Eine schrecklich verschworene Familie

Illustration: Bill Gates, George Soros und ein Echsenmensch stehen hinter einem Wissenschaftler/Forscher
Illustration: Nanna Zimmermann

Marie kann schon lange keine normale Beziehung mehr zu ihrem Vater führen. Der Grund: Maries Vater ist Verschwörungsmythen verfallen. Sein dogmatischer Glaube an Dinge wie Chemtrails oder die Weltverschwörung bedroht seit Jahren den Familienfrieden. Trotzdem hat Marie den Kampf um ihren Vater noch nicht aufgegeben.

“Zeig das nicht deinem Vater, der sieht ja aus wie ein Jude.” Nicht unbedingt der Satz, den man erwartet, wenn man der Stiefmutter ein Foto von seinem neuen Freund zeigt. Für Marie* ist jedoch genau das Realität. Braune Locken, grüne Augen, Vollbart – mehr braucht es nicht, um der Frau ihres Vaters diese Warnung zu entlocken. “Das ist zwar nicht die Meinung meiner Stiefmutter, aber sie weiß, was mein Vater denkt und sagt”, räumt Marie ein. Und von dem, was ihr Vater denkt und sagt, haben Marie, ihr Bruder sowie ihre Stief- und leibliche Mutter in den vergangenen fünf Jahren so einiges mitbekommen.

Ungefähr seit der Flüchtlingskrise 2015 ist der Vater der Naturwissenschafts-Studentin aus Bochum Verschwörungsmythen verfallen. Die jüdisch-kulturmarxistische Weltverschwörung, Gedankenmanipulation via Chemtrails und 5G und letztlich die Verschwörungen, die im vergangenen Jahr rund um die Corona-Pandemie entstanden sind: All das ist im Weltbild von Maries Vater Paul* keine schlechte bis absurde Science-Fiction, sondern empfundene Realität und ständige Bewertungsgrundlage des Geschehens. Anstelle der Tagesschau stehen jetzt Ken.FM und der Kopp-Verlag. Beide gelten auch als Plattformen der neurechten Verschwörungsszene: “So einschlägige Seiten halt. Und dann ist da der erste Artikel irgendwie Islamkritik und der nächste …” Marie bricht ab. “Keine Ahnung …”, sagt sie und lacht peinlich berührt. “Ich bin nicht auf solchen Seiten unterwegs, aber er nimmt da alles mit und stellt nichts mehr infrage.”

Illustration: Mann sitzt am PC im Hintergrund verschiedene Verschwörungsobjekte: Impfspritze, Chemtrails, 5G, Q-Anon Q, Illuminaten Auge, Flacherde
Illustration: Nanna Zimmermann
Inwieweit hilft es, sich für eventuelle Diskussionen selbst mit Verschwörungsmythen auseinanderzusetzen?
Jan Skudlarek forscht und lehrt zum Thema Verschwörungstheorien. Der Berliner Philosoph hat 2019 das Buch “Wahrheit und Verschwörung” veröffentlicht.

Skudlarek: “Um sich Verschwörungserzählungen entgegenzustellen, muss man – und sei es in groben Zügen – schon ein wenig wissen, worum es in der jeweiligen Erzählung geht. Sich sachlich auszukennen, z.B. über wir Wirkweise von Impfungen, hilft selbstverständlich dabei, absurde Behauptungen darüber zu entkräften. Professionelle Faktenchecker machen es nicht anders. Sie nehmen Lügen, Halbwahrheiten und Falschbehauptungen auf und analysieren ihren Wahrheitsgehalt und ihren Kontext. Die Hardcore-Verschwörungstheoriegläubigen wird man allerdings so schwerlich erreichen. Ist man radikalisiert, ist man resistent gegen Gegenargumente – genau darin besteht ja die Radikalisierung. Mit einer skeptischen Grundhaltung und kritischem Fact-Checking besteht wohl keine Gefahr, selbst “abzurutschen”. Dazu muss es schon positives Interessen geben – und Neigung.”

Dass Menschen durch die Funktionsweise und den Aufbau der Medienplattformen in ihren Filterblasen gehalten und in ihrer Weltsicht weiter radikalisiert werden, ist gar nicht so untypisch. Es sind aber nicht nur die Inhalte der Verschwörungsmythen, die auf dem Familienfrieden lasten. Es ist auch die fast schon dogmatische Sturheit, die Maries Vater diesbezüglich zeigt. “Wirklich, mit meinem Vater kann man über nichts anderes reden. Er kommt irgendwie immer darauf zurück.” Dass Verschwörungsmythen Realität wären, daran glaubten im September 2020 zwei Prozent der Befragten in Deutschland, vierzig Prozent gaben an, dass sie denken, dass Verschwörungsmythen teilweise stimmen. Herausgefunden hat das das Meinungsforschungsinstitut YouGov. Was tun, wenn die Familie, der innerste Kreis, Personen, die man liebt, mit dem verqueren Blick eines quasi religiösen Eifers gefährlichen und menschenverachtenden Irrglauben folgen?

Was tun, wenn ein nahes Familienmitglied abrutscht?
Skudlarek: “Das, was wir immer tun: Miteinander reden, in Kontakt bleiben. Besonders, wenn es um uns nahe Menschen sind, wird ein Kontaktabbruch eher die letzte Alternative. Davor sollte man einander zuhören, Argumente, Sichtweisen austauschen – allerdings auch ohne zu erwarten, dass der andere gleich “Ja!” und “Amen!” sagt. Das gibt es aber ehrlich gesagt auch sonst wenig im menschlichen Zusammenleben.

Ein besonders grauer Tag

Es ist der 11. Dezember 2020. Maries Geburtstag. Richtig freuen kann sie sich allerdings nicht. Während sie im grau-verregneten Bochum hockt, liegt in einer Stadt in Baden-Württemberg ihre Oma mütterlicherseits im Sterben. In der Stadt, in der Marie aufgewachsen ist und in der ihre Eltern immer noch leben. In der Stadt, die sie verlassen hat, um zu studieren – aber auch, um Distanz zu ihrem Vater zu gewinnen.

So ganz entkommen kann und will Marie der Situation aber nicht. Marie hat einen Aushilfsjob im Einzelhandel. In der Vorweihnachtszeit ist die Arbeit besonders stressig. Als sie an ihrem Geburtstag nach Schichtende nach Hause kommt, startet sie Skype auf ihrem Laptop und ruft ihren Vater an – nicht umgekehrt. Thema Nummer eins, sagt Marie: die Corona-Maßnahmen der Regierung. “Ich bin fest davon überzeugt, dass du irgendwann sehen wirst, dass ich Recht habe!”, sagt Maries Vater immer wieder mit voller Überzeugung. In seiner Stimme liegt dieser kleinen Funken Hoffnung, vielleicht könne es ja diesmal klappen. Vielleicht wacht seine Tochter endlich auf. “Ich will doch nur dein Bestes.” Marie kennt das schon. “Ja, ja, na klar doch.” Vergeblich versucht sie, das Thema zu wechseln.

“Das ist doch unmöglich!”, ereifert sich Marie hinterher. “Meine Oma liegt im Sterben und als ich das ihm gegenüber gesagt habe, kam wieder nur irgendwas zu Corona.” Es gebe doch gerade wichtigere Dinge im Leben. Sie streift sich aufgeregt eine Strähne ihrer Haare zurecht. “Erstens mal, ich hab‘ Geburtstag, und zweitens mal, ich bin verdammt noch mal traurig. Und trotzdem ist es wichtiger, irgendein Verschwörungszeug zu reden, als so zu sein, wie Eltern sein sollten.”

Der Schatten der Vergangenheit

Dabei hat Paul die Welt früher anders gesehen. Eine Entwicklung, die Marie nicht verstehen kann. “Der war ja früher auch so ein bisschen Hippie mit Liebe und so. Dann fängt der an mit Kritik an der Regierung, wegen der Flüchtlinge, und dann hat er auf einmal was gegen homosexuelle Menschen, die einfach nur ihre Liebe ausleben”, sagt die Studentin. Um dem Geisteswandel des inzwischen über 60-jährigen ITlers ein wenig auf den Grund zu gehen, muss man wohl in die Zeit des Kalten Kriegs zurückblicken.

Schon bevor Paul und Maries Mutter 1985 aus dem realsozialistischen Rumänien über Österreich nach Deutschland geflohen sind, hatte Regierungskritik eine große Bedeutung in Pauls Leben. Durch seine Arbeit beim regierungskritischen “Radio Free Europe” gerät Maries Vater einige Male in die Fänge der Sicherheitskräfte des damaligen Autokraten Nicolae Ceaușescu. “Radio Free Europe” war ein Radiosender, den die westlichen Mächte, vorrangig die Vereinigten Staaten, in den Ostblockländern eingerichtet hatten, um antisozialistische Gegenpropaganda zu verbreiten. Pauls Erfahrungen von damals hätten sich irgendwie eingebrannt, glaubt Marie. “Vielleicht ist er deshalb anfällig für so etwas, dass alles, was gegen die Autorität geht, erstmal per se richtig ist”, versucht sich Marie die Wandlung zu erklären.

Als Pauls Absturz in den Verschwörungssumpf anfängt, kommt Marie gerade in die Oberstufe. Im Geschichtsunterricht behandeln sie Themen wie das deutsche Kaiserreich und den Kalten Krieg. Sie beschäftigen sich mit Fakten, die der Weltsicht ihres Vaters widersprechen. “Er hatte immer schon komische Ansichten, war super autoritär”, erinnert sich die Studentin. Mit 16, 17 habe sie schließlich angefangen zu diskutieren.

Wann lohnt es noch, zu diskutieren?
Skudlarek: “Ob jemand noch zugänglich ist für Gegenmeinungen oder eine andere Perspektive überhaupt zulässt, findet man wohl nur praktisch heraus. Man schaut den Leuten ja nur vor den Kopf. Zeigt sich im Dialog, dass Vorurteile dominieren, der Gesprächspartner abgewertet, seine Meinung nicht zugelassen wird – dann wird es schwer. Ist eine weltanschauliche Radikalisierung zu weit fortgeschritten, lässt sich wenig argumentativ machen. Das lässt sich vielleicht mit Sekten oder religiösem oder auch politischem Extremismus vergleichen: Kein Hardcore-Christ, kein Salafist, sagt in einer Diskussion nach etwas Religionskritik: “Na gut, dann gibt es meinen Gott vielleicht eben nicht”. Mit einem gemäßigten Gläubigen, der zwar auch seine religiöse Weltanschauung hat, aber Gegenperspektiven zulässt und sie als legitime Sichtweise wertschätzt, kann man aber sicherlich ein gutes Gespräch haben.”

Es kommt, wie es kommen muss

Illustration: Nanna Zimmermann

Die Situation zwischen den beiden spitzt sich in dieser Zeit zu. “Er hat immer wie so ein alter Mann vor dem Fernseher gesessen und rumgemotzt.” Wenn Marie ihn auffordert, das zu sein zu lassen, kontert er mit Fangfragen und Sticheleien: “Und das findest du ok?” oder “Ach, ihr Linken wieder …”, obwohl sie damals nicht einmal so politisch gewesen sei. Pubertät, Abiturstress und das Verhalten ihres Vaters noch oben drauf. “Und das ist dann irgendwann eskaliert.” Worum es in dem Streit geht, daran kann sich Marie heute nicht mehr genau erinnern. “Aber das war so der letzte Tropfen”, sagt sie. Maries Vater zerbricht ihr Smartphone und schmeißt sie raus. “Ich wusste nicht, was ich tun sollte und dachte: ‘Oh, fuck! Wenn Leute rausgeworfen werden, ist das echt der Point of no Return. Jetzt hab ich‘s verkackt. Ich hätte einfach die Fresse halten sollen.'” Marie zieht zu ihrer Mutter Danuta*.

Dieser Schritt bessert die Umstände allerdings nur teilweise. “Meine Mutter ist schwierig, das ist immer so am Schwanken mit ihr. Im ersten Monat nach meinem Rauswurf war sie total auf meiner Seite, oder auch bei der Sache mit dem Abiball …”, erzählt Marie. Als kleines Versöhnungsangebot, lädt sie ihren Vater zu ihrem Abiball ein. Seit ihrem Auszug haben die beiden nicht mehr miteinander gesprochen. Er freut sich und nimmt das Angebot an. Dass Marie statt Ballkleid Hose, Hemd und Fliege trägt, freut ihn allerdings gar nicht. Er geht und schreibt später wütende E-Mails: “Von wegen ‘George Soros verschwult uns alle‘ und ‘Scheiß Genderkacke’ und alles.” Zu diesem Zeitpunkt hält ihre Mutter noch zu ihr.

“Andersrum hat sie immer Sachen gesagt, wie ‘So langsam kann ich aber verstehen, warum dein Vater nicht mit dir klarkam’ oder ‘Er hat ja auch nicht ganz unrecht mit dem, was er denkt und sagt’.” Das Verhältnis von Maries Mutter zu Maries Vater und dessen Ansichten ist seit jeher wechselhaft. Ihre Eltern lassen sich scheiden, als Marie acht Jahre alt ist. Auch danach bleiben Mutter und Vater in Kontakt. Eins ihrer Gesprächsthemen: Politik. “Meine Mutter ist halt auch komisch, was das angeht.” Sie sei auf der einen Seite sehr ängstlich und daher für manche Äußerungen der AfD anfällig. “Auf der anderen Seite hat sie einen echt starken Hang zum Esoterischen”, sagt Marie. Eine Mischung aus der Linken, der Tierschutzpartei und der AfD – so beschrieb es mal eine von Maries Freundinnen. Auch die bevorstehende Corona-Impfung sorgt für Zweifel bei Maries Mutter. “Dabei war sie eigentlich, was Corona angeht, immer echt vernünftig.”

Warum sind sich die Strömungen Esoterik und Verschwörungsglauben so nah?
Skudlarek: “Esoterik hat auch viel mit Glauben zu tun, mit Wünschen, mit Magie – die Welt wird als spirituell wahrgenommen und nicht als fundamental wissenschaftlich erklärbar. Esoterik und Verschwörungstheorien bedienen beide die Suche nach einem Dahinter, die Suche nach einer tieferen, nicht sofort sichtbaren Wahrheit. In diesem spiritualistischen, meist anti-rationalen Weltbild ist genügend Platz für weitere Überzeugungen, die ebenso keinerlei empirischer Begründung bedürfen.”

Das richtige Umfeld

Einzig Maries Beziehung zu ihrem Bruder, ebenfalls ein Paul*, übersteht den Verschwörungswahn des Vaters relativ unbeschadet. Während sie bei ihrem Vater aufwächst, geht der jüngere Paul nach der Scheidung der Eltern mit zur Mutter. “Das Verhältnis zwischen meinem Bruder und meinem Vater war eh nie so toll, aber ich glaube auch aus anderen Gründen”, erklärt Marie. Und dann seien noch die Verschwörungsmythen dazugekommen. “Mein Bruder hat die Angewohnheit, sich aus Streit einfach auszuklinken. Der kommentiert das dann höchstens mit einem ganz trockenen ‘Bullshit’ und geht, wo ich schon wieder anfangen will zu diskutieren.” Inzwischen herrscht nahezu Funkstille zwischen Paul und Paul. Nicht einmal zum letztjährigen Weihnachtsessen sind die Männer zusammengekommen. “Der hat das Ganze ein bisschen abgeschrieben, dass unser Vater halt so ist und man da nichts machen kann.”

Ist so ein Gesprächsabbruch legitim?
Skudlarek: “Einen Dialog zu beenden, muss möglich sein, ja. Niemand hat das Recht, andere in einen Streitmarathon zu verwickeln, egal ob es um Musik, Politik oder die Deutschland GmbH geht. Aber: So einen Gesprächsabbruch kann man auch höflich formulieren. Es muss nicht mit Streit oder Beleidigung enden. Ausformulieren, dass man (momentan oder gar für immer) das Thema bitte sein lassen möchte – das sollte immer eine Möglichkeit sein.”

Die Telefonate zwischen Marie und ihrem Vater werden manchmal etwas lauter. Um mögliche Peinlichkeiten zu vermeiden, geht sie mit dem Thema relativ offen um. “Ich hab‘ das in meiner WG erklärt, damit die nicht denken, dass ich aus Spaß hier …”, Marie stoppt und sucht nach einer diplomatischen Formulierung, “… die Lautstärke so erhöhe, sondern, dass das triftige Gründe hat.” Ihre Mitbewohner unterstützen sie. “Wenn ich irgendwas erzähle, was mein Vater wieder von sich gegeben hat, sagen sie sowas wie ‘Ihm ist schon bewusst, dass es folgende Fakten gibt'”, erzählt die 22-Jährige. Noch wichtiger als das Factchecking ist für Marie die Möglichkeit, direkt den Frust abzulassen. Manchmal ist ein offenes Ohr und ein “Na, was leugnet er denn jetzt wieder?” die beste Hilfe.

Illustration: Nanna Zimmermann
Illustration: Nanna Zimmermann

Auch Maries enge Freund*innen helfen ihr, mit all dem klarzukommen. “Ich weiß noch damals”, sagt Lena*, eine Freundin von Marie. Die beiden gehen in dieselbe Stufe. So richtig befreundet sind sie seit dem Abitur. Es ist das Jahr, in dem beide zum ersten Mal wählen dürfen. Im Freundeskreis wird viel über Politik geredet, darüber, welche Partei sie wählen würden und welche die Eltern wählen. “Marie hat dann erzählt, dass ihr Vater gar nicht wählen geht. Deutschland sei ja eine GmbH.” Lena ist auch die Erste, deren Nummer Marie wählt, wenn ihr Vater mal wieder eine neue Theorie gefunden oder mit einer altbekannten über die Stränge geschlagen hat. “Ich hör‘ dann erstmal zu”, erklärt sie. “Aktiv zu helfen und Ratschläge zu geben, ist eher schwierig.“ Auch, wenn die Freundinnen darüber reden, was Marie schon versucht hat oder was man vielleicht noch tun könnte. “So richtig weiß ich leider auch nicht, wie ich damit umgehen soll”, führt Lena leicht resigniert fort. “Es macht mich aber auch wütend und traurig, zu sehen, wie der Vater einer guten Freundin so darin gefangen ist, dass eine normale Beziehung zu ihm einfach nicht möglich ist.” Nach mehr als fünf Jahren Freundschaft hat Lena Maries Vater nie persönlich getroffen. “Aus Gründen”, sagt sie. “Aus Gründen!”, bestätigt Marie lachend.

Was kann man als außenstehender Dritter tun, um zu helfen?
Skudlarek: “Freunde sind keine Mediatoren, können also schlecht professionell vermitteln, zumal sie eben parteiisch sind. Was Freunde allerdings können: Den Betroffenen zuhören, zur Seite stehen und ihre Sorgen und Frustration im Umgang mit  familiären Verschwörungstheoretikern ernst nehmen.”

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Anders Maries Freund Fabian: Nach anderthalb Jahren Beziehungen und trotz seines vermeintlich “jüdischen Aussehens” sind er und Marie zu Besuch bei Paul und dessen Ehefrau. “Das war sogar ein relativ harmloser Abend”, sagt Marie. “Meine Stiefmutter hat Gespräche über Politik gekonnt abgewendet.” Eine Aufgabe, die sie regelmäßig zu erfüllen hat. “Ich bin trotzdem manchmal ungehalten geworden und mein Freund hat dann immer ein bisschen hilfesuchend geschaut. Ich bin eigentlich in meinem Freundeskreis eher dafür bekannt, dass ich happy, cute und wholesome bin.” Marie lacht und ihre Grübchen zeigen sich, bevor sie weiterspricht. “Und er hat voll die Bilderbuchfamilie, so richtig knuffig irgendwie, und naja …” Marie bricht kurz ab und die Freude schwindet aus ihrer Stimme. “Nicht so wie bei uns …”

Fabian ist über die Weihnachtsferien zu seiner Familie gefahren. Marie verbringt Weihnachten bei ihrer Mutter, ihren Vater trifft sie zwischen den Jahren. Den Jahreswechsel feiert sie im kleinen Kreis ihrer WG. Ein paar Flaschen Wein und “dann wollten wir eigentlich Brettspiele spielen, aber waren schon zu sehr im Rentner-Modus und sind schlafen gegangen”, sagt Marie. Besondere Vorsätze oder Wünsche für das neue Jahr hat sie kaum, will sich nur ein bisschen weniger stressen. Und für ihren Vater? Bei ihm habe sie kaum Hoffnung. “Da kommt ja immer was Neues, zu jedem Tagesgeschehen gibt es einen neuen Verschwörungsmythos. Das wird immer absurder”, sagt sie.

“Aber ich will einfach noch nicht aufgeben. Ich will meinen Vater respektieren und ich hab’ ihn ja auch arg lieb auf eine Weise. Ich meine, wenn das jetzt nicht mein Vater wäre …” Wieder bricht Marie im Satz ab. “Ich glaube, das ist ja auch das Problem, wenn man solche Leute in der Familie hat. Dass man eigentlich noch einen Grund hat, warum man sich noch sehen will, aber ganz eigentlich auch nicht.”

* Richtige Namen der Redaktion bekannt

Beitragsbild: Illustration / Nanna Zimmermann

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