Wer oder was ist im Sport besonders? Sophie Rensmann und ihr „Special-Team” beim Tennis Club Eintracht Dortmund sind es allemal – und das nicht nur wegen des Namens. Was vor fünf Jahren mit der Gründung begann, ist heute weitaus mehr als nur eine Sportmannschaft.
Gold-weiß gestreift, ein weißer Kragen, den schwarzen Bundesadler auf dem linken Ärmel und das Logo der Special-Olympics oberhalb der linken Brust – Sophies T-Shirt ist schon von Weitem auf dem Gelände des TC Eintracht Dortmund zu erkennen. Sophie steht auf einem der hinteren roten Aschenplätze und hält ihren blau-weißen Schläger mit der orangenen Innenseite fest in der Hand. „Vollgas, Sophie, sobald der Ball im Spiel ist“, ruft ihr Trainer Olaf, der ihr gegenüber auf der anderen Seite des schwarzen Netzes neben einem Einkaufswagen voll von gelben Tennisbällen steht. Es ist Montag und die Dortmunderin legt wieder Mal eine Sonderschicht im Einzeltraining ein. Die negativen Ereignisse der letzten Wochen müssen aufgearbeitet und verdrängt werden.
Erst ein paar Tage ist es her, da ist Sophie noch zu den Nationalen Spielen der Special Olympics nach Berlin gefahren. Doch ausgerechnet am Tag der Eröffnungsfeier kam die Hiobsbotschaft für die 25-jährige Dortmunder Tennisspielerin: Ein positiver Corona-Test macht einen Start unmöglich. Sophie muss frühzeitig abreisen. Und mehr noch, auch die Qualifikation für die Weltspiele in Berlin im kommenden Jahr ist in Gefahr, denn Sophie fehlt jetzt ohne einen Erfolg bei dem nationalen Wettbewerb ein wichtiger Qualifikationspunkt für die Weltspiele. „Das fand ich fürchterlich und doof, dass ich da direkt wieder nach Hause fahren musste“, sagt Sophie. Allerdings hofft sie noch auf einen der begehrten Plätze nachrücken zu können, denn kaum jemand erfüllt derzeit alle Nominierungskriterien. Der Traum von „Berlin 2023“ ist daher für die Dortmunderin weiterhin lebendig. Fest steht: Bei den Landesspielen in Bonn ist ein gutes Abschneiden Pflicht – auch wenn es in letzter Zeit nicht so lief, wie ursprünglich erhofft.
Und genau deswegen steht Sophie auch an diesem Montagabend mit Übungsleiter Olaf auf dem Tennisplatz. Es geht sichtbar um Feinheiten. So steht der Rückschlag des Balles nach Angabe im Vordergrund. Immer und immer wieder derselbe Ablauf. Hochkonzentriert fiebert Sophie jedes einzelne Mal dem Aufschlag des Trainers entgegen und schlägt zumeist den Ball zurück ins Feld. „Prima“ lautet das lobende Wort von der Gegenseite. Im Hintergrund bewässert ein Sprinkler den nebenliegenden Platz. Ab und an rollt ein Regional-Express über die Gleise, die kurz hinter dem Zaun entlangführen.
Wie alles begann
Sophie kennt die Tennis-Anlage gut. Bereits mit vier Jahren hat sie hier mit dem Tennis spielen begonnen. Durch ihre Familie ist sie zu dem Sport gekommen und hat seit damals immer und konsequent gespielt – ganz egal, ob Sommer oder Winter. Doch in der Zeit hat sich für Sophie einiges im Verein verändert. Während sie anfänglich noch im Hobby-Bereich mittrainierte, hat sich mittlerweile eine eigene Mannschaft gegründet, das „Special-Team“ für Menschen mit geistiger Behinderung. „Alles fing damit an, dass für Sophie bei uns im Training so ein wenig die Luft raus war“, erzählt Tennis-Trainer Olaf Kirchner zur Gründung des Teams. „Nachdem sie dann bei den ersten Special-Olympics-Turnieren war und dort Erfolge feiern konnte, ist sie viel motivierter zurückgekommen. Danach haben wir überlegt, dass es eine dauerhafte Gruppe geben müsste.“ Gesagt, getan.
Seit 2017 gibt es das „Special-Team“ beim TC Eintracht Dortmund. Und Sophie, die nach einer Koma-Situation mit zwei Jahren autistische Züge hat, ist ein Teil davon. Im Schatten des Westfalenstadions hat sich die zehnköpfige Gruppe im Verein etabliert – mehr noch, sie wird vom Verein nicht nur toleriert, sondern akzeptiert, betont Kirchner. So helfen auch mal Nachwuchssportler*innen aus den Jugendmannschaften bei den Einheiten aus. „Das Team ist einfach ein Teil des Clubs und das ist sehr schön“, sagt Olaf Kirchner. Das wöchentliche Training mit der Tennisgruppe am Samstagmorgen zwischen 10 und 11 Uhr ist für Kirchner nicht vergleichbar mit seinen sonstigen Tätigkeiten bei anderen Mannschaften: „Sie vertrauen mir einfach mehr und das ist natürlich ein schönes Gefühl für einen Trainer, dass sie an dich glauben und das auch annehmen, was du sagst. Sie sagen dir viel ehrlicher, wenn etwas gut ist. Genauso aber auch, wenn etwas doof ist. Das erdet alles so ein bisschen.“ Die Arbeit mit der Gruppe bereite ihm einfach Spaß und Freude.
Gefühlswelten, die auch Sophie aus Spielerinnensicht nur teilen kann: „Ich komme mit allen gut klar und es macht mir Spaß.“ Für sie hat das Team noch eine ganz andere Bedeutung. „Ich habe hier welche, die sind so wie ich und das macht mir mehr Spaß, als mit den anderen zu trainieren“, erklärt Sophie. „Man merkt, dass sie durch die starke sportliche Entwicklung in den letzten Jahren viel selbstbewusster, eigenständiger und offener geworden ist“, meint Olaf Kirchner. Die meisten ihrer Teamkolleg*innen waren für Sophie bereits vor Gründung des Teams bekannt. „Ich kannte sie aus der Werkstatt“, sagt Sophie und meint damit die sozialtherapeutischen Werkstätten des Christopherus-Haus e.V., die auf dem Gelände der ehemaligen Dortmunder Zeche Gottessegen gegründet wurden. Dort arbeiten Sophie und einige anderen und nähen und färben Ledertaschen und Gürtel.
Weltspiele in Abu Dhabi haben Lust auf mehr gemacht
Neben dem Tennis schlägt Sophies Herz noch für eine weitere Sportart: das Skifahren. „Ich war drei Jahre alt, als ich das erste Mal auf Skiern stand“, verrät Sophie. Auch in dieser Sportart ist sie sehr aktiv und das – wie im Tennis – sehr erfolgreich. So nahm Sophie nicht nur an den Nationalen Winterspielen in Berchtesgaden 2020 teil, sondern wäre zu Beginn des kommenden Jahres auch zu den Weltwinterspielen nach Kazan gereist, um dort an den Start zu gehen. „Die sind leider aufgrund der aktuellen politischen Lage abgesagt worden und Sophies Qualifikation ist damit auch nicht mehr gültig“, erklärt Vater Fritz, der Sophie in allen Bereichen unterstützt. Zwar fällt dieser sportliche Höhepunkt weg, Sophie möchte trotzdem dranbleiben.
Und das auch, weil das Erlebte bei den vergangenen Spielen Lust auf mehr gemacht hat. Wenn Sophie auf die Sommerweltspiele in Abu Dhabi angesprochen wird, beginnt sie mit strahlenden Augen zu erzählen: „Die Eröffnungsfeier mit dem großen Feuerwerk und der Airbus A380, das ist mir besonders in Erinnerung geblieben.“ Bemerkenswert, weil Sophie selbst vor drei Jahren dort die Bronze-Medaille gewann. „Natürlich spiele ich auch, um zu gewinnen“, entgegnet Sophie, die sich bei ihrem Weg zur Medaille auch nicht von widrigsten Bedingungen wie einem Sandsturm und enormer Hitze aufhalten ließ. „Und dann habe ich auch noch bei Flutlicht gespielt, das habe ich noch nie gemacht“, erzählt Sophie. Besonders anstrengend sei das Spiel gegen die Venezuelanerin gewesen. Gute eineinhalb Stunden hätte das Match gedauert mit dem besseren Ende für die Dortmunderin. „Auf dem Hartplatz zu spielen bei den Bedingungen, wenn man das nicht gewohnt ist… boah ey, das war anstrengend. Danach musste ich dann auch mal Magnesium einnehmen“, sagt sie und beginnt zu lachen.
Abu Dhabi zählt aber nicht nur für die Athletin zu ihren bisherigen sportlichen Highlights. Auch für Trainer Olaf Kirchner war die Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate prägend. „Ich wäre niemals nach Abu Dhabi gekommen, wenn Sophie nicht gewesen wäre“, sagt Olaf dankbar. „Ich habe ganz persönlich viele tolle Momente erlebt, die ich ohne das Team einfach nie selbst erlebt hätte. Mit einer großen Gruppe zu den Landesspielen zu fahren, das ist schon schön. Und dieses Team ist auch einfach besonders.“ Auch deswegen laufen die Vorbereitungen für die bevorstehenden Wettkämpfe in Bonn beim Team und für Sophie auf Hochtouren.
Das Ziel im Blick
Und trotzdem ist Sophie der Spaß am Spiel ins Gesicht geschrieben – selbst, wenn mal ein Ball beim Training das Ziel verfehlt oder sie selbst einen gar nicht erreicht. „Los, schnapp ihn dir!“ motiviert der Trainer Sophie noch einmal bei einem der letzten Versuche. Kurz darauf erklärt der seit mehr als 20-Jahren im Verein aktive Coach die etwa einstündige Einheit für beendet. Erschöpft, aber glücklich lässt Sophie ihre Arme, die gerade noch voll auf Spannung den nächsten Ballwechsel erwarteten, nach unten sacken. Sie geht zu ihrer blau-weißen Trainingstasche, legt den Schläger ab und nimmt einige Schlucke aus ihrer Trinkflasche. Bevor sie die Anlage für diesen Tag endgültig verlassen darf, müssen noch Bälle eingesammelt und der Platz abgezogen werden. Mit dem etwas in die Jahre gekommenen Metallnetz dreht sie einsam ein paar Runden über das Spielfeld und lässt dadurch die entstandenen Fußspuren in der roten Asche verschwinden. Schon bald wird sie wieder auf dem Platz stehen und sich weiter auf die für sie so wichtigen Landesspiele vorbereiten. Doch vorher geht es erstmal in den Urlaub. Auch um Kräfte für die bevorstehenden Aufgaben zu sammeln und die turbulenten letzten Wochen etwas zu verdauen. Immer mit dem festen Ziel im Blick: Das größte Sportevent im kommenden Jahr, die Weltspiele im eigenen Land, in Berlin.
Beitragsbild: Sophie Rensmann ist 25 Jahre alt und spielt seit ihrer Kindheit Tennis. Foto: Privat