Corona-Chaos: Und was ist mit den Hochschulen?

Geplatzte Pläne und eine unsichere Zukunft – so geht es den meisten der 2,9 Millionen Studenten in Deutschland. Auch weil jedes Bundesland seine eigenen Maßnahmen für die Hochschulen erlässt. Drei Studentinnen aus NRW, Sachsen und Hamburg erzählen, wie sie die ersten Wochen des Sommersemesters erleben. 

Gemeinsam hieven Papa Volker und Tochter Lena das Fahrrad auf das Autodach. Lena verstaut Koffer und Tasche im Kofferraum und wirft ihren Rucksack auf den Rücksitz. Eine letzte Umarmung für Mama und Zwillingsschwester Linda, dann fahren Vater und Tochter vom Grundstück. Linda sieht zu, wie der Wagen der Familie aus der Einfahrt fährt. „Es ist ein komisches Gefühl, sie fahren zu sehen, während ich hierbleibe.“

Am vergangenen Sonntag ist Lena Litzkow aus ihrer Heimatstadt Zella-Mehlis in Thüringen zurück nach Leipzig gefahren, wo sie studiert. Ihre Schwester Linda hingegen wird erstmal nicht nach Hamburg zurückkehren.

Lena (links) und Linda Litzkow kommen aus Thüringen, studieren aber mittlerweile in Sachsen und Hamburg.

Die Universität Hamburg, an der Linda Litzkow studiert, informiert auf ihrer Website: „Die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG) weist darauf hin, dass Studierende, die nicht in Hamburg wohnen, unter diesen Umständen nicht nach Hamburg reisen sollten, sondern ihr Studium (zunächst) von zuhause oder andernorts erledigen können.“ Die 20-Jährige interpretiert das so, dass sie erstmal in Thüringen bleiben wird, auch wenn sie ihren Hauptwohnsitz in Hamburg hat.

Doch wie kann es sein, dass Zwillingsschwestern, die im gleichen Staat wohnen, von so unterschiedlichen Folgen durch das Corona-Virus betroffen sind? Vor der Telefonkonferenz der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten am 15. April 2020 wollten Deutschlands Politiker noch möglichst viele einheitliche Regeln für alle Bundesländer finden.

Der Hochschulberieb wird kaum thematisiert

Doch Universitäten spielen hier kaum eine Rolle. Während die Schulen und der Einzelhandel schon vor der Konferenz diskutiert wurden, stehen in der gemeinsamen Erklärung der Länder mit dem Bund lediglich zwei Sätze zum Sommersemester 2020: „In der Hochschullehre können neben der Abnahme von Prüfungen auch Praxisveranstaltungen, die spezielle Labor- bzw. Arbeitsräume an den Hochschulen erfordern, unter besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen wieder aufgenommen werden. Bibliotheken und Archive können unter Auflagen zur Hygiene, Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen geöffnet werden.“ Die Erlaubnis und die zuvor beschlossenen Kontaktbeschränkungen interpretiert nun jedes Bundesland erstmal selbst, den Rest entscheiden die Universitäten.

In dieser Autonomie sieht der Bildungsforscher Prof. Olaf Köller vom Leibniz-Institut der Uni Kiel einen großen Fehler. Denn die Universitäten hätten schon beim Erlass des Kontaktverbotes absehen können, dass ein normaler Betrieb in diesem Semester nicht würde stattfinden können. Somit sei es nicht nur ein Problem des Föderalismus: Die Hochschulen haben viel zu spät reagiert.“ 

Für die 17 Universitäten in Hamburg gelten in erster Linie die Beschlüsse des Senats der Stadt Hamburg vom 15. April. Und die schränken Linda Litzkow sehr ein: „Ich habe mich wirklich sehr auf das Semester gefreut.“ Denn die Studentin ist erst in ihrem zweiten Semester in Hamburg und wollte den Sommer dort nutzen, um die Stadt, aber auch neue Leute kennenzulernen. Doch wenn jetzt alles nur online stattfindet, glaubt sie nicht, dass sich so neue Freundschaften entwickeln können: „Online ist der Umgang einfach viel distanzierter im Vergleich zu einem persönlichen Kontakt.“

Auch wenn sie privat mit den Einschränkungen zu kämpfen hat, kann Linda Litzkow vorerst online studieren. All ihre Kurse sind für das ganze Semester so angelegt: Daraus schlussfolgere ich, dass es dieses Semester keine Präsenzveranstaltungen mehr geben wird.“ Doch ob das tatsächlich so ist, weiß die junge Frau bisher nicht.

Schon beim Semesterstart herrschte keine Einigkeit

Ebenso wenig steht fest, ob sich alle Universitäten auf Online-Vorlesungen beschränken oder nicht. Denn schon bei der Frage nach dem Semesterbeginn waren sich die Bundesländer uneinig: Während in Hamburg und NRW der Semesterbeginn auf den 20. April verschoben wurde, galt dies für Sachsen nicht. Dort begannen die Online-Vorlesungen bereits am 06. April.

Entsprechend hatte Lindas Zwillingsschwester Lena Litzkow pünktlich zum 6. April alle nötigen Unterlagen und Anleitungen zum Fernstudium vorliegen. Sie sei überrascht, wie reibungslos der Semesterstart begonnen habe: „Dennoch ist es möglich, dass der Präsenzbetrieb sehr schnell wieder losgeht.“

Studenten, die sich auf der Website des Freistaats Sachsen informieren wollen, finden als frühesten Öffnungstermin der Universitäten nämlich den 4. Mai 2020. Dann könnten Präsenzveranstaltungen an den Hochschulen wieder stattfinden. Auch wenn Lena Litzkow nicht davon ausgeht, dass dieses Datum tatsächlich gehalten werden kann, ist sie am vergangenen Sonntag (26. April 2020) wieder nach Leipzig gefahren. Denn auch in einer Rundmail des Rektors ist zu lesen: „Wir möchten gern ab dem 4. Mai 2020 den Präsenzbetrieb an der HTWK Leipzig langsam und Schritt für Schritt wieder aufnehmen.“ (Stand: 27. April 2020).

Die Studentinnen sind verunsichert

Die Studentin macht dies nervös: „Das Datum steht im Raum. Keiner weiß, was am 4. Mai passiert und falls die Hochschule wieder aufmacht, will ich die Präsenzveranstaltungen natürlich wahrnehmen.“ Dass sie womöglich ohne Gewinn für ihr Studium nach Leipzig fährt, ist ihr dennoch klar. „Aber andererseits habe ich dort eine Wohnung, die ich nicht ein halbes Jahr Leerstehen lassen kann.“

Bildungsforscher Prof. Olaf Köller hält einen Start der Präsenzveranstaltungen ab dem 4. Mai für völlig naiv. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoller, wenn sich die Universitäten jetzt schon darauf einstellen, dass sich ähnliche Maßnahmen bis in das kommende Wintersemester ziehen: „Virologen rechnen damit, dass wir im Herbst eine zweite Welle erleben. Besonders Massenansammlungen wie in Universitäten sind dann besonders gefährdet, weil hier Infektionsketten überhaupt nicht nachvollzogen werden können.“

In NRW wissen die Studenten noch nicht, wann sie wieder auf dem Uni-Gelände unterrichtet werden. In einer Rundmail der Direktorin der TU Dortmund heißt es lediglich, dass das Kontaktverbot bis zum 4. Mai verlängert wurde: „Bis zu diesem Zeitpunkt werden die bestehenden Maßnahmen an der TU Dortmund daher grundsätzlich fortgeführt.“

Finja Hertrampf turnt seit Jahren im Verein. In dieser Zeit darf sie allerdings nicht an die Geräte.

Finja Hertrampf ist verunsichert, welche Auswirkungen das auf ihr Studium haben wird. Die 20-Jährige studiert an der TU Dortmund Mathe und Sport auf Lehramt und besonders für ihre Grundlagenfächer in Sport ist Präsenzbetrieb unerlässlich. Denn da machen die Studenten selbst Sport. „Außerdem kommt noch hinzu, dass wir frühestens am 15. Mai Informationen dazu erhalten.“

Dozenten sollen nicht kontaktiert werden

In einem Post bei Instagram informierte die Fachschaft Sport: „BITTE seht deshalb davon ab, die jeweiligen DozentInnen per E-Mail anzuschreiben, um diesen die Arbeit an der Umsetzung der Praxiskurse zu erleichtern.“

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Liebe Studis, ab dem 20.04.2020 wird das Sommersemester in digitaler Form beginnen und es werden bei euch definitv bzgl. der Praxiskurse einige Fragen auftreten. Das ist ganz normal und auch in diesen verrückten Zeiten verständlich. Wir BITTEN euch jedoch um GEDULD. In welcher Form die Praxisveranstaltungen im Sommersemester stattfinden werden, ist momentan noch nicht abzusehen. Was wir aber sagen können: Es wird sehr intensiv nach Umsetzungsmöglichkeiten gesucht und gearbeitet. BITTE seht deshalb davon ab, die jeweiligen DozentInnen per E-Mail anzuschreiben, um diesen die Arbeit an einer Umsetzung der Praxiskurse zu erleichtern. Wir wiederholen es nochmal: Die DozentInnen BITTE NICHT ANSCHREIBEN. Stattdessen bitten wir euch vermehrt in eure Mails oder auf die Sporthomepage zu schauen. Es wird auch spätestens ab dem 15.05.2020 Informationen zu den Praxisveranstaltungen geben. Bis dahin gilt es für uns alle geduldig zu sein. DANKE für euer Verständnis! sportliche Grüße, eure Fachschaft Sport P.S. Sobald wir Informationen erhalten, werden wir diese über die öffentlichen Känale weiterleiten! 🙂

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Das beunruhigt die Studentin, denn wenn sie in diesem Semester ihr Grundlagenfach in Sport nicht belegen kann, kann sie im nächsten Semester keine Vertiefungskurse wählen: „Dann würde ich automatisch meine Regelstudienzeit überschreiten.“

Einigkeit zwischen den Bundesländern herrscht immerhin bei einer wichtigen Angelegenheit für die Studenten: Prüfungen sind mit entsprechenden hygienischen Maßnahmen erlaubt. Für die TU Dortmund gilt das in folgender Art: „Damit könnten frühestens ab dem 4. Mai Laborpraktika oder Prüfungen im Präsenzbetrieb stattfinden“, heißt es in einer Rundmail der Direktorin. Dabei sei bei Prüfungen auch die „entsprechende Vorlauffrist gemäß der Prüfungsordnungen zu berücksichtigen.“

Unterricht in der heimischen Küche

Für Donnerstag (30. April 2020) ist eine weitere Telefonkonferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder geplant. Dann soll entschieden werden, ob es neue Lockerungen für den Alltag geben wird. Unklar ist aber noch, ob dann auch die Hochschulen langsam wieder ihren Betrieb vor Ort aufnehmen können, oder ob dies noch länger dauert. Bildungsforscher Köller hofft, dass sich die Bundesländer zu einer einheitlichen Linie für ihre Universitäten bekennen.

In der vergangenen Woche haben an der TU Dortmund die Vorlesungen begonnen, online natürlich. Finja Hertampf hat jetzt mit weiteren 900 Studenten Vorlesungen bei WebEx. Die Dozentin habe deshalb direkt zu Beginn der Vorlesung darum gebten, die Emoij-Funktion zu nutzen, sonst habe sie das Gefühl, nur mit ihrer Wand zu reden. Daraufhin hätte ein Student einen Kaffee-Emoji erscheinen lassen. „Unsere Dozentin sagte dann, das sei unfair. Jetzt müsse sie die ganze Zeit an Kaffee denken, aber weil wir sie sehen können, kann sie nicht einfach aufstehen und sich einen holen gehen.“

Beitragsbild: Pixabay/ Yinan Chen

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