Es ist der Höhepunkt des Jahres für alle Fans des PC–Spiels „League of Legends“: Im Herbst findet die Weltmeisterschaft des Online–Teamspiels ihren Höhepunkt in einem packenden Finale. 2020 steht Damwon aus Korea dem chinesischen Team Suning in der Arena in Shanghai gegenüber. In einem packenden Kampf über mehrere Stunden entscheidet das koreanische Team die Begegnung für sich – eine Erleichterung für eine gesamte Nation. Schließlich gilt Südkorea als das E-Sport–Land schlechthin. Aber was ist eigentlich dran am Klischee von asiatischen Super–Gamer*innen?
An das Finale kann sich auch Maurice „Mori“ Lange noch erinnern. Er war beim Finale als professioneller E-Sport–Kommentator live dabei. Seit Jahren verfolgt er die Entwicklungen verschiedener E-Sport–Titel. Und auch er teilt die Einschätzung, dass in Südkorea die besten Gamer*innen der Welt zu finden sind – auch wenn ein Blick auf die Verteilung des Preisgeldes im E-Sport einen anderen Eindruck vermittelt.
Viel Geld – viel Können?
Seit mehr als 20 Jahren sammelt die E-Sport–Community auf der Website esportsearnings.com die Preisgelder aus allen E-Sport–Titeln. Dort wird auch festgehalten, woher die siegreichen Spieler kommen. Wirft man einen Blick auf die Weltkarte der vergangenen zehn Jahre, stechen einige Länder hervor: Das meiste Preisgeld ging im E-Sport bisher in die USA – insgesamt über 160 Millionen Dollar. Auf Platz zwei folgt China mit über 130 Millionen, auf Rang drei dann Südkorea mit über 90 Millionen.
Aber ist das auch repräsentativ für die Qualität der Athlet*innen? Ein Problem besteht im unterschiedlichen Volumen der Preisgelder in den verschiedenen Spielen. Als 2017 das Spiel "Fortnite" seinen Durchbruch feierte, explodierten die Preisgeldsummen in den Turnieren des Battle-Royale-Spiels – in den wenigen Jahren wurden mehr als 100 Millionen Dollar ausgeschüttet. „Die Tatsache, dass ein Kollege von mir jetzt sogar relativ weit oben in der Preisgeldliste steht, nur weil er einmal bei einem Spaß-Turnier mitgemacht hat, sagt ja jetzt nicht grade was über die spielerische Qualität aus“, erklärt Mori. Das Preisgeld hinge von anderen Faktoren ab, zum Beispiel von der Öffentlichkeitswirksamkeit des Spiels. Die spielerische Qualität spiele eher eine geringere Rolle, gerade in Turnieren, die eher Marketing für das Spiel selbst seien. Eine Viertelmillion Dollar habe das Team von besagtem Kollegen 2019 bei so einem Turnier gewonnen.
Außerdem seien Preisgelder heutzutage längst nicht mehr so aussagekräftig wie früher, sagt Mori: „Vor zehn Jahren waren die Preisgelder noch ein bisschen niedriger und da standen dann ganz andere Leute oben, nämlich die, die sich über Jahre oder Jahrzehnte konstant immer ihr Preisgeld verdient hatten.“ Heutzutage reiche es schon, bei einem großen Turnier zu gewinnen, um im Preisgeld-Ranking ganz nach oben zu rutschen. Aber das Preisgeld spiele auch nicht mehr so eine große Rolle, weder für die Spieler*innen noch für die Zuschauer*innen. „Früher war das so ein Marketing-Hook – wow, krass, fünfstelliges Preisgeld. Aber für die Spieler ist inzwischen das Gehalt die Haupteinnahmequelle. Das ist ja im Fußball auch so: Was ist das Preisgeld der Bundesliga? Das interessiert auch keinen.“
Besonders durch große Sponsoren seien die E-Sport-Teams nicht mehr auf die Preisgelder angewiesen – aber natürlich auf den sportlichen Erfolg, durch den die Sponsoren aufmerksam werden. Im Jahr 2019 wurden fast 50 Prozent der Einnahmen im E-Sport durch Sponsoring finanziert, sagt das Marktforschungsinstitut Newzoo, das die Gaming-Szene bereits seit vielen Jahren genau beobachtet. Dennoch steigen die Preisgelder seit Jahren beständig. 2010 noch bei wenigen Millionen, lagen sie 2019 bereits bei über 200 Millionen US-Dollar. Einzig die Corona-Pandemie hat für einen Einbruch gesorgt, weil viele Turniere ausgefallen sind oder in einer abgespeckten Variante stattfinden mussten. Denn auch wenn E-Sport digital natürlich gut möglich ist, finden die wichtigsten Events vor Ort statt.
Wo Korea und China mitspielen, gewinnen die Länder auch
Auf der Suche nach der besten E-Sport-Nation der Welt reicht es also nicht, einfach alle Preisgelder zusammenzurechnen - sinnvoller ist es, sich individuell die Verteilung in wichtigen E-Sport-Titeln anzuschauen. Dabei werden große Unterschiede deutlich. Je dunkler das Land auf der Karte eingefärbt ist, desto höher ist die Summe des erspielten Preisgeldes. Für die grauen Länder liegen keine Daten vor oder es wurde kein Preisgeld gewonnen. Auch wenn ein Blick auf die "Counter Strike"- oder "Fortnite"-Turniere den Eindruck vermitteln könnte, der Westen habe in den Genres First-Person-Shooter und Battle-Royale die Nase vorn – dieser Eindruck täuscht, sagt E-Sport-Kommentator Mori: „Es ist nicht so dass die Asiaten viel weniger Shooter spielen würden, es sind einfach andere Shooter populär. Crossfire, einer der größten Shooter weltweit, ist halt der, der in Asien gespielt wird. Deshalb setzt sich "Counter Strike" da nicht durch.“ So können andere andere Nationen glänzen: Im Falle von "Counter Strike" kommen die erfolgreichsten Spieler*innen zum Beispiel aus Dänemark. Und Battle-Royale-Titel wie "Fortnite" würden in der E-Sport-Szene eher belächelt werden und deshalb in Ländern wie Korea nicht so gerne professionell gespielt werden.
In den Spielen, die weltweit gespielt werden, wie beispielsweise "League of Legends", sind China und Südkorea hingegen uneinholbar weit vorne. Von 2010 bis 2020 gingen insgesamt 33 Prozent des Preisgeldes an Korea und 18 Prozent an China. Zum Vergleich: Nach Deutschland gingen gerade mal zwei Prozent. Von den neun Weltmeister-Titeln in "League of Legends" gingen acht nach Asien – lediglich die allererste Weltmeisterschaft gewann das europäische Team Fnatic, und das vermutlich auch nur, weil das Spiel in Asien damals noch nicht populär war.
Noch extremer sieht es beim Strategiespiel "StarCraft II" aus: Korea ist seit Beginn die dominierende Macht und selbst wenn die Popularität des Spiels in den vergangenen Jahren abgenommen hat, spricht die Rangliste der aktuellen Saison eine klare Sprache: Sieben der zehn besten Spieler*innen kommen aus Korea. Es gibt zwei Ligen: Eine für Korea – und eine für den Rest der Welt. Und der Vorsprung werde sich auch in keinem der Spiele so schnell verringern, sagt Mori: „Also in den nächsten Jahren denke ich nicht, dass wir an Korea rankommen, da muss man realistisch sein. Die Lücke ist zumindest im Kompetitiven eher größer geworden, nachdem es ein zwei hoffnungsvolle Jahre gab.“
Ein Alltag zwischen Gaming-Cafés und E-Sport-Stars
Ein Grund für diesen Vorsprung liegt in der kulturellen Anerkennung von Gaming und E-Sport. In Korea gibt es bereits um die Jahrtausendwende professionellen E-Sport. Die "Korean e-Sports Association" (KeSPA) wurde bereits 2000 gegründet, ist Mitglied im Koreanischen Olympischen Komitee und dem Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus untergeordnet. Videospiele sind in der Gesellschaft kein Tabuthema, sondern Teil des Lifestyles vieler Koreaner*innen. „So wie wir uns abends in einer Bar treffen, treffen sich die Leute in Korea in Gaming-Cafés und spielen zusammen.“ Auch der Beruf als Pro-Gamer*in ist deutlich anerkannter. „,BoxeR‘ – ein ganz ikonischer Spieler damals – hat in den 2000ern DVDs mit seinen besten Plays verkauft“, erinnert sich Mori. „Da haben wir uns in Deutschland noch mit Killerspiele-Debatten abgemüht. Dann ist natürlich klar: Wenn die das schon immer gespielt haben, dann dominieren sie auch die Szene.“
Die höhere Akzeptanz in der Gesellschaft spiele eine immense Rolle bei der Entwicklung des E-Sports, weil mit mehr Akzeptanz auch mehr Förderung möglich werde. Damit gehe auch eine Professionalisierung der Szene einher, sagt Mori. Die Teams haben eigene Teamhäuser, in denen sie leben und trainieren, Trainer*innenteams und Analyst*innen. Diese Strukturen würden Talente fördern und eine produktive Umgebung für die Spieler*innen schaffen.
Und einen weiteren entscheidenden Vorteil gibt es in Korea: Das Land ist technologisch enorm weit entwickelt. Der ICT Development Index (IDI) wurde von der Internationalen Fernmeldeunion (International Telecommunication Union, kurz: ITU) der Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Der Index misst die Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien in den verschiedenen Ländern der Welt und stellt jährlich ein Ranking auf. Dabei geht es zum Beispiel um die Erreichbarkeit von Technologien, aber auch um die Nutzbarkeit und die Skills der Bevölkerung. Seit Jahren ganz vorne: Korea. Die Internetabdeckung ist überragend und die Bevölkerung hat eine hohe Technikkompetenz. Deutschland kämpft sich währenddessen nach oben: 2010 noch auf Rang 17 kommt die Bundesrepublik 2017 bereits auf Platz zwölf. Vorreiter in Europa sind die skandinavischen Länder und die Schweiz.
Im IDI nicht weit vorne, aber dennoch eine aufstrebende E-Sport-Nation ist China. Videospielkonsum wird dort zwar durch die Regierung stark beschränkt, professioneller E-Sport allerdings gefördert, erklärt Mori: „Da sagt die Regierung einfach: ‚Wir stampfen jetzt einfach mal so ein E-Sport-Dorf aus dem Boden und pumpen da ganz viel Kohle rein.‘“ Besonders in "Dota 2" dominieren die chinesischen Spieler*innen, aber auch in anderen Spielen werden sie besser und besser. „Dann ist da ja noch der Unterschied, dass da über eine Milliarde Menschen leben. Das heißt der Druck ist ganz anders, wenn du zum Beispiel in "League of Legends" Challenger sein willst, was ja nur die Top 200 sind – einfach, weil sich viel mehr Leute drum kloppen. Und das ist ja dann schon fast Evolutionstheorie: Wenn der Druck größer ist, kommt etwas stärkeres heraus.“
Der afrikanische E-Sport-Frühling
Ein Blick auf die Korrelation zwischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und gewonnenem Preisgeld zeigt: Länder mit höherem BIP haben eine größere Erfolgsquote im E-Sport. Auch wenn das Preisgeld nicht die aussagekräftigste Zahl für diesen Zusammenhang ist, zeigt sich hierdurch doch, in welchen Ländern Geld und damit gegebenenfalls auch Ressourcen für E-Sportler*innen vorhanden sind. Besonders eine Branche wie die Gamingbranche ist stark von Sponsoren abhängig, die vermutlich eher in wirtschaftlich stärkere Länder investieren.
Länder wie Japan scheinen unter ihrem Potenzial zu liegen, doch dafür gibt es einen Grund, weiß Mori: „Japan ist eher ein Konsolenmarkt, dort werden vor allem Playstation- und Nintendo-Konsolen gekauft.“ Bei den meisten populären E-Sport-Titeln handele es sich aber eben um PC-Spiele. Außerdem gibt es Ausreißer wie beispielsweise Indien, das trotz eines hohen BIP im E-Sport bisher nicht besonders erfolgreich ist. Hier könnte die schiere Größe der Bevölkerung darüber hinwegtäuschen, dass das BIP pro Kopf in Indien eigentlich sehr gering ist. Auch Südafrikas Erfolg liegt unter dem Durchschnitt. Es ist eines der wenigen Länder Afrikas, die in den großen internationalen Turnieren auftauchen. In den großen Titeln entscheidet sich vieles zwischen Amerika, Asien und Europa.
Warum das so ist, kann sich Sylvia Gathoni gut erklären. Sie ist als „Queen Arrow“ in der afrikanischen E-Sport-Szene unterwegs. Die 22-jährige Kenianerin ist professionelle "Tekken"-Spielerin, ein klassisches Beat-‘em-up-Game, in dem die Spieler*innen als virtuelle Charaktere in Duellen gegeneinander kämpfen. Sie hat ein klares Ziel vor Augen: „Ich will die bekannteste E-Sportlerin Afrikas werden. Ich will zeigen, dass jeder diese Chance nutzen kann. E-Sport soll für alle sein.“ Um interkontinental mitmischen zu können, müssen die Athlet*innen aus Afrika aber ganz andere Herausforderungen meistern als ihre Konkurrenz aus Europa, Amerika oder Asien. „Computer, Konsolen, Headsets – die ganze Ausrüstung kann sich hier kaum jemand leisten“, berichtet Sylvia. „Es gibt zwar Gaming-Cafés, die das Problem teilweise beheben, aber das ist immer noch ziemlich teuer. Man muss die Fahrtkosten zum nächsten Gaming-Café einberechnen – und da muss dann auch noch das Spiel verfügbar sein, das ich spielen will.“ All das und die fehlende staatliche Unterstützung machen eine professionelle Karriere im E-Sport in Kenia und vielen anderen afrikanischen Staaten schwer.
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Aber auch hier entdecken Sponsoren wie RedBull oder nationale Internetanbieter das Potential der Branche und steigen als Sponsoren in Turniere ein. Und Sylvia ist zuversichtlich, dass diese Entwicklung weitergehen wird: „Durch das Internet und den technologischen Fortschritt wächst die Welt zu einem globalen Dorf zusammen. Der E-Sport ist eine Millionen-Dollar-Industrie und könnte der Wirtschaft guttun. Ich würde es ehrlich gesagt sogar absurd finden, wenn die Regierungen nicht früher oder später auf den Zug aufspringen würden.“ Eine Vermutung, die die Prognosen von Newzoo unterstützen: Seit Jahren steigen die Einnahmen in der Gaming-Industrie kontinuierlich an, auf inzwischen mehr als 150 Milliarden US-Dollar. Der Großteil wird dabei im pazifisch-asiatischen Raum generiert, aber der afrikanische Markt wächst. 2020 macht er drei Prozent der Gaming-Industrie aus. Und er ist voller leidenschaftlicher Spieler*innen, die bereit sind, sich ihre Position in der Welt zu erkämpfen – so wie Sylvia.
Beitragsbild: picture alliance/EPA-EFE / Victor Lerena