Bei Fußballspielen fließt gerne mal etwas mehr Alkohol. Dass der exzessive Alkoholkonsum aber besonders für manche Personengruppen gefährlich sein kann, haben nicht zuletzt die Ausschreitungen während der Europameisterschaft gezeigt.
„In den Farben getrennt, in der Sache vereint.“ Das hört man immer wieder von Fußballfans, wenn es um sportpolitische oder gesellschaftliche Themen geht. Trotzdem war Gewalt unter und von Fußballfans vor allem während der Europameisterschaft wieder ein großes Thema.
Zuletzt sorgten vor allem Auseinandersetzungen und Angriffe mit rassistischen Hintergründen in England für Aufsehen. Diese Welle an rassistisch motivierten Gewaltverbrechen wurden von den Tätern damit begründet, dass im entscheidenden Elfmeterschießen des Finales drei People of Color (PoC) der englischen Mannschaft nicht trafen.
5 Prozent mehr Fälle von häuslicher Gewalt während der EM
Neben Angriffen auf PoC stiegen in England während der Fußballspiele auch die Fälle von häuslicher Gewalt. Seit dem Beginn der Europameisterschaft am 11. Juni sind die Fälle von häuslicher Gewalt laut National Centre For Domestic Violence in England um 5 Prozent gestiegen.
Since Euro 2020 began on 11 June, the number of people referred to us for protective court orders has risen by more than 400 compared to the 5-week period before the tournament – an increase of 5% @Sbryanconsult #DomesticAbuse #DomesticViolence #EURO2020 https://t.co/7rUqBlTnIG
— NCDV – National Centre For Domestic Violence (@NCDV_Official) July 13, 2021
Und auch auf den Straßen Englands kam es immer wieder zu körperlichen Auseinandersetzungen. Felicitas und Ilvy wollten zusammen mit ein paar Freund*innen in London das Achtelfinale Deutschland gegen England schauen. Dabei haben die 19-Jährigen die Gewalt der Fußballfans am eigenen Leib erfahren.
“Wir wurden beleidigt und geschlagen”
Alkoholisierte Fußballfans pöbelten die Freundesgruppe schon auf dem Weg zum Pub an. Nach Abpfiff wurde es dann noch schlimmer. Denn den Beleidigungen folgten dann auch körperliche Angriffe.
„Nach der Niederlage auf dem Rückweg vom Pub wurden wir wieder beleidigt und sogar geschlagen“, erinnert sich Felicitas. „Ein Außenstehender hat dann versucht uns zu helfen. Dabei wurde er selbst erst wegen seiner Hautfarbe beleidigt und dann in dem Getümmel auch geschlagen“, ergänzt Ilvy.
Die beiden Deutschen sehen ganz klar einen Zusammenhang zwischen dem exzessiven Alkoholkonsum der Fans und dem aggressiven Verhalten ihnen gegenüber. Darüber, ob ein Alkoholverbot in Stadien hilfreich wäre, sind sich Felicitas und Ilvy nicht sicher: „Ein Alkoholverbot würde wahrscheinlich nur oberflächlich helfen. Probleme wie Rassismus und häusliche Gewalt werden dadurch ja nicht behoben“, sagt Felicitas.
Nicht nur im Fußball ist Alkohol ein Problem
Sportpsychologe und Vorstandsvorsitzender im Verband der praktischen Sportpsychologie, Jürgen Walter, spricht sich ganz klar für das Alkoholverbot in Stadien aus. „Alkohol enthemmt und man denkt nicht mehr über die Folgen des eigenen Handelns nach“, weiß er. Vor allem in so hochemotionalen Situationen wie einem Fußballspiel könne es dadurch schnell gefährlich werden.
Der starke Alkoholkonsum ist laut ihm aber nicht nur ein reines Fußball-Problem. „Grundsätzlich geht es auch im Handball, Volleyball oder Basketball mal zur Sache, aber im Fußball ist es extremer. Warum genau kann ich gar nicht sagen. Vielleicht liegt es daran, dass Fußball Volkssport ist und da natürlich viel mehr Menschen emotionaler involviert sind“, sagt Jürgen Walter.
Mitschuld liegt bei den Vereinen und Funktionären
Dem Sportpsychologen ist bewusst, dass durch das Alkoholverbot der Alkoholkonsum vor oder nach den Spielen nicht kontrolliert werden kann. Es sei aber trotzdem eine wichtige Maßnahme, um sowohl Fans als auch Außenstehende zu schützen. Die Mitverantwortung für dieses Verbot und für Aufklärungsarbeit sieht der Sportpsychologe bei den Vereinen und Funktionären.
„Funktionäre und Vereine sollten den Kontakt zu Fans suchen und deutlich machen, wie Fußballfans sich verhalten. Man wird damit nicht alle erreichen, aber wenn 80 Prozent zuhören, dann wäre das schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.“ Dabei darf laut Jürgen Walter der Gewinn, welcher durch den Verkauf von Alkohol gemacht wird, keine Rolle spielen. Denn es gehe um die Sicherheit von Menschen und die müsse immer an erster Stelle stehen.