Insekten als Nahrungsmittel: ethisch vertretbar?

Die EU hat Anfang des Jahres festgelegt, dass Unternehmen zwei weitere Insektenarten zu Lebensmitteln verarbeiten dürfen. Schließlich soll das gut für Mensch und Umwelt sein – so das Versprechen der Firmen. Aber ist es auch gut für das Insekt selbst?

Das Motto “Weniger ist mehr“ gilt heutzutage häufig, wenn Menschen konsumieren – egal, ob es sich um Deko, Kleidung oder Ernährung handelt. Weniger oder gar kein Fleisch essen zu wollen, kann verschiedene Beweggründe haben. Viele Menschen achten auf Klima, Gesundheit oder Tierwohl. Insekten scheinen dabei eine gute Lösung zu sein. Sie lassen sich bei geringem Ressourcenverbrauch züchten und enthalten viele Nährstoffe. Doch ethische Fragen bleiben offen. Fällt die Insektenzucht unter Massentierhaltung? Haben Insekten ein Schmerzempfinden? Warum müssen Tiere für unseren Konsum sterben?

Bereits vor zehn Jahren hat die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) einen Bericht über das Potential von Insekten im Ernährungssystem veröffentlicht. Seitdem beschäftigen sich viele Unternehmen mit dem Thema. Eines davon ist das Unternehmen Essento, das insektenbasierte Nahrungsmittel herstellt. Dafür möchte es vorhandene Ressourcen nutzen und so eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft entstehen lassen, erklärt Christian Bärtsch, Gründer von Essento. Konkret verwerte das Unternehmen Nebenprodukte, die in der Lebensmittelindustrie bei der Produktion entstehen.

Dem „Food Waste“ entgegen

Diese Nebenprodukte nutze Essento als Futtermittel für die Insektenzucht. Sie verwenden beispielsweise Weizenkleie, die als Rückstand bei der Mehlproduktion entstehen, oder Melasse – einen Abfallstoff aus der Zuckerproduktion. Insekten können diese Stoffe in wertvolle Proteinbiomasse für unsere Nahrung umwandeln.

Thomas Potthast, Professor für Ethik, Theorie und Geschichte der Biowissenschaften kennt die Probleme dahinter: Oft sei der Nährstoffgehalt dieser Nebenprodukte nicht hoch genug, um die Wachstumsziele der Insekten zu erreichen. Dadurch führen Unternehmen oft nährstoffreiches Futter zu. Außerdem sei die Herkunft der Nebenprodukte wichtig. „Wenn diese aus einem ethisch problematischen Sojaanbau, Massentierhaltung oder einem Konsumsystem stammen, das viele Reste an Nahrungsmitteln produziert, dann muss man eher an den Ursachen arbeiten.“ Das heißt: Unternehmen sollen solche Systeme nicht dadurch unterstützen, dass sie deren Nebenprodukte verwenden.

Christian Bärtsch sagt dazu: „Die Stoffe, die wir als Futter nutzen, müssen nicht speziell aufbereitet werden. Das spart Energie. Zudem können wir diese Stoffe aus der Umgebung beziehen und so dazu beitragen, lokale Kreisläufe zu schließen.”

Insekten als Lebensmittel selbst

Eine umstrittene Frage bei der Insektenzucht ist, ob die Tiere Schmerzen empfinden. Aus der Wissenschaft geht das nicht klar hervor. „Im Zweifel sind wir lieber dafür, dass es Empfindungen gibt”, sagt Bärtsch. Dementsprechend seien ihre Zuchtsysteme so aufgebaut, dass möglichst kein Leid entstehe.

Dafür gebe sich Essento strikte Auflagen. Das Unternehmen bilde die natürlichen Lebensbedingungen der Insekten nach – das bedeutet, genügend Futter und genügend Platz. Trotzdem leben die Insekten in einer industriellen Zucht in großen Schubladen, in denen sich nur die Tiere und das Nährsubstrat befinden. Das entspreche nicht ihrer natürlichen Art, zu leben, erklärt Professor Potthast. „Aber tatsächlich ist das, was wir bei den Wirbeltieren aus guten Gründen für sehr problematisch halten – nämlich das extrem enge Beisammensein – für bestimmte Insekten nicht ungewöhnlich“, sagt der Ethiker.

Die Tötung von Insekten

Im Austausch mit Ethiker*innen und Tierschutzorganisationen ist ein White Paper entstanden, auf das sich Essento bei seiner Insektenzucht stützt. Das Hauptergebnis: Die Tiere müssen schnell getötet werden, damit nicht das Risiko besteht, dass sie Schmerzen spüren.

Die bewährteste Methode ist, die Insekten in heißes Wasser zu geben. Auch Essento nutzt dieses Verfahren. Das Unternehmen hat berechnet, dass es 0,03 Sekunden dauert, bis das Insekt stirbt. Christian Bärtsch erklärt, dass die Tiere in diesem Zeitraum kein Schmerzsignal wahrnehmen können – falls überhaupt Schmerz besteht.

Insekten als Fleischalternative

Ethiker Potthast bestätigt, dass ein schneller Temperaturschock den Tod der Tiere sehr schnell eintreten lässt. Die insektenbasierte Ernährung hält er durch die Haltung und den schnellen Tod für besser für das Tierwohl als bei konventionellen Fleischprodukten. Das beantwortet für ihn aber nicht die Frage: Brauchen wir das überhaupt?

Den neuen Produktionszweig hält Potthast letztlich nur dann für interessant und notwendig, wenn ersetzt wird, also ein Burger aus Insektenfleisch dem aus Rindfleisch vorgezogen werde. Generell sollten sich die Menschen aber Gedanken machen, wie sie respektvoll mit allen Formen des Lebens umgehen. „Wenn wir uns nicht sicher sind, ob diese Wesen empfindungsfähig sind und in welcher Weise, sollten wir sehr vorsichtig sein“, betont Potthast.

 

Beitragsbild: pixabay.com/krukke7

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