Ungleiche Interessen: Mehr Auslandssemester von Rumänien nach Deutschland als umgekehrt

Wenn es um Auslandssemester geht, gehört Deutschland zu den Top-Zielländern bei rumänischen Studierenden. Hingegen ist Rumänien bei deutschen Studis eher unbeliebt. Merle und Jason haben trotzdem ein Erasmus-Semester in Cluj-Napoca (Rumänien) verbracht.  Beatrice tauschte für ihr Auslandsemester Bukarest gegen Dortmund. 

Beatrice studiert Intercultural Management an der Uni Bukarest und schreibt gerade ihre Masterarbeit. Im Wintersemester 2022/2023 hat sie über das Programm Erasmus+ an der TU Dortmund im Master Politikwissenschaft und Philosophie studiert.

„Erasmus+ unterstützt Studierende in allen Phasen, vom Bachelor bis zur Promotion. Bei Studienaufenthalten und Praktika im Ausland bis zu jeweils zwölf Monate mit einer finanziellen Förderung.“ Bundesministerium für Bildung und Forschung.

„Nach meinem Auslandsaufenthalt im Bachelor, habe ich mir direkt vorgenommen noch einen im Master zu machen“, erzählt Beatrice im Zoom-Call. Ihren Bachelor hat sie in Sprach- und Literaturwissenschaften an der Uni Bukarest gemacht. Dafür hat sie unter anderem Deutsch und Niederländisch studiert. Ihr erstes Auslandssemester ging damals ebenfalls über das Erasmus-Programm nach Wien: „Es war das erste Mal, dass ich allein in einem anderen Land gewohnt habe. Ich habe mich in Wien stark weiterentwickelt. Das war eine schöne Erfahrung. Für den Master hatte mir meine Uni in Bukarest dann Angebote für Deutschland und Frankreich gemacht.”

Beatrice hat mit Erasmus ein Semester an der TU Dortmund verbracht. Foto: Beatrice

Die Entscheidung war für Beatrice schnell klar. Französisch sprechen konnte sie nicht, den ersten Deutschkurs hatte sie hingegen schon im Kindergarten.

Beworben hatte sich die heute 24-jährige Studentin zuerst in Hamburg, musste im Bewerbungsprozess aber feststellen, dass der Kooperationsvertrag zwischen den beiden Unis ausgelaufen war. Darauf folgte die Spontan-Bewerbung in Dortmund. Dort gab es zwar keinen äquivalenten Studiengang, einen Großteil konnte sie sich in Absprache aber trotzdem an ihrer Uni in Rumänien anrechnen lassen. Auch an der Uni sei auf sie als internationale Studierende immer viel Rücksicht genommen worden, betont Beatrice. Vom Studium im Deutschland habe sie nur profitiert.

„Was an den Unis in Rumänien besser ist? Ehrlich gesagt nichts!“

Beatrice ist mit der rumänischen Hochschullandschaft nicht zufrieden. Die Studieninhalte seien veraltet und die Themen würden nur oberflächlich behandelt. Außerdem bestünde kein Bezug zu aktuellen Ereignissen: „Darüber wird nicht gesprochen, in Deutschland habe ich das anders erlebt.” In ihrem Auslandssemester habe sie viel mehr lesen müssen, erklärt Beatrice. Die Lehrveranstaltungen waren dafür aber viel interaktiver: „90 Minuten nur Sitzen und Zuhören? Das kann echt anstrengend werden. Vor allem in den Seminaren wurde immer Raum zum Diskutieren gelassen. Man hat nicht nur Input bekommen, sondern konnte die neuen Informationen auch direkt anwenden.” Beatrice ergänzt, dass sie das aus Rumänien nicht gewohnt war. Zusammen mit der deutschen Sprache war das zu Beginn anstrengend: „Klar, ich kann Deutsch verstehen, sprechen und lesen. Aber Philosophie auf Deutsch? Das ist nochmal was ganz anderes.”

Beatrices Sorgen gehen aber in eine andere Richtung. Im Bachelor hatte sie zu Beginn in einem Call-Center gearbeitet, nach ihrem Auslandsaufenthalt konnte sie einen Nebenjob als Deutsch- und Niederländischlehrerin aufnehmen. Zuletzt arbeitet sie zusätzlich im Recruiting: „Mein Master bietet keine Spezialisierung. Die Studieninhalte und die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt passen nicht zusammen. Ich arbeite dadurch in Berufen, für die ich gar keine Ausbildung besitze.” Ihre Zukunft sieht sie nicht in Rumänien.

Hoffnung auf bessere Chancen auf dem internationalen Arbeitsmarkt

Beatrice sei mit dieser Sorge nicht allein, erklärt Ciprian Fartusnic, der sich am Institut für Erziehungswissenschaften in Bukarest mit dem rumänischen Bildungssystem und der rumänischen Bildungspolitik auseinandersetzt. „Der Arbeitsmarkt in Rumänien ist unsicher. Die Studierenden erhoffen sich durch einen Aufenthalt in Deutschland eine bessere Position auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Wenn sie nicht schon komplett im Ausland studiert haben, versuchen sie nach dem Studium einen Job in einem anderen Land zu finden.“

Auch Beatrice möchte nach ihrem Master wieder zurück nach Deutschland und promovieren. Außerdem hat sie im letzten Jahr viele Freunde in Deutschland gefunden – ein weiterer Grund zurückzukommen: „Neben der Uni bin ich viel durch Deutschland gereist und habe dabei vor allem tolle Menschen kennengelernt. Dabei konnte ich auch viele Vorurteile gegenüber Deutschland nach und nach aus dem Weg räumen.”

Beatrice beim Erasmus-Zug 2021 in Berlin. Foto: Beatrice

Vorurteile abbauen, ein anderes Land besser kennenlernen

„Wir können andere Länder, Menschen aus anderen Ländern nur lernen zu verstehen, wenn wir selbst da gewesen sind. Okay, ‚Sonntag ist Ruhetag‘ verstehe ich bis heute nicht, aber ich habe in meiner Zeit in Deutschland gelernt, dass Deutschland mehr als Bier-, Fußball- und Autoland ist“, erklärt Beatrice und lacht. Gleichzeitig möchte sie anderen Menschen Rumänien näherbringen: „Es ist noch viel zu tun, aber Rumänien hat sich weiterentwickelt. Viele denken, dass Rumänien total arm ist, dabei hat das Land viel zu bieten.” Das können auch Merle und Jason bestätigen.

Merle studiert Nachhaltigkeit- und Politikwissenschaften in Lüneburg, Jason Betriebwirtschaftslehre in Aachen. Das Sommersemester 2023 verbrachten beide an der Babes-Bolyai-Universität in Rumäniens zweitgrößter Stadt Cluj-Napoca. Ihren Auslandsaufenthalt finanzierten sich Merle und Jason unter anderem durch Erasmus. Nach einer Vorlesung erzählen die Beiden über ihre aktuellen Erfahrungen im Auslandssemester.

Studieren in Cluj-Napoca
Mit zehn Hochschuleinrichtungen und 68.391 immatrikulierten Studierenden ist Cluj-Napoca nach Bukarest der zweitgrößte Hochschulstandort Rumäniens. Die Babes-Bolyai-Universität (BBU) ist mit über 45.000 Studis die größte Uni der Stadt. Neben rumänischsprachigen Kursen bietet die BBU auch Studiengänge in englischer, deutscher und ungarischer Sprache an. Außer zahlreichen Bars und Cafés hat die Stadt auch einen großen Park und botanischen Garten zu bieten. 

Rumänien für Auslandsaufenthalte eher unbeliebt

Eigentlich wollte ich nach Italien, erklärt Jason, da das nicht funktioniert hat, habe ich mich spontan für Rumänien entschieden. Man hat mir gesagt, dass es hier schön, aber auch günstig ist.” Merle entgegnet: „Osteuropa, also auch Rumänien, fand ich grundsätzlich sehr spannend“. Damit gehört sie zu einer Minderheit. Denn, wenn es um Auslandsaufenthalte geht, gehört Deutschland zu den fünf wichtigsten Zielländern für rumänische Studierende. Rumänien liegt bei deutschen Studierenden hingegen auf Platz 34, wenn es nach Erasmus-Outgoings geht, zählte der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD).

Die Unterschiede zwischen einem Studium in Rumänien und in Deutschland

„Hier in Rumänien ist alles ein bisschen unorganisierter“, sagt Jason, „der krasseste Unterschied war aber, dass das Studium hier noch sehr ‚schulisch‘ ist.” Merle nickt und ergänzt:

Das Sommersemester 2023 hat Merle an der Babeș-Bolyai- -Universität in Rumänien verbracht. Foto: Alina Bähr

 

„Es herrscht fast überall Anwesenheitspflicht und es gibt wöchentliche ‚Hausaufgaben‘, die erledigt werden müssen. In Lüneburg habe ich immer sehr geschätzt, dass das Studium von beziehungsweise aus einem selbst kommt. Die Aufgaben habe ich dort erledigt, weil ich es wollte, nicht weil ich immer musste.”

 

 

Die Studieninhalte finden beide insofern interessanter, als dass man eine andere Perspektive kennenlernt: „In Deutschland wurde natürlich viel auf Fallbeispiele aus Deutschland, beziehungsweise Westeuropa, zurückgegriffen. Hier hat alles einen rumänischen Bezug. Ich habe hier sehr viel Neues über die Konflikte in der Sowjetunionen lernen können. Die nehmen in Osteuropa einfach eine andere Rolle ein“, sagt Merle. Auch in Jasons Kursen ist das so: „Die Inhalte werden natürlich zuerst auf Rumänien bezogen. Danach wird aber immer gefragt ‚Und wie sieht das bei Dir in Deutschland aus?‘. Ich schätze das internationale Umfeld hier sehr. Ich lerne nicht nur Leute aus Rumänien kennen, sondern aus ganz Europa und somit auch die Perspektive aus Griechenland oder Frankreich“, erklärt er. Merle und Jason beschreiben immer wieder ein angenehmes Miteinander zwischen rumänischen und internationalen Studierenden. Den meisten Kontakt haben sie aber zu anderen Erasmus-Studierenden, gerade zu den Deutschen.

„Ich habe in Rumänien mehr Lebensqualität für weniger Geld“

Jason hat sich entschieden sein Erasmus-Semester in Cluj-Napoca (Rumänien) zu verbringen. Foto: Alina Bähr

Jason erzählt, dass beide für ihr Wohnheimzimmer jeweils um die 40 Euro im Monat zahlen.  Neben dem Semesterbeitrag an ihren Unis in Deutschland zahlen sie aufgrund des Erasmus-Programms keine weiteren Studiengebühren in Rumänien. Die Lebensmittelkosten seien in Cluj ähnlich zu den Preisen in Deutschland, Restaurants und andere Aktivitäten im Verhältnis aber günstiger. „Das ist gleichzeitig total problematisch“, sagt Merle, „ich habe viel darüber nachgedacht. Dass wir uns hier so viel leisten können, ist ein Privileg, welches sich darin begründet, dass es immer noch Machtunterschiede zwischen Osteuropa und westlicheren Staaten gibt. Wir Erasmusleute sind viel unterwegs, gehen immer an den gleichen Orten feiern und ich denke, dass wir dort weniger rumänische Studis treffen, weil das die teureren Orte sind. Die rumänischen Studierenden, die ich kennengelernt habe, müssen alle neben Studium viel arbeiten und haben neben weniger Geld dann auch weniger Zeit für Freizeitaktivitäten zur Verfügung.”

Nach der Uni verabreden sich die Beiden gerne mit Ihren Kommiliton: innen in der Stadt. Merle nimmt sich aber auch immer mal wieder Zeit, um in die Berge zu fahren.

Merle bei einer kurzen Wanderpause im Naturpark des Maramureș-Gebirge. Foto: Merle

Während das Auslandssemester für Merle und Jason eine einmalige Abwechslung zum deutschen Uni-Alltag war, war die Zeit in Dortmund für Beatrice ein besonders wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Karriere im Ausland. Eins ist aber klar: Alle drei haben von ihrer Auslandserfahrung mittels Erasmus profitiert. 

Lust auf ein Auslandssemester in Rumänien? Erasmus+ Partneruniversitäten der TU Dortmund
Ein Auslandsemester kann nur durch Erasmus+ gefördert werden, wenn Herkunfts- und Ziel-Uni eine institutionelle Vereinbarung miteinander geschlossen haben. In den meisten Fällen schließen dabei nicht ganze Universitäten einen „Vertrag“ ab, sondern einzelne Fakultäten und/oder Studiengänge. An der TU Dortmund haben

  •  die Fakultät für Mathematik,
  • die Fakultät für Chemie und chemische Biologie,
  • die Fakultät Humanwissenschaften und Theologie und
  • die Fakultät Kulturwissenschaften

eine Partnerschaft mit einer oder mehreren Unis in Rumänien abgeschlossen. (Quelle: Referat für Internationales der TU Dortmund

Beitragsbild: StartupStockPhotos / pixabay

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