Social Media, Stress, Abgaben ohne Ende. Ruhe fühlt sich für Studierende manchmal an wie ein Konzept aus einer Parallelwelt. Dabei ist sie so wichtig für uns. Unser Autor hat sich auf die Suche nach Ruhe in der Hektik der Großstadt gemacht.
Von zwölf auf acht Sekunden. So sehr hat sich unsere Aufmerksamkeitsspanne, laut einer Studie von Microsoft, seit 2000 verkürzt. Das habe ich deutlich gespürt in letzter Zeit. Denn ich habe ordentlich unter Strom gestanden: Ständig gab es Deadlines und das Jonglieren von Aufgaben zu bewältigen. Die Leiden der Studierenden in modernen Zeiten: Geringe Aufmerksamkeitsspanne und viel Ablenkung durch den reißenden Strom von Social Media.
Diese Dauerstimulation hat ihre Folgen. Mein Gehirn war einfach völlig überfordert mit Stille. Ich würde sogar sagen, überwältigt. Oft verlangt mein Gehirn morgens nach Stimulation. Musik oder Podcasts hören, auf Instagram scrollen und zu nichts kommen. Weder Produktives noch Entspannendes. Und genau deshalb habe ich mich damit beschäftigt: Wie ist es eigentlich um Ruheorte in Dortmund bestellt?
Tempel der Ruhe
Auch, wenn viele das nicht wahrhaben wollen, Dortmund ist eine fantastisch grüne Stadt. Tatsächlich die grünste Europas und die viertgrünste der Welt, jedenfalls laut Analysen des städtischen Vermessungs- und Katasteramtes Dortmund. Also habe ich mich auf die Recherche begeben und bin in Bodelschwingh fündig geworden. Im Waldgebiet dort gibt es den Tempel der Ruhe – welchen passenderen Ort hätte ich mir aussuchen können als diesen? Bodelschwingh ist einer dieser Stadtteile, der mich damit überrascht, immer noch Teil von Dortmund zu sein, weil er so weit außerhalb liegt.
Der Plan ist also, mich so wenig wie möglich abzulenken und auf meine Umwelt einzulassen, zur Ruhe zu kommen. Schon bevor ich los bin, merke ich, wie ich innerlich herunterfahre. Als ich aus dem Haus gehe, stelle ich fest, wie viel Stimulation mir meine Umwelt von sich aus schon bietet. Das Rauschen des Winds gebrochen in den Blättern der Bäume, die gedämpfte Bundesstraße, die sich mit viel Fantasie wie das Rauschen des Meeres anhört.
Ausgerechnet heute ist es superheiß, fast schon drückend, als ich mich auf den Weg zur Bahn mache. Bodelschwingh, das ist eine ganze Ecke entfernt von der Innenstadt, knapp 35 Minuten Bus und Bahn und dann noch mal 15 Minuten laufen. Genug Zeit, um sich mental auf den Tempel der Ruhe vorzubereiten. Es ist, als hätte mein Kopf nur auf diesen Moment gewartet, nicht mehr durch sinnlose Videos betäubt zu werden und auf einmal sprudeln die Gedanken nur so und verwandeln sich in einen reißenden Strom. Ohne aber mich mitzureißen, er fließt viel eher an mir vorbei, während ich ihm zuhören kann. Es sind aber auch erstaunlich wenig Menschen in der Bahn. In der Psychologie kennt man das aus der Mindfulness, eine Meditationsform, die mittlerweile auch anerkannter Teil von kognitiver Verhaltenstherapie ist. Einfach sein, einen mentalen Schritt zurücktreten und beobachten, was passiert. Genau das habe ich heute vor.
Tourist in meiner Heimatstadt
Auch, wenn ich in Dortmund geboren bin, nach Bodelschwingh hat es mich nie verschlagen. De facto bin ich Tourist in meiner eigenen Stadt. Ab Huckarde passiere ich Felder und Wiesen, von Bäumen eingerahmt. Nach einer kurzen Bustour bin ich endlich in Bodelschwingh angekommen. Irgendwie fühlt sich dieser Stadtteil gar nicht nach Dortmund an und gleichzeitig doch. Es sind sehr wenig Menschen auf den Straßen, alles wirkt etwas abgerockt. Es ist nicht immer ganz klar, welche Farbe die Fassaden ursprünglich einmal hatten. Die Atmosphäre ist trotz Landcharakters Ruhrpott-Klassik. Nur hier und da sorgt ein Auto für die Geräuschkulisse.
Ich mache mich auf die Suche nach dem Tempel der Ruhe und laufe durch die verlassenen Straßen. Immer geradeaus. Mir fällt auf, dass die Bäume wieder dichter werden, dass es grüner wird. Und nicht nur das. Auf einmal sind die abgerockten Häuser weg und links und rechts stehen Fachwerkhäuser. An der Ecke, an der ich links abbiegen muss, sehe ich eine unfassbar schnuckelige Kirche, komplett aus Naturstein gebaut. Eine warme und einladende Atmosphäre geht davon aus und erinnert mich viel mehr an bayerisches Land. Ich biege ab.
Je weiter ich den gewalzten Weg laufe, desto weniger sieht es hier nach Ruhrgebiet aus. Aber desto mehr klingt es danach. Wie so viele Waldgebiete steht auch dieses an einer Autobahn und Gott klingt die intensiv. Wenn ich das Ruhrgebiet jemandem beschreiben sollte, ich würde sagen, es ist ein Ort, wo du an quasi jeder Stelle eine Autobahn hörst. Ich laufe den Weg weiter und sehe aus der Ferne den Wald.
Ein wenig Tempel, keine Ruhe
Beim Eintreten in den Wald denke ich mir noch, der Tempel wird sich ja eher irgendwo innerhalb des Waldes befinden. Irgendwo, wo es eben ruhig ist. Aber an der nächsten Gabelung werden meine Hoffnungen zunichtegemacht. Der Tempel steht knapp 200 Meter von der Autobahn entfernt, die ein regelrechtes Brüllen entfesselt hat. Mit Ruhe hat dieser Tempel nur im metaphorischen Sinn etwas gemeinsam. Ich laufe einen kleinen Waldweg auf das kreisrunde Gelände zu. Das eiserne Tor steht mir offen. Links und rechts verteilen sich alte Grabsteine.
Im Herzen der Anlage steht der Tempel. Ein weißes Gebäude, hoch und offen gebaut, steht er auf sieben Pfeilern, geschmückt von einer bläulichen Kuppel. Im Inneren steht ein kleiner runder Altar. Minimalismus pur. Für Architekturliebhaber: klassizistisch gebaut. Die Vorbilder kommen aus der griechischen Antike. Hätte ich den Tempel im Umland von Thessaloniki entdeckt, hätte mich das nicht gewundert.
Die ruhige Ausstrahlung des Tempels steht im starken Kontrast zu der brüllenden Autobahn und der dadurch nicht existenten Stille . Mit meinem Plan, hier zu meditieren und tatsächliche Ruhe zu finden, ist so nichts geworden. Aber ganz ehrlich, das ist auch kein Problem. Klar, ich hätte es toll gefunden, mich in den Wald zu setzen und nur der Natur zuzuhören, aber allein, hierherzukommen, alleine mit meinen Gedanken, hatte etwas Befreiendes. In Zukunft werde ich häufiger bewusst auf Stimulation durch Musik oder anderes verzichten, sondern mehr im Moment sein und beobachten, was eigentlich passiert. Und vor allem mir selbst zuhören. Für echte Natur-Ruhe werde ich dann aber wohl doch ins Sauerland fahren.
Wo? Der Tempel der Ruhe liegt im Waldgebiet gegenüber des Schloss Bodelschwingh im gleichnamigen Stadtteil.
Wie? Entweder mit dem Auto oder den Öffis. Mit der U-Bahn-Linie 47 bis zur Endhaltestelle Westerfilde, von dort mit den Buslinien 471 oder 477 bis zur Haltestelle Bodelschwingh und dann zu Fuß weiter in den Wald.
Wann? Eigentlich immer, ihr müsst nur die richtige Kleidung tragen.
Wie viel? Frei begehbar.
Beitragsbild: Bjarne Overkott