Rund drei Millionen Studierende in Deutschland und 2,5 Millionen Studierende in Frankreich kämpfen mit ähnlichen Sorgen und Ängsten. Für viele ist es das dritte Corona-Semester in Folge. Obwohl die beiden Länder kulturell eng miteinander verbunden sind, gehen die Regierungen unterschiedliche Wege, um Studierende zu unterstützen.
Wie in Deutschland wurden die Universitäten in Frankreich zu Beginn des Wintersemesters im Oktober 2020 geschlossen. Frankreich steckt mitten in der dritten Welle. Nach Angaben der französischen Regierung haben bisher rund 30 Millionen Bürger:innen eine Impfung erhalten. Zeitgleich liegen rund 5.600 Patient:innen auf den Intensivstationen. Die Zahl der neuen Virusinfektionen sank am 15. Mai auf 15.685. Die Neuinfektionen nehmen merkbar ab. Die Regierung reagierte auf die sinkenden Fallzahlen, lockerte die Beschränkungen und stellt für Mai weitere Öffnungen, zum Beispiel für Geschäfte, Gastronomie und Kultureinrichtungen in Aussicht. Damit folgt Frankreich anderen Regeln. Denn die Öffnungen kommen – und das, obwohl die Inzidenzwerte deutlich über denen in Deutschland liegen.
Studierende in beiden Ländern kämpfen mit dem gleichen Problem: Vielen sind ihre Nebenjobs und damit wichtige Einnahmen weggebrochen. In Frankreich sind zunehmend mehr Studierende auf Lebensmittelspenden angewiesen. In den französischen Medien tauchen seit Anfang des Jahres immer mehr Videos auf, die zeigen, dass Studierende vor den Tafeln Schlange stehen.
Mitte Januar gingen Studierende in Paris und Straßburg auf die Straßen, um gegen die Corona-Einschränkungen zu protestieren. „On veut juste étudier“ – „Wir wollen nur lernen, stand auf Plakaten der Demonstrierenden. Für alle, die hier protestierten, ist das Studium eine harte Zeit. Sie waren während der Pandemie von Freunden, Professoren und Nebenjobs abgeschnitten.
„Nous ne serons pas la génération sacrifiée“
– „Wir werden nicht die geopferte Generation sein.“ Durch ihre Proteste erhofften sich die Studierenden vom Bildungsministerium finanzielle und ideelle Unterstützung. Auch in Deutschland gab es bereits im vergangenen Sommer Proteste von Studierenden. „Uni gesperrt, Bildung verwehrt“, schrieben Berliner Studierende der Initiative „Nicht nur Online“. Aber es wird deutlich, dass der Ton in Frankreich ein anderer ist – nachdringlicher, verzweifelter.
Studierende bitten Regierung um Hilfe
Im Januar beschloss Heïdi Soupault, die Probleme anzusprechen. Die Studentin der Politikwissenschaft aus Straßburg schrieb einen Brief an Präsident Emmanuel Macron: „Ich bin 19 Jahre alt und fühle mich tot.“ So klar startete ihr Schreiben, „Ich habe keine Träume mehr. Wenn wir mit 19 keine Hoffnung oder Aussichten für die Zukunft haben, was haben wir dann noch?“ Ihr Hilferuf ging viral – Macron antwortete „Halten Sie weiter durch. Wir wissen, was wir Ihnen schulden. Ich bitte Sie um nur eine weitere Anstrengung.“
Auch hier gibt es Parallelen in Deutschland: Ein Student der Universität Duisburg-Essen fühlte sich von der Regierung im Stich gelassen. Lehramtsstudent Tim Tzscheppan veröffentlichte deshalb einen Wutbrief. Seine Worte richtete er an deutsche Politiker:innen. „Inzwischen fängt das dritte digitale Semester an und wir haben exakt dieselben Probleme wie im letzten Jahr.“, schreibt der 25-jährige,
„Belastend ist, dass uns die Perspektive fehlt. Denn während ihr darüber debattiert, ob ihr nicht vorhandene Freizeit-Aktivitäten einstellen wollt, (…) vergesst ihr, dass in den Unis Menschen studieren und arbeiten, die Lösungen brauchen.“
Am 12. April wandte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die deutschen Studierenden. Mit Beginn des dritten Corona-Semesters waren viele Studierende erschöpft. Der Bundespräsident sprach mit Studierenden per Videoschalte über die schwierige Situation und sagte: „Sie sind nicht vergessen! Sie werden gebraucht, gerade in einer Zeit, in der wichtige Transformationen vor uns stehen!“ Die Situationen in Frankreich und Deutschland ähneln sich – Studierende haben ihre Jobs verloren, sich beschwert, wurden von der Politik wahrgenommen und die Hilfe kommt – nur sieht sie in Frankreich ganz anders aus als in Deutschland.
Unterschiedliche Reaktionen aus Deutschland und Frankreich
Das Bundeshilfspaket, das deutsche Studierende in finanzieller Not retten soll, besteht aus BAföG, KfW-Studienkredit und Überbrückungshilfe. Das um ein Jahr verlängerte BAföG und der teilweise zinsfreie KfW-Studienkredit sind alte Bekannte. Neu sind die Überbrückungshilfen. Nach Angaben der Studentenwerke erhielten so bisher mehr als 300.000 Studierende in Deutschland eine staatliche Corona-Hilfe. Die Unterstützung beträgt je nach Einzelfall 100 bis maximal 500 Euro pro Monat und muss jeden Monat neu beantragt werden. Diese direkte finanzielle Unterstützung ist einzigartig in Europa.
Frankreichs Regierung geht andere Wege. Die Journalistin Jeannette Goddar listet in ihrer Analyse im DSW Journal, das Magazin des Deutschen Studentenwerks, gleich mehrere Nothilfen für französische Studierende auf: „Das Repertoire reicht von einem 56-Millionen-Euro-Notfallfonds zur Unterstützung finanziell schwacher Studierender bis zu Gratis-Damenbinden.“ Als Reaktion auf die Studierendenproteste versprach Macron zwei Mensa-Essen pro Woche für je einen Euro und verteilte Gutscheine für Konsultationen bei Psycholog:innen. Im Januar wurde außerdem angeordnet, dass alle Studierende einmal in der Woche eine Präsenzveranstaltung besuchen sollen dürfen. Das zeigt, Frankreichs Hilfen für Studierende sind kreativer und zielen nicht nur auf die finanziellen Probleme der Studierenden ab.
Die Studienlandschaft in Europa ist ein Flickenteppich – das zeigt der Vergleich von Frankreich und Deutschland und ihrem Umgang mit Studierenden in der Pandemie. Viele EU-Mitgliedsstaaten finden unterschiedliche Ansätze und Lösungen, um Studierenden und jungen Erwachsenen, die von der Pandemie betroffen sind, zu helfen. Die Hilfsmodelle könnten nicht unterschiedlicher sein. Was sie alle vereint: Wenn es für Studierende Hilfe vom Staat gibt, dann reicht diese meistens nur knapp.
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