Sportswashing und Geopolitik – schmutzige Wäsche im Fußball

In den vergangenen Jahren hat wenig Fußballfans so sehr polarisiert wie Sportswashing. Autoritäre Regime investieren im Profifußball – Segen für die einen und Fluch für die anderen. Wie Geopolitik einen Sport nachhaltig verändert.

Es ist der 7. Oktober 2020 und in Newcastle upon Tyne spielen sich geradezu absurde Szenen ab. Rund um das Stadion von Newcastle United haben sich gefühlt so viele Menschen eingefunden wie am Borsigplatz, als Borussia Dortmund das letzte Mal Meister geworden ist. Die Luft ist mit entfesselten Emotionen aufgeladen, in YouTube-Videos davon klingen ekstatische Fangesänge durch die Straßen. Diffus, durcheinander, ein einziges Klanggemenge aus den Kehlen frenetisch feiernder Newcastle-Anhänger*innen. Warum die Aufregung?

Die Meisterschaft hat der Verein jedenfalls nicht gewonnen. Im Gegenteil. Mit Tabellenplatz 19 waren sie zu dem Zeitpunkt davon so weit entfernt, wie es in der ersten englischen Liga nur möglich ist. Dass die Fans trotzdem feiern, kann in einer fußballbegeisterten Stadt trotzdem schon mal vorkommen. Zwei Dinge passen dabei aber einfach nicht in das Bild: der Anlass und das Aussehen der Fans. Neben den klassischen Outfits der Stadiongänger*innen, zwischen Trikot und Stone Island Jacken, sieht man erstaunlich viele saudi-arabische Flaggen, Kaftans und Kufiyas. Also traditionelle arabische Kleidungsstücke. Ungewöhnlich für eine Stadt im englischen Norden.

Grund für den Ausnahmezustand ist eine neue Hoffnung. Denn Newcastle United hat gerade einen neuen Besitzer gefunden, den staatsnahen Public Investment Fund (PIF) aus Saudi-Arabien. Wenn in den vergangenen Jahren Staaten aus der Golfregion Geld in Sport investiert haben, haben Fans kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie dieses Geld ablehnen. Die Fußball-WM im Winter 2022 in Katar, die katarische Übernahme des französischen Spitzenklubs Paris St. Germain (PSG) oder die abu-dhabische Übernahme des englischen Premiere League-Klubs Manchester City, mittlerweile internationales Schwergewicht. Allesamt unliebsame Ereignisse. Jetzt also auch Saudi-Arabien. Die Fans werfen den Ländern vor, sportlichen Erfolg zu erkaufen. Außerdem sehen sie es kritisch, dass in den Golfstaaten Menschenrechte und Pressefreiheit missachtet werden. Saudi-Arabien sticht dabei besonders hervor. So hat der Fall um die Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi bereits international für Furore gesorgt. Der kritische Berichterstatter wurde im saudi-arabischen Konsulat in der Türkei ermordet. Die Leiche zersägt, um die Tat zu vertuschen. Die Anordnung dafür kam wohl von höchster Ebene – Kronprinz Mohammed bin Salman selbst soll die Order gegeben haben. Und auch die Haltung Saudi-Arabiens gegenüber dem Dschihadismus, dem militant-extremistischem Islamismus, ist undurchsichtig: Auf der einen Seite ist das Land Partner bei der Terrorbekämpfung, auf der anderen Seite ist es ideologischer Wegbereiter des terroristischen Dschihadismus. Gründe für eine kritische Haltung gegenüber Investitionen aus Saudi-Arabien gibt es also zur Genüge.

Den Fans in Newcastle kommt das Geld aber absolut gelegen. Durch das Engagement des Ölstaates sehen sie eine echte Chance, endlich aus der sportlichen Irrelevanz aufzusteigen und an alte Erfolge anzuknüpfen. Vier Mal konnte Newcastle Meister werden (zuletzt allerdings 1927), sechs Mal Pokalsieger. Vorbilder sind die Klubs Paris St. Germain oder Manchester City. Auch, wenn manche Fans seit Jahren versuchen, Fußball als unpolitisch zu verkaufen, so machen vor allem diese Investoren klar: Fußball ist schon lange Teil der Geopolitik. Ein Begriff ist in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren besonders prominent geworden: Sportswashing.

Bekanntes Prinzip – neuer Umgang

Das Prinzip, das hinter Sportswashing steht, ist kein Neues. Es geht darum, das eigene angeknackste Image durch die positive Strahlkraft des Sports aufzuwerten. Also reinzuwaschen. Das Wort leitet sich ab vom Begriff des Greenwashings. Firmen mit schlechter Ökobilanz stellen sich durch Marketing als ökofreundlich dar und wollen so ihr schmutziges Image aufpolieren. Hinter dem Sportswashing steht eine Politik der leisen Taten. Einfluss auf das Geschehen in der Welt zu nehmen, ohne dabei auf wirtschaftliche oder militärische Ressourcen zurückzugreifen. Soft Power-Politik, eine weiche Gewalt.

Vor allem für kleine Staaten ist das extrem wertvoll. Sie pumpen hohe Summen in die Organisation von Tennisturnieren, die Formel 1, und kaufen bevorzugt Fußballvereine, um so ihren geopolitischen Einfluss zu diversifizieren und zu erhalten. Denn auf die Abhängigkeit der restlichen Welt von der endlichen Ressource Öl können Saudi-Arabien, Katar und Co. nicht setzen. Einige Golfstaaten haben sich aus diesem Grund schon erfolgreich als Tourismusziele etabliert. Mit Sportswashing können sie für sich werben und gleichzeitig sowohl nationale als auch internationale Politik betreiben.

Fußball ist der ideale Sport, um diese Ambitionen auszuleben. Er bietet die Möglichkeit, in einem Markt Fuß fassen zu können, der immer noch vorwiegend in Europa ansässig ist. Zugleich ist Fußball auch in der arabischen Welt sehr populär. Dr. Sebastian Sons zufolge lassen sich die Klubs so für nationale Belange instrumentalisieren. Er ist Forscher und politischer Analyst für Saudi-Arabien sowie die Golf-Staaten und arbeitet für den deutschen Think Tank CARPO. „Nehmen wir das Beispiel von Paris Saint-Germain. Viele Menschen in Katar sind mittlerweile PSG-Anhänger. Nicht, weil sie diesen Verein besonders mögen oder unbedingt französischen Fußball unterstützen möchten, sondern weil sie ihn als verlängerten Arm der Herrschaft ihres Emirs sehen und damit auch der nationalen Stärke Katars.”

222 Millionen Euro statt einer Invasion

Katar hat Sportswashing zur Perfektion gebracht. 2017 ist die Golfregion nur eine Investition von einem heißen Krieg entfernt. Unter der Führung Saudi-Arabiens haben vier Nachbarn Katars ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen: Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten. Eine Invasion durch Saudi-Arabien ist nicht mehr nur ein Worst-Case-Szenario, sondern greifbare Realität. Wie schon 2011 in Bahrain passiert. Grund für die massiven Spannungen: Katars Verbindungen zum Iran und ihre Unterstützung für die Muslimbruderschaft. Es geht um nicht weniger als die Vormachtstellung in der Region. Seit 2011 arbeitet Katar daran, ein ideologisches Gegengewicht zu Saudi-Arabien darzustellen, und tut sich dafür mit islamistischen Gruppierungen zusammen. Sehr zum Missfallen der Nachbarn. Katar sieht sich mit einer existenziellen Krise bedroht. Wie das Land sich aus dem Dilemma manövriert, erschüttert damals die ganze Fußballwelt.

Um einer Invasion und weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, setzt Katar den teuersten Fußballtransfer aller Zeiten um. Und das ohne jede sportliche Bedeutung. Das Land holt den brasilianischen Superstar Neymar für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris St. Germain und verdoppelt damit den Rekord für die höchste Ablösesumme im Fußball. Für Sebastian Sons ist der Transfer rückblickend betrachtet eine Machtdemonstration: „Wir kaufen einfach den teuersten Fußballer aller Zeiten. Damit wollte die katarische Führung sagen: Ihr könnt uns gar nichts. Dass man mit Neymar auch einen sehr guten Spieler bekommt, war ein Randaspekt. Sportliche Erwägungen haben de facto kaum eine Rolle gespielt, es war ein politisches Signal an Saudi-Arabien und die Emirate.”

Medienhäuser und Politiker*innen sind geschockt von der Höhe der Transfersumme. An einen Zusammenhang zur Golfkrise denken aber die Wenigsten. Der Transfer wird zum Inbegriff der katarischen Soft Power: Auf einmal spricht niemand mehr über das isolierte Katar, sondern über die wahnsinnige Finanzkraft, die hinter Paris St. Germain steht. Diese pure Geldgewalt ist bei harten Fans auf wenig Liebe gestoßen. Trotzdem hat sich ein großer Teil der PSG-Anhänger*innen mit dem Engagement arrangiert. Im Gegensatz zu den Münchner Fans, die sich schwer damit tun, dass der FC Bayern ebenfalls Geld aus Katar erhält.

Foto: Stefan Kumberger

„Wir sind Bayern und ihr nicht.”

November 2021. Jahreshauptversammlung des FC Bayern. Viele leere Stühle, wenig Fans vor Ort. Man merkt die Mühe, alles so normal wie möglich erscheinen zu lassen. Aber es wirkt geradezu absurd, als die Titelmelodie von „Fluch der Karibik” einsetzt, während eine FC Bayern-Trophäe nach der anderen auf die Bühne getragen wird. Das, was eigentlich die Münchner Dominanz demonstrieren soll, wirkt fehl am Platz. Die Stimmung vor Ort ist schon schlecht, bevor die Veranstaltung beginnt. Dafür haben Corona-Maßnahmen und eine nicht enden wollende Kontroverse um das Sponsoring durch Qatar Airways schon gesorgt. Seit Monaten laufen Fans Sturm gegen diese Kooperation.

Fans und Verein stehen sich in dieser Hinsicht unversöhnlich gegenüber – und der Verein erlebt einen der wahrscheinlich schlimmsten Krisentage seit seiner Gründung. Zwar gehen die meisten kritischen Anträge nicht durch, viele Fans, die sich ans Rednerpult stellen, wettern aber gegen die Zusammenarbeit mit Katar. Wettern gegen die Menschenrechtslage dort. Um kurz nach zwölf schließt Präsident Herbert Hainer die Versammlung trotz ausstehender Meldungen. Pfiffe folgen. Durch die Halle schallt „Hainer raus!” und „Wir sind Bayern und ihr nicht!”

“Fast absurd, dass der FC Bayern aktuell überhaupt noch mithalten kann”

Das Problem der Fans des FC Bayerns kann auf den Konflikt mit der Kommerzialisierung eines Produkts heruntergebrochen werden. Denn aus ökonomischer Perspektive ist der Fußball nichts anderes. Ein Produkt, dass es zu vermarkten gilt. In England ist dieser Prozess schon Anfang der Neunziger vollzogen worden. Damals fernab der finanzstarken Superliga, die sie heute ist. Kein Zufall, dass ausgerechnet in dieser Liga besonders viele Länder umtriebig sind, die sich im Sportswashing engagieren.

Dr. Hannes Winner ist Professor an der Paris Lodron Universität Salzburg und beschäftigt sich unter anderem mit den finanziellen Auswirkungen von Sportswashing auf den Fußball.

Die Investitionen könnten das innere Gleichgewicht des Fußballs durcheinanderbringen. Die Konsequenzen können große Gefälle zwischen den Ligen und Vereinen sein. Dr. Hannes Winner ist Professor an der Paris-Lodron-Universität in Salzburg und beschäftigt sich mit den ökonomischen Auswirkungen dieser Engagements auf Ligabetriebe. „Das höchste Credo einer jeden Fußball-Liga ist die Wettbewerbsfähigkeit und der Spannungsgrad, den die Liga selbst vermittelt”, sagt er. „Das Gift für eine jede Liga ist Unausgeglichenheit.”

Ein Anker dieses Gleichgewichts soll das Financial Fairplay (FFP) des Dachverbands der europäischen Fußballverbände UEFA sein. Das FFP soll Vereine zu nachhaltigem Wirtschaften zwingen und Grenzen setzen für Sponsoren und Mäzene. Es soll also garantieren, dass nicht mehr Geld ausgegeben, als eingenommen wird. Die Vereine sollen innerhalb ihres Budget arbeiten. Genutzt hat das kaum. Denn das Gebot, nicht mehr ausgeben zu dürfen, als man einnimmt, ist leicht zu umgehen. Die 222 Millionen Ablöse für Neymar konnten beispielsweise über die gesamte Länge seines damaligen Vertrags bis 2022 gestreckt – also quasi abgeschrieben – werden. So schlugen für diesen Transfer auf einmal nur noch je 44 Millionen Euro in den einzelnen Geschäftsjahren zu Buche. Gleichzeitig konnte der verkaufende Klub die Transfersumme in vollem Umfang als Einnahme für das Jahr 2017 deklarieren.

Vor dem internationalen Sportgericht musste die UEFA zudem Niederlagen gegen Manchester City oder auch Paris Saint-Germain hinnehmen, nachdem diese gegen Sanktionen aus dem FFP geklagt hatten. Währenddessen kann ein hoch verschuldeter FC Barcelona in der aktuellen Transferphase reihenweise Stars verpflichten. Und das ohne wichtige Gelder aus der vergangenen Champions League Saison, nachdem der Verein schon in der Gruppenphase ausgeschieden ist. Nachhaltiges Wirtschaften sieht anders aus. Und so wird es international immer schwieriger, mit Vereinen auf Augenhöhe zu bleiben, die starke Investoren im Rücken haben. „Es ist schon fast absurd, dass der FC Bayern aktuell überhaupt noch mithalten kann bei den Dimensionen [der Finanzstärke anderer Vereine, Anm. d. Red.]”, sagt Wissenschaftler Hannes Winner.

Das Ende des Idealismus?

Sportswashing ist ein vielschichtiger Prozess. Auf der einen Seite ist er Ergebnis und Teil einer anhaltenden Kommerzialisierung und funktioniert, weil Vereine um ihre Konkurrenzfähigkeit fürchten. Auf der anderen Seite nutzt Sportswashing die Kommerzialisierung aus: Es geht nur mittelbar darum, das Produkt Fußball besser vermarkten zu können, um etwas zu verkaufen. Im unmittelbaren Fokus steht, die staatlichen Soft Power-Agenden zu verfolgen, und das funktioniert, indem die Länder ein positives Image vermarkten.

Westliche Staaten hätten zwar die Möglichkeit, Einfluss auf die Golfregion und andere reiche, autokratisch regierte Staaten zu nehmen. Das Momentum würde aber nicht genutzt, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen, kritisiert Sebastian Sons. Er findet, dass vor allem Deutschland als entwicklungspolitisches Schwergewicht seine Stellung nicht ausnutze. Katar habe schließlich ein Interesse, sein Außenbild aufzuwerten. „Deutschland sollte sagen: ‚Wir haben die Instrumente und wir haben auch Netzwerke. Wenn Katar von diesem Image wegkommen möchte, sollte es auch enger mit Deutschland zum Beispiel im Bereich der Entwicklungspolitik zusammenarbeiten”, sagt Sons. Er betont aber, dass das nicht überall und nicht in jeder Situation funktioniert.

Dr. Sebastian Sons, Experte für die Golf-Region und Forscher bei dem deutschen Thinktank CARPO – Center for Applied Research in Partnership with the Orient e.V.

Die Vereine indes müssen ein Risiko eingehen. Denn das Engagement von Investoren kann einen Verlust der eigenen Fanbasis zur Folge haben. Viele Anhänger*innen befürchten den Ausverkauf ihrer Werte und Emotionen und wollen nicht, dass ihr Verein zu einem puren Marketingobjekt wird. So wie es par excellence bei Paris Saint Germain zu beobachten ist. Vom Fußballverein zur Lifestyle-Marke, wo auch Fußball gespielt wird. Auf der anderen Seite steht die Konkurrenzfähigkeit. Erfolg ist die Währung des Profisports. Wenn die Konkurrenz aber kaum einzuholen ist, weil sie deutlich mehr Geld zur Verfügung hat, kommen auch andere Vereine automatisch ins Grübeln. Will man sich nicht doch stärker kommerzialisieren und möglicherweise auch Sportswashing in Kauf nehmen?

Natürlich kann auch das Image eines Vereins Spieler*innen anziehen. So wie beispielsweise Sadio Mané ausgerechnet von der Premier League zum FC Bayern gegangen ist, aber am Ende hat Geld doch oft das letzte Wort. Staaten wie Katar, Saudi-Arabien oder Teile der Vereinigten Arabischen Emirate ziehen die Spirale immer weiter in die Tiefe, die amerikanische Investoren, Oligarchen aus Russland oder Milliardäre aus China schon vor Jahren schon in Bewegung gesetzt haben. Nur aus anderen Beweggründen. Ergebnis davon ist, dass die Ungleichheit im Fußball zugenommen hat. Insgesamt hat der frischgebackene Premiere League-Klub Nottingham Forest sagenhafte 161,95 Millionen Euro in achtzehn neue Transfers investiert. Finanziell undenkbar in Deutschland. Die Ausgaben von Bundesliga-Aufsteiger Werder Bremen für zwölf neue Spieler: gerade einmal vier Millionen.

Bisher haben Verbände recht tatenlos zugeguckt, jüngst hat aber die spanische La Liga Klage gegen Paris St. Germain eingereicht. Grund: mutmaßliche Verstöße gegen das Financial Fairplay rund um Megastar Kylian Mbappé. Den hätte man gerne in Madrid gesehen, aber PSG hatte ihm kurz vor knapp ein Angebot unterbreitet, das er offenbar nicht ablehnen konnte.

 

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