Akzeptiert zu werden, wünschen sich alle, auch queere Jugendliche. Doch im Alltag erleben sie immer wieder Ablehnung. Wie Jugendarbeit da helfen kann, erklärt Melanie Groß. Sie arbeitet als Professorin an der Fachhochschule Kiel.
Was ist queere Jugendarbeit?
Queere Jugendarbeit ist kein feststehender Begriff. Es gibt zwei Perspektiven. Die eine ist: Queere Jugendarbeit soll dafür sorgen, dass Jugendarbeit für alle Jugendlichen zugänglich ist, das heißt eben auch für Jugendliche, die sich zum Beispiel als lesbisch, schwul, trans, inter oder non-binary identifizieren. Die andere Perspektive ist, dass queere Jugendarbeit die Angebote umfasst, die speziell für queere Jugendliche sind – zum Teil sogar eigene Einrichtungen.
Wie kommt es zu diesen beiden Ansätzen?
Jugendarbeit muss allen Jugendlichen zugänglich sein – geschlechtliche Vielfalt und sexuelle Vielfalt müssen also auch in der allgemeinen Jugendarbeit abgebildet werden. Das ist in Paragraph 9 des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes festgelegt. Wir sehen aber, dass queere Jugendliche sich in allgemeinen Jugendzentren oft nicht wohlfühlen. Sie machen im Alltag massive Diskriminierungserfahrungen und die setzen sich dort fort. Daher braucht es sicherere Orte wie die Queeren Treffs. Wir sprechen hier von Safer Spaces und nicht Safe Spaces, weil es eben auch hier zu Diskriminierung kommen kann.
Welche Vorteile bringen Queere Treffs noch mit?
Sie sind als Räume des Empowerments zu sehen. Jugendliche können ihre Erfahrungen miteinander teilen, sich wechselseitig bestärken, sich Ratschläge geben. Dafür reicht es nicht, zu behaupten, dass ein allgemeiner Jugendtreff für alle offen wäre. Die Mitarbeitenden von Jugendtreffs müssen sich aktiv an queere Jugendliche richten, zum Beispiel durch die Gestaltung von Angeboten und Materialien wie Poster und Flyer. Und dabei ist noch Luft nach oben.
Der Begriff Queer fasst einige Gruppen zusammen. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Gruppen?
Die gemeinsame Erfahrung ist, dass ein Teil der Identität von queeren Jugendlichen in der Gesellschaft abgewertet wird. Jugendliche haben eigentlich die Entwicklungsaufgabe, ein positives Bild des eigenen Selbst zu entwickeln. In der gesellschaftlichen Realität ist es schwierig, diesen positiven Blick auf sich selbst zu entwickeln. Jugendliche machen permanent die Erfahrung, dass sie abgewertet werden. Die Themenfelder Geschlecht und Sexualität sind regelrechte Kampffelder von Rechten, aber auch von Konservativen. Dieser große gesellschaftliche Druck und die Diskriminierung, die sie erleben, tragen auch dazu bei, dass das Suizid-Risiko bei queeren Jugendlichen vier- bis sechsmal höher ist als bei cis-geschlechtlichen oder heterosexuellen Jugendlichen. Die unterschiedlichen Identitäten, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, kommen immer mit unterschiedlichen Lebensrealitäten. Und alle Jugendlichen haben natürlich ganz individuelle Geschichten.
Wie hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz von queeren Jugendlichen in den vergangenen Jahren entwickelt?
Wir haben rechtliche Anerkennung, Entfaltungsmöglichkeiten und auch sehr offene Milieus, aber gleichzeitig sehr laute, sehr aggressive Milieus, die da richtig dagegenhalten. Je nachdem, wo Jugendliche aufwachsen, haben sie Glück oder Pech. Viele Jugendliche schieben ihr Outing auf, bis sie die Schule hinter sich gelassen haben. Bei Erhebungen erfahren wir immer wieder, dass sogar Lehrkräfte bei homo- oder transfeindlichen Äußerungen mitmachen. Lehrkräfte arbeiten vielerorts auch immer noch mit völlig veralteten Materialien, zum Beispiel zu Geschlechtsorgangen und Fortpflanzung. Wenn dann noch geschlechtliche Vielfalt oder sexuelle Orientierung dazu kommt, wird es manchmal gruselig. Trotzdem merken wir in den Hochschulen: Die Erstsemester bringen deutlich mehr Wissen zu diesen Themen mit als früher. Dieses Wissen nehmen sie eher aus Social Media und ihren eigenen Vernetzungen.
Genau diese Vernetzungen können auch queere Jugendtreffs bieten. Wie sind die in Deutschland aktuell aufgestellt?
Wir haben dafür keine Zahlen. Wir wissen, dass wir nicht viele, aber inzwischen einige explizit queere Jugendtreffs haben, die auch lokal sehr gut angebunden sind und eine tolle Arbeit machen. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, in dem die Jugendarbeit geregelt ist, wurde 2021 novelliert. In Paragraph 9 ist jetzt festgelegt, dass alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sich nicht nur an Mädchen und Jungen richten müssen, sondern auch an transidente, intergeschlechtliche und nichtbinäre Kinder und Jugendliche. Es muss also einen großen konzeptionellen Wandel geben. Und tatsächlich nehme ich seit drei bis vier Jahren wahr, dass das Interesse größer geworden ist. Ich bekomme viele Anfragen für Weiterbildungen und Vorträge, weil immer mehr Kreise die Fachkräfte in der Jugendarbeit und den Jugendämtern weiterbilden. Die Jugendlichen werden auch mutiger und fordern selbst Räume und Angebote ein. Das Thema ist so sehr in Bewegung wie noch nie. In der allgemeinen Jungendarbeit gibt es viele sehr engagierte Fachkräfte, die das Thema queere Jugendarbeit gerne mit aufnehmen wollen, aber es braucht gleichzeitig ganz dringend diese Safer Spaces aufgrund dieser wirklich massiven Diskriminierungserfahrung, die die Jugendlichen machen.
Was müssen die Fachkräfte mitbringen, um sinnvoll mit queeren Jugendlichen arbeiten zu können?
In der Sozialen Arbeit sagen wir immer, Professionalität setzt sich aus drei Bereichen zusammen: Wissen, Können und Haltung. Wissen ist zum Beispiel das Wissen über die Zielgruppen, also die verschiedenen Identitäten, Lebenslagen und Sorgen, die damit einhergehen. Im Bereich geschlechtliche Vielfalt geht es da auch um den Transitionsprozess und die gesetzlichen Regelungen dazu. Auch das Verweisungswissen ist wichtig. Also: Welche Beratungsstellen spielen eine Rolle? Welche Mediziner*innen sind zu empfehlen? Wo haben andere schon Diskriminierungserfahrungen gemacht? Das Können bezieht sich auf die methodische Seite. Die Moderation von Gruppen und Konfliktlösung zum Beispiel. Und auf der Ebene der Haltung geht es immer um zwei Dinge: Einmal die deutliche Positionierung im Sinne der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit. Und gleichzeitig ist für die Entwicklung einer Haltung auch eine Selbstreflektion notwendig. Das heißt, eine wirklich intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Erfahrungen. Es ist zum Beispiel wichtig, dass die Fachkräfte Jugendliche nicht mit ihrer eigenen politischen Agenda überfrachten. Die Arbeit muss an den Interessen der Adressat*innen ausgerichtet werden.
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