Lana Kostić spielt Cello und entwickelt dabei ungewöhnliche Klänge. Im Interview erzählt sie von Narben in der bosnischen Gesellschaft, vom europäischen Musikgeschäft und davon, warum ihr das Cellospielen so viel bedeutet.
Juni 2022 im Café Tito in Sarajevo: Es ist ein sehr heißer Tag, Lana Kostić sitzt unter einem Sonnenschirm. Auf dem Tisch vor ihr stehen Kaffee und ein Glas Wasser. Lana hat dunkle, lange Haare und eine ruhige Art. Vor jeder Antwort nimmt sie sich Zeit zum Nachdenken.
Du bist in Sarajevo aufgewachsen. Was verbindest du mit der Stadt?
Lana: Sarajevo ist die Stadt meiner Kindheit, die Stadt, in der ich geboren wurde und deshalb wird sie immer ein sehr spezieller Ort für mich sein und bleiben. Ich bin nicht so gut mit den Wörtern, deshalb schreibe ich ja Musik.
In deinem Lied „Sarajevo“ singst du unter anderem: It’s a town where people eat people […] it’s a blackbox. Später singst du: But I’m in love with this blackbox. Worum geht es dir bei dem Lied?
Lana: Ich bin hier aufgewachsen, und alle Konflikte, die ich dabei hatte, sind damit gemeint. Es ist sehr persönlich. Natürlich, es geht einerseits auch um diese politische Dimension und diesen schrecklichen Krieg in den neunziger Jahren, aber das ist nicht alles. In dem Lied geht es auch um intime, persönliche Kämpfe, die jeder von uns mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Um diese verschiedenen Teile eines Selbst, die manchmal sehr widersprüchlich sind.
Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen sind in der jungen Generation also gar nicht mehr so ein Thema?
Lana: Ich weiß es nicht, für mich und für die Leute, mit denen ich verkehre jedenfalls nicht. Aber das hat auch damit zu tun, dass ich aus einer multi-nationalen, multi-konventionellen Familie stamme und mir somit nichts anderes übrig bleibt. Aber so oder so – diese balkanischen Konflikte sind an Absurdität kaum zu übertreffen.
Das Café Tito liegt direkt neben dem Historischen Museum Bosnien-Herzegowinas. Wie an vielen Häusern in der Stadt sieht man noch Einschusslöcher aus der Zeit der Belagerung Sarajevos in den Außenmauern. Vor dem Museum stehen alte Panzer, die nicht mehr in Betrieb sind. Darauf und drumherum spielen Kinder. Am Tisch hören wir ihr Lachen und ihre Rufe.
Wie lange ist die Musik schon Teil deines Lebens?
Lana: Schon immer. Meine Eltern spielen beide Instrumenten und singen. Zu Hause gab es immer super viel Musik. Ein Nachbar von uns war Konzertmeister und einmal war ich mit ihm gleichzeitig im Aufzug. Ich habe vor mich hingesungen und da meinte er: ‚Wow du hast ein tolles Gehör und riesige Hände! Du musst Cello spielen!‘. Ohne das zu hinterfragen, habe ich mit Cello angefangen. Da war ich vier oder fünf Jahre alt.
Was begeistert dich am Cello so sehr, dass du so viel Energie da reinsteckst?
Lana: Ich liebe den Klang einfach. Ich liebe die Komplexität und das emotionale Spektrum, das man mit dem Cello ausdrücken kann.
Lana Kostić hat in Bremen, München und in verschiedenen Schweizer Städten Musik studiert. Sie komponiert und mischt dabei verschiedene Stile wie Klassik, Pop und Jazz. Sie gibt international Konzerte und war schon Gast beim renommierten Montreux Jazz-Festival.
Was für Emotionen verarbeitest du mit deiner Musik?
Lana: Musik machen ist für mich wie ein Spiel. Ich habe mich einmal zum Beispiel damit beschäftigt: Gibt es wirklich Originalität? Ist eine Idee wirklich real oder wiederholt man immer nur Sachen, die es schon gab? Bei einem Projekt habe ich meine Gehirnwellen gemessen und dann nachgespielt. Mich bewegt die Frage: Kann man wirklich frei entscheiden oder nicht? Auch wissenschaftliche Studien sind sich ja nicht einig darüber, wie frei der Wille des Menschen ist.
Dazu passt eine Zeile aus deinem Lied „Capitalism“. Sie heißt freedom is a form of dead letters. Wie meinst du das?
Lana: Ich habe das Gefühl, man lebt so vor sich hin und hat so bestimmte Träume und Vorstellungen, bestimmte Werte. Sowas wie Erfolg. Ich nehme mich da gar nicht aus. Du musst einen schicken Urlaub machen, dafür musst du dann viel arbeiten, damit du dir das auch leisten kannst. Aber das kommt alles von draußen. Ich habe das Gefühl, man rennt die ganze Zeit den Sachen hinterher, die man vielleicht gar nicht unbedingt will. Aber durch Filme, Musik und die Gesellschaft ist das so verinnerlicht, dass man gar nicht in anderen Formen denken kann.
So eine antikapitalistische Message kennt man eigentlich vom Punk oder Hip-Hop. Aber mit dem Genre, in dem du dich bewegst, gibt es das nicht so oft. Warum findest du, dass das passt?
Lana: Ich habe da noch nie viel drüber nachgedacht, aber ich erinnere mich jetzt an ein Interview von Stromae, einem belgischen Musiker. Er ist sehr erfolgreich im Pop, hat aber zum Beispiel im letzten Album über Depression und suizidale Gedanken gesprochen, was eigentlich überhaupt nicht in das Genre Pop passt. So Botschaften gibt es immer wieder, auch da, wo man sie vielleicht nicht erwartet.
Und welche Themen sprichst du in deiner Musik noch an?
Lana: Ich habe auch mal Stücke aus der klassischen Musik genommen, sie auseinander geschnippelt und neu zusammengeklebt. Musik machen ist wirklich wie spielen für mich.
Dann habe ich auch Themen, die mich belasten oder so in mir aufkommen. Während Corona wurde die ganze Existenz der Musiker in Frage gestellt. Plötzlich war dein Beruf nicht mehr existent. Trotzdem habe ich in meiner Musik überhaupt nicht über dieses Thema nachgedacht. Sondern da kamen auf einmal so Gedanken über den Balkan. Ich hatte auf einmal Zeit zum Nachdenken. Und die letzten zwei Jahre habe ich dann ganz viel darüber nachgedacht und mein nächstes Album beschäftigt sich mit dem Balkan, Bosnien, mit der Geschichte und der Zukunft.
Und worum gehts dabei inhaltlich?
Lana: Es geht um die Wahrscheinlichkeit eines neuen Genozids. Ich befürchte dass ‚nach dem Genozid vor dem Genozid ist‘ und in meiner Musik habe ich versucht, Sensibilität dafür zu schaffen.
Am Abend vor dem Interview ist Lana als Lakiko bei der „Beyond Europe Sarajevo Music Conference“ aufgetreten. Die Konferenz ist ein Austausch von Musiker*innen, Producer*innen, Musikjournalist*innen und anderen aus der Musikszene. Organisiert wird sie vom selben Team, das auch das jährliche Jazzfestival in Sarajevo ausrichtet.
Würdest du sagen, dass ein Musikfestival wie dieses ein guter Raum ist, um diese Sensibilität zu schaffen?
Lana: Kommunikation mit Sprache kann sehr ungenau sein. Und in Kommunikation mit Kunst ist es natürlich noch viel ungenauer, ich glaube, da interpretiert jeder und jede, was sie oder er eben will. Aber Kunst bietet auf jeden Fall eine Plattform, etwas auszudrücken, was man so vielleicht nicht sagen würde. Und das ist total schön. Ich finde diese Musik-Konferenz hier richtig cool. Dass sie außerhalb der EU stattfindet und Musiker und Gruppen von hier die Chance haben, was zu präsentieren.
Gibt es im europäischen Musikgeschäft weniger Raum für Menschen, die nicht aus der EU kommen?
Lana: Ich glaube schon. Ich bin für meine Ausbildung ja auch nach Deutschland gegangen, weil die Bildung für Musik einfach unvergleichbar ist mit den Bedingungen hier. Da steckt auch unheimlich viel Geld hinter. In der Schweiz war das dann noch eine Nummer größer als in Deutschland. Da war ich in Bern und Zürich. Da gab es wirklich alles: ein Studio, Kameras, Mikros, ein unglaubliches Niveau unter den Professoren. Für Projekte waren Professoren aus der ganzen Welt da.
Das heißt, wer oben mitspielen will, muss zum Lernen in solche Länder gehen?
Lana: Ja. Außer so super Genies, die sich alles selbst beibringen können.
Lana spricht im Interview deutsch. Als Kind hat sie mit ihrer Familie einige Jahre in Deutschland gelebt. Sie hat sich die Sprache bewahrt, als sie wieder zurück in Sarajevo war. Das hat auch deshalb geklappt, weil ihre Mutter ihr deutschsprachige Kinderbücher gekauft hat. Mit dem Kellner vom Café Tito spricht sie bosnisch. In ihren Liedern benutzt sie beide Sprachen und dazu noch englisch.
Ist deine Musik auch von traditioneller bosnischer Musik beeinflusst?
Lana: Ja, manchmal merkt man das im Rhythmus. Sarajevo ist zum Beispiel im 7/8tel Rhythmus, das ist eher so ein Balkan-Ding, damit bin ich viel aufgewachsen. Und ich glaube, man merkt es auch in der Stimme. Meine Eltern singen viel traditionelle Lieder. Und das lernt man dann halt, diese Vierteltöne. Die Stimme ist angelehnt an die Sevdalinka. Das ist in Bosnien die traditionelle Art zu singen. Sehr melancholisch und poetisch. Es gibt darin eine spezielle Gesangstechnik, die beeinflusst ist vom Osmanischen Reich, das hier 500 Jahre lang war. Trotzdem ist es kein arabischer Gesang, es hat sich sowas Eigenes entwickelt.
Du mischst nicht nur unterschiedliche Musikstile, sondern auch Sprachen. Welche Rolle spielt das in deiner Musik?
Lana: Mein Leben ist eigentlich auf drei Sprachen und bestimmte Themen gehen für mich dann nur in der einen Sprache. Ich glaube, das Gehirn funktioniert auch anders, je nachdem, welche Sprache man spricht.
Kannst du sagen, welche Themen du mit welcher Sprache verbindest?
Lana: Nicht so konkret. Deutsch ist extrem präzise und hat einen riesigen Wortschatz, viel größer als der Bosnische zum Beispiel. Deutsch ist aber eine sehr unmelodische Sprache. Andererseits passt manchmal genau das. Englisch kann ich von den drei Sprachen am schlechtesten und wenn ich die Sprache benutze, ist das wie ein Schutz. Es fällt mir dann leichter, Sachen zu sagen, weil es eine größere Distanz zu der Sprache gibt als zu meiner Muttersprache.
Beitragsbild: Charlotte Groß-Hohnacker