hochschulen im Ruhrgebiet einiges von Unternehmen abschauen sollten. “Die Rolle der klassischen IT-Abteilung hat sich massiv gewandelt. Sie ist Innovationstreiber geworden.” Diese Mentalität sollten auch Hochschulen übernehmen, um sich nicht nur an die Digitalisierung anzupassen, sondern sie aktiv voranzutreiben.
Vereinbarung nur erster Schritt
Mit fast 70 Millionen Euro möchte die Landesregierung die Hochschulen ermutigen, durch gemeinsame Projekte zu genau solchen Innovationstreibern zu werden. Zwar freut sich Hensellek über jede Offensive, aber mit Blick auf die Zahlen bleibt er skeptisch. “Bei den aktuellen Studierendenzahlen in NRW […] wären das umgerechnet ca. 90 Euro pro Kopf, Mitarbeitende der Hochschulen mal ganz außen vor. Salopp gesagt würde das bei den aktuellen Preisen gerade einmal für eine Webcam pro Studierendem reichen.” Außerdem müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen erst einmal angepasst werden. “So können zum Beispiel wir als Lehrende an einer Präsenz-Universität regulär nur maximal 25 Prozent unseres Deputats über sogenannte virtuelle Lehre erbringen.”
Wiesche hält die Vereinbarung zwischen Land und Hochschulen ebenfalls nur für “die Spitze des Eisbergs”. Die Finanzierung sei ein “Schritt in die richtige Richtung”, aber die Hochschulen bräuchten auch einen gemeinsamen Plan. “Eine ausgereifte, inhaltliche Strategie, die hochschulübergreifend ist”, sei notwendig.
Digitalisierung muss zur Priorität werden
Als endgültige Lösung reicht die Vereinbarung also nicht. Hensellek sieht das Problem schlussendlich darin, dass Digitalisierung an den Hochschulen viel zu selten Priorität habe und eher als Projekt angesehen werde.
Digitalisierung ist eben nicht abgeschlossen, wenn alle in der Hochschule oder im Unternehmen mit Laptop und Webcam ausgestattet sind, sondern fängt dann erst richtig an.
Eine Art Abschluss des Digitalisierungsprozesses ist also eher ein Mythos.
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