Dietmar Osses ist stellvertretender Direktor im Ruhr Museum in Essen. Er hat schon etliche Ausstellungen konzipiert und begleitet. Was das Museum heute Besucherinnen und Besuchern bieten muss und wie sich das Interesse in den vorigen Jahren gewandelt hat, erzählt er im Interview.
Herr Osses, können Sie uns den Begriff traditionelles Museum erklären?
Für einen Nicht-Museumsgänger ist das die Vorstellung des Museums der 50er Jahre mit einem großen Raum und einzelnen Vitrinen, in denen Objekte herumstehen. Diese negative Vorstellung hat sich richtig festgesetzt, obwohl viele im Museum andere Erfahrungen gemacht haben. Ein Museum ist oft wie ein gestelltes Bild und wenn ein Museum seine Stärken auch mit wenig Mitteln rüberbringen kann, dann kann auch ein traditionelles Museum sehr gut sein.
Wie hat sich das Museum in den vorigen Jahren verändert?
Ich erinnere mich noch gut an Diskussionen vor 10 bis 20 Jahren. Damals haben Museen diskutiert: Was sind die neuen Medien? Was für Herausforderungen bringen sie mit sich? Die Idee dahinter war aus diesem alten traditionellen Vorurteilsbild der 50er und 60er Jahre rauszukommen. Die Medien sind heute normale Begleiter und Ergänzungen. Eine Zeit lang hatten die Museen große Angst davor: Wir haben doch die ganzen Gegenstände. Jetzt kommen auch noch Bildschirme dazu. Wie soll das denn alles gehen? Heute sehen viele, dass Medien eine richtig tolle Erweiterung sind. Manche setzen auch darauf, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsene mit Medien eine Brücke zu bieten. Sie kommen über das gewohnte Medium in das mittlerweile ungewohnte Medium der analogen Welt. Zudem gibt es finanzielle Krisenzeiten, die auf die Museen Einfluss nehmen. Die Frage für die Zukunft bleibt: Wie können wir mit knappen Budgets trotzdem ideenreich, gut und eventuell nachhaltig arbeiten?
Was macht eine gute Ausstellung aus?

Dass viele Menschen mit möglichst vielen Sinnen ein Erlebnis haben. Sie kommen aus dem Museum raus und haben ein bisschen das Gefühl: Die Ausstellung hat etwas mit mir zu tun oder sie hat mit mir etwas gemacht. Ich könnte jetzt viele Facetten nennen, aber im Endeffekt ist es genau das.
Ein Industriemuseum ist aus einer bildungsbürgerlichen Sicht nicht die Topadresse, wie ein bekanntes Kunstmuseum in Berlin. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass Kunstmuseen es einfacher haben, weil diese ein unfassbar hohes Prestige haben in den Gesellschaftskreisen, die sich eher über Bildung definieren. Ich glaube, dass viele sich auch nicht voll auf kulturgeschichtliche Ausstellungen einlassen. Sie gehen hin, um dieses Kunstmotiv zu sehen. Aber was hat das mit ihnen gemacht außer: „Ich war da!“ Die andere Frage ist: Was ist der tatsächliche Anspruch? Was möchtest du sehen? Ich finde es immer gut, wenn es ein Ticken mehr war, als einfach nur eine Ausstellung abzuhaken.
Ist das Image des Museums in Gefahr?

Kommt drauf an, von welchem Image man spricht. Will man einen Museumsmenschen so richtig aufregen, dann reicht es zu sagen: „Oh, das ist doch museumsreif.“ Der Begriff ist natürlich abwertend gemeint und zielt auf dieses Vorurteil vom traditionellen Museum. Irgendein verstaubtes Irgendwas, in dem tote Objekte in Vitrinen liegen und keiner ist da. Ich finde, der Begriff museumsreif adelt richtig. Wenn das Museum sagt, dass der Gegenstand so viele Geschichten in sich tragen und auch so wichtig für andere Menschen sein kann, dass er es wert ist, ihn in eine Sammlung aufzunehmen, dann ist ihr Objekt museumsreif. Das ist eine der größten Auszeichnungen, die man haben kann.
Museen können immer bestehen, wenn sie es schaffen den Menschen zu zeigen, dass es etwas mit ihnen zu tun hat. Damit haben sie Relevanz. Es kann persönlich oder gesamtgesellschaftlich sein. Wir sind ein Ort und wir arbeiten vor Ort: Ausstellungen funktionieren, wenn die Menschen durchgehen können. Das funktioniert nicht mit einem virtuellen 360-Grad-Rundgang. Wir bauen eine Ausstellung für die Menschen, aber sie selbst gehen durch und entscheiden bewusst oder unbewusst, was sie damit machen. Das machst du nicht mal eben nachts um zwölf noch schnell, wie zum Beispiel beim Zocken. Das Erlebnis ist nur da, wenn du auch hingehst. Es ist wie bei Konzerten. Die Menschen wollen etwas erleben, gerne auch zusammen. Im Museum ist es in der Regel leiser, aber auch ein gutes Erlebnis.
Wie bleibt in der heutigen Zeit ein Museum für alle Altersgruppen ansprechend?
Die meisten Kinder und Jugendlichen werden zwangsweise dem Museum zugeführt, mit einem Schulausflug. Wie die Schülerinnen und Schüler das aufnehmen, hängt auch ein bisschen davon ab, wie es in der Schule vorbereitet wird und wie motiviert die Lehrerinnen und Lehrer sind. Trotzdem ist es keine Garantie, dass Schülerinnen und Schüler das Angebot mögen. Oft kommt dann die Idee, wir machen irgendwas mit Medien, das ist etwas für junge Leute. Das teile ich nicht zu 100 Prozent. Denn in der Regel schaffen es Museen nicht, in Dauerausstellungen die seh- und medialen Gewohnheiten ständig upzudaten. Heute geht keiner mehr an ein Videospiel von vor zehn Jahren dran. Da muss man auf die richtige Strategie setzen und den richtigen Ton treffen, aber das ist sehr schwierig. Natürlich kannst du dich auch bei irgendeinem coolen InfluencerInnen einkaufen, aber die verdienen auch ihr Geld damit.
Ist eine perfekte Ausstellung dann überhaupt möglich?

Die perfekte Ausstellung kann es nicht geben, weil Menschen nun mal unterschiedlich sind. Wenn wir eine Ausstellung konzipieren, fragen wir uns: Wer soll die Ausstellung benutzen? Für wen machen wir das eigentlich? Das Angebot muss immer vielschichtig sein, da unterschiedliche Lebensalter, Herkunft, soziale Milieus und Bildungshintergründe zu uns kommen. Gut ist eine Ausstellung, wenn sie auf unterschiedliche Ansprüche und Perspektiven ausgerichtet und vielleicht so offen ist, dass sie mit oberflächlichem Interesse sehr gut ankommt. Das muss nicht die ganze Ausstellung sein. Wenn jemand kommt, das Thema wählt, sich dafür interessiert und sich denkt: „Oh, das möchte ich verstehen“, dann können wir noch ein zweites Interesse bedienen und dann ist es eine richtig gute Ausstellung.
Inwieweit passen sich Museen Trends an und inwiefern existieren sie überhaupt?
Also, wir sehen das schon ganz deutlich. Die immersiven Lichtshows, das ist schon eine richtige Ansage. Sie sind auf dem Markt und rufen nach der Aufmerksamkeit des Publikums, da laufen jetzt viele Leute hin und haben tolle Erlebnisse. Ich finde es auch sehr beeindruckend, das ist so. Die Macherinnen und Macher, die es gut machen, sagen entweder: „Das ist eine Show.“ Aber wenn sie sagen, das ist ein Museum, dann ist das ein Etiketten-Schwindel, denn es ist einfach kein Museum. Es ist eine Videoshow. Nett ist es, wenn sie es kontextualisieren. In diesem Fall ist es eventuell ein Künstler oder ein Genre und sie berichten auch darüber, wie es entstanden ist, woher es kommt, so dass ich nicht nur komplett überwältigt bin von diesen bunten Bildern und Sounds, sondern auch die Möglichkeit habe, etwas zu verstehen.
Wie sind denn die Entwicklungen bei den Besucherzahlen in den letzten Jahren gewesen?
Das ist sehr schwierig zu sagen, wegen der Corona-Delle. In der Pandemie gab es viele Regelungen und es hieß irgendwann: „In die Schule darfst du gehen, aber ins Museum nicht.“ Das Museum war in der gleichen Klasse wie ein Bordell, eine körpernahe Dienstleistung. Das hat am Selbstverständnis schon sehr stark gekratzt. Wir waren geschlossen, dann gab es eine Quadratmeterbegrenzung für die Menschen. Nach der Schließungsphase mussten sich die Museen wieder aufrappeln. Kurz danach gab es die Energiekrise, die auch für verkürzte Öffnungszeiten gesorgt hat und natürlich finanzielle Probleme. Deshalb sind lange Trends schwierig zu beschreiben. Tatsächlich haben viele Museen eine Besuchererwartung, entweder eine politische Zahl oder auch eine Einnahmeerwartung. Mein Traum wäre nach einem Tag, einer Woche oder einem Monat, die Menschen fragen zu können: „Wie erinnern Sie sich an das Museum?“ Sie können dann ihre Erlebnisse bewerten. Wenn wir so etwas messen würden, dann wäre das vielleicht auch ein richtiger Erfolgs- und Qualitätsmaßstab für Museen.
Was macht für sie ein modernes Museum aus?
Ein Museum ist in meinen Augen modern, wenn es freundlich und gut zugänglich ist. Wenn es verspricht, für mich als Person relevant zu sein und das auch nach außen ausstrahlen kann. Es muss auch Flexibilität haben. Ich kann ja nicht jeden Tag eine neue Ausstellung machen. Aber ich kann aufmerksam und so gut sein, dass ich in meiner Ausstellung etwas zusammendenke und unterbringe, von dem ich weiß, da haben wir einen aktuellen Aufhänger, der die Leute im Alltag anspricht und sie auch aus dem Museum begleitet. Wenn ich es schaffe, Punkte für Menschen zu finden, Themen, die sie gerade berühren, um daraus etwas zu machen, dann ist es ein gutes und modernes Museum.
Beitragsbild: Ruhr Museum/Christian Sebastian