Tage des Zorns: Als der Arabische Frühling in Ägypten begann

Vor elf Jahren gingen zehntausende Menschen in Kairo auf die Straße, um das ägyptische Regime zu stürzen und Freiheit, Würde und Gerechtigkeit zu fordern. Heute geht es dem Land schlechter als vor den Protesten. Was geschah nach dem ersten „Tag des Zorns“?

Vor genau elf Jahren beginnt in Ägypten ein Volksaufstand, durch den das ägyptische Volk einige Zeit später den Langezeitherrscher Hosni Mubarak stürzt. 25.000 Menschen gehen am 25. Januar, dem ersten Tag des Zorns, auf die Straße und versammeln sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Vertreter*innen aller Gesellschaftsschichten und verschiedener politischer Lager werden von nun an fast drei Wochen den Tahrir-Platz besetzen. Sie eint der Wille nach Veränderung und die Forderung nach dem Sturz des Mubarak-Regimes.

Präsident Mubarak ist zum Beginn der Proteste bereits seit 30 Jahren im Amt. Sein autokratischer und repressiver Führungsstil haben ein Land hervorgebracht, das von Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Unterentwicklung und Wohlstandsgefällen gezeichnet ist.

Gerade jungen Menschen fehlen damals aufgrund von Armut und einem unzureichenden Bildungssystem die Zukunftsperspektiven. So sind knapp ein Viertel der 15- bis 24-Jährigen laut dem Human Development Report des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNPD) 2010 arbeitslos. Die Analphabetenquote liegt bei der Bevölkerung ab 15 Jahren im selben Jahr bei 30 Prozent.

Doch auch ein externer Faktor spielt nach Einschätzung von Dr. Stephan Roll für die Aufstände eine entscheidende Rolle. Roll leitet die Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik und beschäftigt sich unter anderem mit den wirtschaftlichen Entwicklungen in Ägypten. Er erinnert daran, dass nur ein paar Wochen vor den Protesten in Kairo tausende Menschen in Tunesien wochenlang und erfolgreich gegen den Langzeitherrscher Zine-el-Aidine Ben Ali demonstriert hatten. Das habe eine Kettenreaktion ausgelöst, sagt Roll. So erreicht der vor allem von westlichen Ländern bezeichnete arabische Frühling Anfang 2011 Ägypten.

Mubarak reagiert auf die Proteste mit Härte und Repression. Neben einer Ausgangssperre in Kairo, Alexandria und Suez lässt der Autokrat das Internet und Mobilfunknetz ausschalten. Immer wieder kommt es zu Unruhen mit Toten und Verletzten, wenn Sicherheitskräfte und Demonstrierende aufeinandertreffen. Nach Angaben von Amnesty International werden bei den Protesten 840 Menschen getötet und beinahe 6500 verletzt. Sicherheitskräfte verhaften tausende Demonstrant*innen.  Doch die Proteste sind nicht mehr aufzuhalten. Über zwei weitere Wochen hinweg strömen zehntausende Menschen täglich auf den Tahrir-Platz, bis sich Mubarak am 11. Februar zurückzieht.  Die Menschen in Ägypten feiern, sie haben ihr Ziel erreicht.

 

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An Stelle Mubaraks tritt übergangsweise der oberste Militärrat. Unter der Führung von Feldmarschall Muhamed Hussein Tantawi stellt der Rat der ägyptischen Bevölkerung einen friedlichen Übergang zu einer gewählten Regierung in Aussicht. Im November 2011 finden die ersten freien Parlamentswahlen statt. Stärkste Kraft wird mit 37,5 Prozent die islamistische Muslimbruderschaft mit ihrer „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“. Auch bei den Präsidentschaftswahlen im Juni 2012 sind die Muslimbrüder erfolgreich: Ihr Kandidat Mohammed Mursi gewinnt im zweiten  Wahlgang.

Doch Mursi schafft es nicht, das Land zu einen. „Er hat zuerst an die Bruderschaft gedacht und nicht ans Volk“, erklärt Dr. Roll. Im Juli 2013, ein Jahr nach Mursis Amtsantritt, putscht sich das Militär unter Abd al-Fattah Al-Sisi an die Macht. Im Zuge dessen verhaftet das Militär zunächst den gesamten Führungskader der Bruderschaft, verbietet die Gruppierung und stuft sie als terroristische Organisation ein. Im darauffolgenden Jahr gewinnt General Al-Sisi die Präsidentschaftswahlen mit 96,9 Prozent der Stimmen. Es ist das Ende des vermeintlichen Arabischen Frühlings in Ägypten.

Der frühere Militärchef Al-Sisi fährt seither einen repressiven Kurs statt auf politische Partizipation oder Integration zu setzen, wie der Politiker Franz Maget in seinem Buch zum arabischen Frühling feststellt. Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind stark eingeschränkt, die Medien werden zensiert und die Wirkungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen sind gering. Mindestens 60.000 politische Gefangene zählt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch seit dem Militärputsch.

Die sozioökonomischen Probleme, die die Menschen damals auf die Straße getrieben haben, bestehen weiterhin fort oder haben sich zu Teilen verschlimmert. So liegt die Arbeitslosenquote bei der jungen Bevölkerungsschicht seit 2012 immer über 30 Prozent, wie aus den Human Development Reports der UNPD zwischen 2012 bis 2019 hervorgeht. 2010 war knapp ein Viertel der jungen Leute arbeitslos. Beinahe 28 Prozent der Ägypter*innen leben 2015 unterhalb der Armutsgrenze, wie im Länderbericht des Bertelsmann Transformation Index festgestellt wird – das ist ein Anstieg von mehr als sechs Prozentpunkten seit 2008. Die Analphabetenquote im Land entwickelt sich zwar positiv, doch bleibt mit knapp 26 Prozent weiterhin hoch. „Die soziale Situation ist dramatisch, schlechter als vor 2011“, lautet die Bilanz von Dr. Roll.

Beitragsbild: Pixabay/ sonjarotter

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