Mitten in unserem digitalen Zeitalter tritt eine Technik zurück auf den Plan, die in den Dunkelkammern der Fotolabore verloren zu sein schien: die analoge Fotografie. Was fasziniert uns an der eigentlich überholten Technik?
Im Urlaub, die Sonne strahlt, das Meer glitzert. Ich hole schnell das Handy raus und mache ein Foto. Noch eins vom Cocktail, eins vom Sonnenuntergang, und dann natürlich ein Selfie mit meinen Freund*innen. Abends im Bett bearbeite ich die Bilder, ein paar Filter drüber, Helligkeit und Kontrast anpassen und dann sind sie bereit für Instagram. Likes und Kommentare lassen nicht lange auf sich warten. Aber sobald die ersten Reaktionen abgeklungen sind, verschwinden die Fotos oft in den Tiefen meiner digitalen Galerie. Gestern noch strahlend und neu, sind sie heute vergessen – ebenso wie Tausende andere Bilder.
Im Gegensatz dazu steht für mich die analoge Fotografie. Hier wähle ich jeden Moment mit Bedacht. Den Auslöser drücke ich nur selten, schließlich passen auf einen gewöhnlichen 35mm Film nur 36 Bilder. Jeder Klick zählt also, jedes Bild ist ein eigenes kleines Kunstwerk. Der Prozess fühlt sich langsamer an, bewusster. Von dem Moment an, in dem ich den Film einlege, bis zu dem Augenblick, in dem ich die entwickelten Bilder in den Händen halten kann.
Lernen durch Verzögerung
Ich entdecke gerade die analoge Fotografie für mich. Und meine Wahrnehmung ist: So wie mir geht es vielen jungen Menschen. Immer mehr Personen in meinem Freundeskreis kaufen sich für besondere Anlässe wie Abiball, Geburtstage oder Feiern eine analoge Einwegkamera von Rossmann oder DM. Wieso liegt das plötzlich im Trend? Ich persönlich will mich von dem Bild überraschen lassen. Ein bisschen so, wie wenn ich etwas bestelle und die Vorfreude fast schon größer ist als die Freude über das Produkt.
Sowohl ich als auch mein Umfeld, das analoge Einwegkameras verwendet, schätzt die Entschleunigung. Auf den Auslöser drücken und nicht sofort wissen, wie das Bild geworden ist: Ist es das Bild, das den Moment perfekt festhält, oder vielleicht doch eher verwackelt und dunkel? Schade dann um das eine Foto, weil es ja ohnehin schon nicht so viele sind. Beim nächsten Mal weiß ich, worauf ich achten muss und kann es besser machen. Ich empfinde das Lernen bei der analogen Fotografie anders als bei meiner digitalen Canon. Beim Digitalen sehe ich das Ergebnis sofort auf dem Display und kann direkt Anpassungen vornehmen. Bei der analogen Kamera erhalte ich das Feedback erst viel später, wenn der Film entwickelt ist. Das zwingt mich, das Bild sorgfältiger zu planen und bewusstere Entscheidungen bei Bildausschnitt und Belichtung zu treffen.
Warum die analogen Kameras das Digitale herausfordern
Das Comeback der analogen Fotografie lässt sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt festlegen. Vielmehr hat sich das Analoge über einen langsamen, aber stetigen Prozess wieder in unser fotografisches Bewusstsein geschlichen.
Frank Lambertin betreibt in Köln in der dritten Generation ein Fotofachgeschäft. Er glaubt, dass die analogen Kameras durch die überraschend starke Nachfrage der jungen Kundschaft zurückgekehrt sind. Menschen aus einer Generation, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist: “Ich denke, die Rückkehr begann mit der Instax-Geschichte von Fuji, also dem Sofortbildmaterial.” Mit “Instax-Geschichte” meint Lambertin die kleinen, bunten quadratischen Sofortbildkameras. Einmal auf den Auslöser gedrückt, drucken sie das Bild sofort. In der Fotobranche waren sich Expert*innen laut Lambertin eigentlich sicher, dass sich dieses Konzept nicht durchsetzen würde. Doch das Gegenteil war der Fall: “Die junge Damenwelt wollte plötzlich eine Instax Mini haben.”
Die Rückkehr der Polaroids
Zu dieser jungen Damenwelt gehören ich und mein Umfeld dann wohl auch. Ich habe mir zwar nie so eine Sofortbildkamera gekauft, einfach weil mir die Blanko-Polaroids zu teuer sind. Ich war aber auf meine Freund*innen neidisch, wenn sie eine solche Kamera hatten. Dieser, von Lambertin beobachtete, Trend lässt sich auch anhand von Zahlen nachvollziehen: Während der Absatz von Sofortbildkameras nach Angaben des Photoindustrie-Verbands in Deutschland 2013 noch bei 62.000 lag, stieg er bis 2023 auf 490.000 an.
Timo Klos ist künstlerischer Mitarbeiter im Arbeitsbereich Fotografie und Multimedia am Seminar für Kunst und Kunstwissenschaften der TU Dortmund. Bei der Frage, wann das Comeback der analogen Fotografie angefangen hat, kommt er ins Grübeln: “Die analoge Kamera war lange Mittel zum Zweck. Und dieses Mittel wurde durch die digitale Fotografie ersetzt.” Für das Analoge sahen berufliche Fotograf*innen keine Notwendigkeit mehr. Klos vermutet, dass an dem Punkt das Interesse für die analoge Fotografie wieder aufkam. Sie war nichts Alltägliches mehr und wurde so wieder interessant. Der Experte schätzt, dass der Aufwärtstrend vor ungefähr zehn Jahren begann und vor fünf Jahren noch einmal zugelegt hat.
Korn statt Pixel
Frank Lambertin teilt seine Kundschaft in drei Gruppen ein: Diejenigen, die digitalen Technologien treu bleiben und das Analoge ablehnen. Die, die ausschließlich mit analogen Kameras arbeiten wollen. Und dann sind da noch die Hybrid-Kund*innen. Die wollen das Beste beider Techniken verbinden und wählen ihre Kamera je nach Motiv. Besonders auffällig ist für Lambertin der Wunsch nach Entschleunigung und einem bewussteren Umgang mit Fotografie, besonders bei jüngeren Kund*innen, ähnlich wie es bei mir und meinem Umfeld auch schon der Fall war: “Das Hauptargument, was wir immer wieder hören bei der jungen Kundschaft ist: Wir möchten uns entschleunigen. Wir möchten Fotografie wieder erleben.” Es stehe nicht länger nur das Ergebnis im Vordergrund sondern der gesamte Prozess.
Für 76 Prozent der Filmnutzer*innen sind der Look beziehungsweise die Ästhetik der größte Anreiz, analog zu fotografieren. Das ergab eine weltweite Umfrage von Ilford Photo, einem Hersteller für Fotomaterialien. Unabhängig vom Alter zeigte sich auch, dass viele die kreative Kontrolle und den gesamten Prozess der analogen Fotografie fast genauso sehr schätzen wie das Endergebnis selbst.
Trend oder Überzeugung?
Mit der Hybriden-Kundschaft von Frank Lambertin kann ich mich identifizieren. Irgendwann sind mir allerdings die Einweg-Kameras aus dem Discounter zu lästig geworden: Ständig eine komplett neue Kamera kaufen, die am Ende weggeschmissen wird. Also habe ich mir eine analoge Kamera gekauft. Auf meine Digitalkamera will ich trotzdem nicht verzichten.
Auch Christian Bettenbrock, Inhaber von “Camera 09”, einem Fachgeschäft für Vintage-Kameras in Dortmund, beobachtet einen wachsenden Zuspruch junger Menschen zur analogen Fotografie: “Eine analoge Kamera ist auch ein Accessoire. Man kleidet sich damit.” Bettenbrock schätzt, dass etwa 50 bis 60 Prozent der jungen Menschen bei ihm eine analoge Kamera kaufen, weil sie von einem Trend inspiriert wurden, den sie zum Beispiel auf Instagram sehen. Dies führe dazu, dass die Kameras dann zu überzogenen Preisen gehandelt werden.
Der Filter direkt vom Film
Trotz dieser Beobachtungen bemerkt aber auch er ein grundsätzliches Interesse. Es kommen vermehrt Leute in seinen Laden und informieren sich über analoge Kameras oder kaufen welche: “Es geht Step by Step voran. Es ist kein riesiger Boom, aber wir spüren deutlich, dass etwas aufwärts geht.” In den vorigen fünf Jahren habe die Wiederbelebung der analogen Fotografie dazu geführt, dass 57 Prozent der Befragten von Ilford Photo zum ersten Mal überhaupt Filme ausprobiert haben. Dabei sind knapp 40 Prozent der unter 44-Jährigen komplett neu in der analogen Fotografie, knapp 30 Prozent sind nach einer Pause zurückgekehrt.
Mit dem wachsenden Interesse an der analogen Fotografie werden auch die Filmrollenhersteller immer kreativer. Timo Klos zeigt sich davon überrascht. Beim Einkaufen für sich und die Universität habe er in den vorigen Jahren zahlreiche neue Variationen entdeckt. Viele klassische Firmen von früher seien verschwunden, doch gleichzeitig seien neue entstanden, die den Trend aufgreifen und ein breites Sortiment an Filmen anbieten. “Es gibt Filme in bestimmten Retrofarben oder mit einbelichteten Polarlichtern.” Der Instagram-Filter sei quasi schon im Film integriert.
Der Blick durch den Sucher Richtung Zukunft
Ob sich die analoge Fotografie halten kann, hängt laut Frank Lambertin von der Entwicklung des Marktes ab: “Wenn die Filme teurer werden, wird der Kunde sich natürlich drei Mal überlegen, ob er wirklich noch analog arbeitet.” Sein Kollege Christian Bettenbrock ist sich sicher: “Das geht weiter. Auf jeden Fall.” Natürlich seien die Filme über die Jahre deutlich teurer geworden. Die Generation, die die alten Filmpreise gar nicht kennt, sei aber bereit, diese Preise zu zahlen: “Die 16-jährige Tochter, die mit ihrem Vater hier reinkommt, greift nach einem Film, der mittlerweile 18 oder 19 Euro kostet. Das sind die Menschen gewohnt, die sind schmerzfrei, weil sie es nicht anders kennen.” Bettenbrock hat den Eindruck, dass die analoge Fotografie für viele junge Menschen ein interessantes Hobby ist, für das sie bereit sind, Geld auszugeben.
Und auch in der Lehre ist die analoge Fotografie wieder angekommen. Timo Klos plant aktuell seinen Lehrveranstaltungen und will digitale und analoge Seminare nahezu gleichwertig anzubieten. Zwar war die analoge Fotografie nie vollständig aus der Lehre verschwunden, durch die wachsende Nachfrage der Studierenden werden aber jetzt wieder vermehrt analoge Seminare angeboten.
Analog für Anfänger*innen
Einsteiger*innen in die analoge Fotografie empfehlen Frank Lambertin und Christian Bettenbrock die Point-and-Shoot-Kamera. Bei diesem Kamera-Typ legen Fotograf*innen den Film ein, schließen die Klappe und die Kamera erledigt den Rest automatisch. “Das Tolle dabei ist, dass man sich mit dem Auge voll auf sein Objekt konzentrieren kann”, sagt Frank Lambertin. Christian Bettenbrock sagt: “Man muss nicht die gehypte Kamera kaufen, man kann auch mit kleineren starten.” Er empfiehlt als Preisrahmen, grob zwischen 60 und 120 Euro einzuplanen. Wer dann Gefallen findet, kann den nächsten Schritt wagen und sich an einer Spiegelreflexkamera versuchen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Entwicklung der Fotos. Während es in den 1980ern noch rund 20 Großlabore gab, die Fotos teilweise sogar über Nacht entwickelten, gibt es heute nur noch zwei in Deutschland. Wer seinen Film beispielsweise bei Rossmann oder dm einwirft, nutzt also entweder das eine oder das andere Großlabor. Wer seine Bilder lieber in Dortmund drucken lassen möchte, dem empfiehlt Christian Bettenbrock die PhotoFactory.
Etwas komplizierter ist es, die Filme digitalisieren zu lassen. Die dafür nötigen Scanner gibt es in sehr unterschiedlichen Qualitäten. Viele moderne Scanner sind darauf ausgelegt, große Mengen schnell zu verarbeiten, anstatt hohe Qualität zu liefern. Dies kann dazu führen, dass der einzigartige Look der analogen Fotografien verloren geht. Damit eben das nicht passiert, rät Frank Lambertin, sich im Voraus zu informieren, welchen Scanner das Labor verwendet.
Mit dem Aspekt des Scanners habe ich mich bis jetzt nicht auseinandergesetzt. Bisher habe ich die Fotos nur drucken lassen. Ich gehe mit meiner Filmrolle zu Rossmann, schmeiße sie dort ein und freue mich auf die Ergebnisse. Zuhause kommen die Fotos dann in ein großes Fotoalbum, das ich extra gekauft habe. Alles gesammelt an einem Ort und bereit zum Durchblättern.
Fotos: Jana Abel