Fußballteams spielen besser im eigenen Stadion. Doch was ist der Grund dafür? Sind es die Fans? Oder ist es bloß die kurze Anreise und die Gewohnheit? Durch die Geisterspiele während der Pandemie lässt sich der Einfluss der Fans berechnen. Acht Fakten zum Heimvorteil während der Pandemie.
Es gibt den Heimvorteil im Fußball – Teams performen besser in ihrem eigenen Stadion. Bis zum vergangenen Jahr zählten in Champions- und Euroleague sogar auswärts erzielte Tore bei gleicher Tordifferenz doppelt. Doch warum spielen Teams zu Hause besser Fußball? Ist es die Gewohnheit des eigenen Stadions? Der kurze Weg? Oder sind es die Fans, die die Spieler und Verantwortlichen immer wieder hervorheben? Durch das Corona-Virus musste ohne Fans gespielt werden. Dadurch lässt sich deren Einfluss auf den Heimvorteil berechnen. Reicht also das Stadion selbst, um den Vorteil zu behalten? Oder sind es tatsächlich die Fans, die es für die Auswärtsteams so schwierig machen? Diese Analyse setzt sich mit dem Heimvorteil in 21 europäischen Ligen auseinander.
Fakt 1: Der Heimvorteil bleibt auch während der Pandemie bestehen
Fest steht: Auch während der Geisterspiele spielen die Mannschaften besser zuhause. Die Vertrautheit des eigenen Stadions, der kurze Weg, beeinflussbare Schiedsrichter und andere Faktoren reichen offenbar aus, um dem Heimteam einen Vorteil zu verschaffen. Allerdings schrumpfte dieser in 17 der 21 Ligen. Die Fans scheinen somit einen beachtlichen Einfluss auf den Heimvorteil zu haben. Die Ausnahmen sind Zypern, Malta, Dänemark und Österreich. In Zypern und Malta sank der Heimvorteil höchstwahrscheinlich nicht, da ohnehin nicht besonders viele Fans zum Anfeuern dabei sind (die Auslastungen sind vergleichbar mit der deutschen dritten Liga). Hinzu kommt, dass bei den Inselnationen die Infektionen leichter in den Griff zu bekommen waren und die Fans früh ins Stadion zurückkehrten.
Fakt 2: In den großen 5 Ligen sank der Heimvorteil deutlich
In den 5 größten Ligen sank der Heimvorteil während der Geisterspiele deutlicher als in den Kleinen. Das lässt die Vermutung zu, dass die Anzahl der fehlenden Fans eine Rolle spielen könnte. Die Profertil Arena Harteberg ist mit einer Kapazität von 4.500* das kleinste Stadion in Österreich, während das Brentford Community Stadium mit 18.250* das kleinste Stadion in England ist. Wenn die Fans im Old Trafford (Kapazität: 76.000*) in Manchester ihr Team nach vorne peitschen, scheint es die Gegner mehr zu verunsichern (oder das eigene Team mehr zu motivieren) als die Fangesänge in der Red Bull Arena (30.188*).
Aus den Top 5 gibt es nur bei England, Frankreich und Italien eine signifikante Differenz des Heimvorteilwerts. Portugal, Niederlande und Griechenland überraschen zwar, gehören aber zu den besseren Ligen Europas.
Fakt 3: Der Heimvorteil sank in Deutschland und Spanien
Warum ist das so? Ein möglicher Grund ist die Art, Fußball zu spielen. In Spanien wird viel auf Kombinationsfußball, Passqualität und Spielintelligenz gesetzt. Grade kämpferische Aktionen, Laufduelle und Zweikämpfe sind hier nicht so relevant wie z.B. in Italien. Diese psychischen und physischen Aktionen sind es, die durch hohe Motivation und Anfeuerungsrufe der Fans stärker beeinflusst werden könnten.
In Deutschland wird sehr taktisch geprägter Fußball gespielt. Junge Trainer wechseln stetig ihre Formationen und die Laufwege der Spieler, um die Räume zu besetzen, die in bestimmten Spielphasen wichtig sind. So werden Tagesform oder Kampfgeist unwichtiger und es kommt immer mehr auf eine Art Schachspiel zwischen beiden Trainern an. Deshalb könnten auch hier die kämpferischen Attribute eine geringere Rolle spielen.
Fakt 4: Traditionsvereine leiden härter unter dem Verlust der Fans in Deutschland
Deutschlands Grafik mag auf den ersten Blick nicht so aussehen, doch sie ist Balsam für die Seele der traditionalistischen Fußballfans. Teams, die von großen Sponsoren unterstützt werden und eher weniger Mitglieder haben, holen mehr Punkte ohne Fans im eigenen Stadion. Dazu zählen Wolfsburg, Leipzig, Leverkusen und Hoffenheim. Auch der FC Bayern, dessen Fans als verwöhnt gelten, performt ohne sie sogar besser. Die sogenannten „Traditionsvereine“, die sich durch eine treue Anhängerschaft auszeichnen, litten unter den Geisterspielen. Bremen, Stuttgart, Dortmund oder Mainz sind prominente Beispiele. Die Ausnahmen der Regel bilden hier Schalke und Frankfurt. Bei den Schalkern ist der Wert damit zu erklären, dass sie nur zwei Spiele überhaupt gewinnen konnten. Trotzdem zeigt auch die Bundesliga, dass der durchschnittliche Heimvorteilswert 2018 (0,422) wesentlich höher als der Wert 2020 (0.324) ist.
Fakt 5: Die Premier League stellt den Heimvorteil auf den Kopf
In England sieht es ganz anders aus. Southhampton ist der einzige Club, der 2020 einen besseren Heimvorteilswert hatte als 2018. Alle anderen punkteten wesentlich schlechter ohne Fans im eigenen Stadion.
Offensichtlich spielen die Fans in England eine enorm wichtige Rolle. 2018 schießen die Heimvorteilswerte unter die Decke, während sie 2020 in den Keller gehen (oft sogar negative Werte). Es scheint als würden in England Eigenschaften wie die Gewohnheit an das Stadion keine Rolle spielen, da der durchschnittliche Heimvorteilswert 2020 mit -0.070 sogar negativ ist, während er 2018 noch bei 0.418 lag. Premier League Teams waren also während der Geisterspiele im Schnitt auswärts erfolgreicher als zuhause. Besonders auffällig sind die negativen 2020 Werte der Top Teams. Arsenal, Chelsea, Liverpool, Manchester City und United performten 2020 zuhause viel schwächer als auswärts. Vielleicht machte es grade die Abwesenheit von „You never walk alone“ oder anderen Fangesängen schwieriger für die Teams, ihre Leistung abzurufen. Generell könnte die Art der Fanunterstützung ein Grund für die Werte sein. Während in Deutschland oder Spanien eher auf situationsunabhängige Fangesänge gesetzt wird, verfolgt die Geräuschkulisse in England das Spiel aktiver – Torschüsse, Ballgewinne und Dribblings werden mit kollektiven Aufschreien begleitet; oft geht dort ein sogenanntes „Raunen“ durch das Stadion.
Fakt 6: Eine Veränderung der Taktik während der Pandemie ist nicht nachzuweisen
Viele Trainer passen ihre Spielweise daran an, ob sie im eigenen oder gegnerischen Stadion spielen. Auswärts wird oft eher abwartend gespielt und auf Konter gewartet. Einige Trainer vermeiden es, auswärts junge Talente einzusetzen, da sie möglicherweise mit der Situation schwerer umgehen können. In der Auswertung haben wir uns entschieden, den Ballbesitz der Teams auswärts und zuhause 2018 und 2020 zu vergleichen. Dieser sagt aus, welches Team das Spiel eher versucht hat zu dominieren und kontrollieren. Natürlich reicht der Wert nicht aus, um ein Spiel auf die Dominanz der Teams zu reduzieren, doch ist er aussagekräftiger als andere Werte (Packing, Torschüsse, Passquote etc.). Es wurde vermutet, dass die Teams 2020 auswärts mehr Ballbesitz hätten als noch 2018.
Die Grafik vergleicht das Corona Jahr mit der Saison vor Corona darauf, wie sich der Ballbesitz auswärts entwickelt hat. Von dem durchschnittlichen Werten aller Auswärtsspiele wird der durchschnittliche Ballbesitzwert aller Spiele abgezogen. Die Grafik zeigt: nichts. Auch während der Geisterspiele haben die Teams auswärts weniger Ballbesitz als zuhause, spielen weniger dominant. Hier wurde allerdings nur die deutsche Bundesliga ausgewertet, die eine im europäischen Vergleich geringe Auswirkung der Geisterspiele erlebt hat. In England sähe die Grafik vielleicht anders aus.
Fakt 7: Wenige Fans machen keinen Unterschied. Das Stadion muss komplett gefüllt werden!
In manchen Ligen wurde zum Ende der Saison wieder einige Fans zugelassen. Änderte das den Heimvorteilswert?
Die Antwort ist: Nein! Die Auslastung selbst war nur sehr gering und es wurden erst spät in der Saison wieder Zuschauer zugelassen. Teams wie Wolverhampton haben einen guten Heimvorteilswert, ließen aber keine Zuschauer zu. Einige wenige Fans haben somit keine große Auswirkung. Die Magie entfaltet sich erst, wenn sich die Stadien wieder komplett füllen.
Fakt 8: Fans beeinflussen den Ausgang von Fußballspielen
Gott sei Dank möchte man fast sagen, denn die Auswertung zeigt: Der Heimvorteil sank während und wegen der Geisterspiele. Es ist somit ein relevanter Unterschied, ob ein Team vor seinen eigenen oder vor gegnerischen Fans spielt. Die Auswertung zeigt auch, dass andere Faktoren wie die Gewohnheit an das eigene Stadion, beeinflussbare Schiedsrichter oder die kurzen Wege einen Vorteil bieten (andernfalls hätte es keinen Heimvorteil während Corona geben dürfen). Besonders stark wirkten sich die Geisterspiele auf die Topligen aus. Vereine mit vielen treuen Fans schwächelten im heimischen Stadion. Ligen, in denen viel auf Einsatz und Kampfgeist gesetzt wird und die Fans das Spiel mit direkten Reaktionen auf das Geschehene begleiten (England, Italien) sind eher betroffen als Ligen, in denen es eher taktisch zugeht. Die Fans sind tatsächlich der 12. Mann.
*Quelle für die Heimvorteilswerte: soccerstats.com
*Quelle für Zuschauerzahlen: transfermarkt.de
*Quelle für Ballbesitz: Kicker.de
Beitragsbild: picture alliance / Matthias Koch/Pool / Matthias Koch
Grafiken: Aishwarya Ganta