Schnelligkeit, Präzision und Taktik – Ringtennis ist anspruchsvoll, aber fast unbekannt. Während die Spieler*innen für ihren Sport brennen, fehlt es an Aufmerksamkeit und Nachwuchs. Was ist Ringtennis und hat es eine Zukunft?
Ein leichter Gummigeruch nach Hallenboden liegt in der Luft. Draußen ist es längst dunkel. Es ist 18 Uhr an einem kühlen Februartag. In der Sporthalle kämpft das grelle Neonlicht gegen die Dämmerung draußen an. Der blaue Hallenboden und die dunkelgrünen Wände lassen die Halle trist wirken. In der Mitte spannt sich ein langes schwarzes Netz.
Ein Schaumstoffring fliegt durch die Luft über das Netz – präzise gefangen, dann wieder geworfen. Hin und her, in schnellen, flachen Bögen. Die elf Spieler*innen rennen, drehen sich, springen. Ein gezielter Wurf, ein perfekter Angriff. Doch dann fällt der Ring zu Boden. Punkt für die andere Seite. Wer zu spät reagiert, verliert.
Präzision, Tempo, Taktik – die Welt des Ringtennis

Fragt man Menschen nach Ringtennis, erntet man oft ratlose Blicke. Dabei wurde der Sport schon Mitte der 1920er-Jahre in Deutschland erfunden. Heute wird er in nur wenigen Ländern wie in Indien oder den USA professionell gespielt. In Deutschland duellieren sich derzeit laut dem Deutsche Turner Bund (DTB) regelmäßig 15 Vereine. „Die erfolgreichsten Vereine sind eher im Süden Deutschlands angesiedelt. Dort liegen auch die Hauptstandorte der Ringtennisvereine. Im Osten ist dadurch ein „leerer Punkt“, sagt Bundestrainer Timo Hufnagel. Das Ziel beim Spielen: Den Schaumstoffring so zu werfen, dass die gegnerischen Spieler*innen ihn nicht fangen können – oder sie zu einem Fehler zu bringen.
Ringtennis wird in Einzel-, Mixed- und Doppelvarianten gespielt. Jede Variante hat ihre Besonderheiten. Präzise Wurftechniken wie der „Grundring“, der „Drallring“, der „Tellerring“ oder „Kurze“ sollen es den Gegenspieler*innen so schwer wie möglich machen. Das Spielfeld ähnelt dem eines Badmintonfeldes: Es gibt ein kleineres Feld für Einzelspiele und ein größeres für Doppel. Auch das Netz erinnert an Badminton. Doch die Regeln sind streng: Der Wurfarm darf nicht zu hoch sein, nur zwei Bodenkontakte sind erlaubt, der Ring darf sich nicht überschlagen. Viele Regeln, die das Spiel nicht nur anspruchsvoll, sondern auch taktisch machen.
Gemeinsam auf dem Feld – doch wie lange noch?
Einer der Vereine, die professionell Ringtennis spielen ist die RTG e.V. Weidenau in Siegen. Hier startet das Training um 18 Uhr. Zweimal die Woche treffen die Spieler*innen hier in der Halle aufeinander – doch nicht mehr so regelmäßig wie früher. Studium, Arbeit und andere Verpflichtungen halten die ehemaligen Jugenspieler*innen mittlerweile vom Training ab. Bevor es losgeht, wird erstmal gequatscht, gelacht und sich auf den neuesten Stand gebracht.

Dann beginnt das Training. Die Spieler*innen laufen sich ein und dehnen sich. „Am liebsten mag ich es, zu spielen. Also nicht nur klassische Spiele, sondern auch Aufwärmspiele wie Zombieball“, erzählt die 15-jährige Sarah Kautschke begeistert. Mit klaren Kommandos wie „kurz, kurz“ oder „lang, lang“ gibt die Trainerin Anweisungen, während sich die Spieler*innen am Netz einspielen. Die Ringe fliegen, die Anweisungen ändern sich. Das Spiel startet mit sogenannten Aufgaben, die mit einem Aufschlag vergleichbar sind. Dann kurze und lange Würfe, wieder kurz und wieder lang. Im Laufe des Trainings werden die Übungen immer anspruchsvoller, doch alle sind hoch motiviert.
Bei der RTG Weidenau trainieren Jugendspieler*innen mit Erwachsenen zusammen. Die Trainingsbeteiligung sei gut, aber es fehle an Nachwuchs, erzählt Trainerin Lilly Schneider. Wenn keine neue Generation nachrückt, kann das verheerende Folgen für den Verein haben – und für den Sport Ringtennis.
Ein kleiner Sport mit großer Verbundenheit
„Das Hauptproblem ist, dass die berühmte Mittelschicht weggebrochen ist. Dann gibt es nur noch Jüngere und Ältere“, erklärt Bundestrainer Timo Hufnagel. Der Nachwuchs fehle, denn Ringtennis ist schlichtweg zu unbekannt. Es bräuchte mehr Menschen, die andere mitreißen und für den Sport begeistern. Doch die geringe Popularität mache es schwer – auch finanziell. Zwar ist Ringtennis im Deutschen Turner Bund angegliedert und erhält ein kleines Budget, doch dieses falle sehr gering aus. Sponsoren seien daher essenziell, um diesen Sport am Leben zu halten. Und die fehlen bei kleineren Vereinen wie der RTG Weidenau.

Doch einen Nischensport zu betreiben, hat auch Vorteile. „Es ist einfach, gut zu sein“, sagt Lilly Schneider und lacht. Weil es Ringtennisvereine in ganz Deutschland gibt, habe Lilly über die Jahre viele Kontakte zu anderen Spieler*innen knüpfen können. Sie schätzt an der Sportart, dass sich alle irgendwie kennen. „Eigentlich ist es auch ganz cool, einen Sport zu machen, den nicht jeder macht“, sagt Lilly und lacht. Ringtennis ist kein Mainstream und genau das gefällt ihr daran.
Bundestrainer Timo Hufnagel spricht von einem „familiären Gefühl“, wenn er an Ringtennis denkt. Er spielt schon seit seiner Kindheit und trifft heute noch auf Gegner*innen aus früheren Zeiten. Gerade weil die Ringtennis-Szene so klein ist, entstehe ein besonderes Zusammenhörigkeitsgefühl – selbst in einer Einzelsportart. Wer einmal Ringtennis-Luft geschnuppert hat, bleibt meist auch für lange Zeit dabei.
Zwischen Hobby und Hochleistung – Der Alltag im A-Kader
Ringtennis kann weit über den kleinen Rahmen hinaus gespielt werden. Zunächst stehen die Regionalmeisterschaften an, gefolgt von den Landesmeisterschaften, bis schließlich die Deutschen Meisterschaften den Höhepunkt bilden. Wer es in den A- oder B- Kader schafft, hat sogar die Chance, alle vier Jahre an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen – vorausgesetzt, er*sie ist zu dem Zeitpunkt im Kader.

Lilly Schneider ist 20 Jahre alt und Teil des internationalen A-Kaders. Wenn sie nicht gerade intensiv für die nächste Meisterschaft trainiert, merke sie im Alltag kaum etwas davon. Sie lebe ein normales Leben, fängt bald einen Job im Schichtdienst an. „Da könnte es schwierig werden mit dem Ringtennis“, sagt sie lachend. Trotz ihres hohen Spielniveaus bleibe der Sport für sie ein normales Hobby. Doch wenn sie bei stark umkämpften Meisterschaften antritt, spüre sie den Leistungsdruck deutlich.
Auch Bundestrainer Timo Hufnagel lebt für Ringtennis – als Trainer und ambitionierter Spieler. Eine Kombination aus Konzentrationsvermögen, Reaktionsfähigkeit und Kondition ist für ihn essenziell für diese Sportart. Dementsprechend anspruchsvoll gestalte sich das Training für die Kaderspieler*innen. „Die taktische Nuance und das Timing sind hier entscheidend“, sagt Hufnagel über das Kader-Training. Sowohl Spieler*innen als auch Trainer*innen sind einer hohen Belastung ausgesetzt, besonders in der Vorbereitungsphase. Schon Monate vor den großen Wettkämpfen steckt Hufnagel tief in der Trainingsplanung, um das Beste aus seinem Team herauszuholen.
Ringtennis-WM 2023: Ein Traum mit Hindernissen

35 Grad, eine flirrende Hitze liegt in der Luft. Die Straßen sind holprig, rissig. Links ziehen sich die Slums entlang, enge Gassen, Wellblechdächer. Rechts ragen prächtige Luxusvillen in den Himmel. Südafrika, ein Land voller Kontraste, das Lilly Schneider sofort in seinen Bann zieht. Sie blickt aus dem Fenster, beeindruckt von der Landschaft, von der Lebensart der Menschen hier. Sie ist gerade auf ihrem Weg zur Ringtennis Weltmeisterschaft 2023 in Südafrika – so erinnert sie sich später an ihre Reise.
Lilly Schneider war zwölf, als eine Freundin sie mit zum Ringtennis nahm – und sie blieb. Die Weltmeisterschaft war ein besonderer Moment für sie – ihr bisheriger sportlicher Höhepunkt und gleichzeitig eine Herausforderung: „Wir wussten vorher nicht, wie die anderen Nationen sind. Von daher war es schwierig, sich auf sie einzustellen, weil sie andere Spielweisen haben als wir“, erzählt Lilly. Gespielt wurde draußen auf Betonfeldern. Es war extrem heiß und die Luft dünn. Jede Bewegung war anstrengender als gewohnt. Deutschland trat gegen vier andere Nationen an: Südafrika, Indien, die USA und Hongkong. 26 deutsche Spieler*innen waren mit dabei – 16 aus dem A-Kader, 10 aus dem B-Kader. Doch die Reise nach Südafrika war nicht nur sportlich herausfordernd, sondern auch finanziell.
Intensive Tage, unvergessliche Momente

Die Kosten beliefen sich auf 1500 Euro pro Person. Beim Ringtennis gibt es kaum Förderungen. „Ich habe mir Sponsoren gesucht“, erzählt Lilly. „Man muss hier mehr Eigeninitiative zeigen als bei anderen Sportarten.“ Bis zum Schluss war nicht sicher, ob sie mitkommen würde, ob es wirklich klappen würde.
In Südafrika herrschte eine besondere Atmosphäre. Die Vorfreude auf die WM war riesig – egal ob bei Spieler*innen oder Trainer*innen. „Die Stimmung war gut, richtig harmonisch“, bestätigt auch Bundestrainer Hufnagel. Gemeinsame Abende am Pool oder gesellige Runden am Abend stärkten den Teamgeist der deutschen Mannschaft und haben sie über die Zeit geprägt. Trotzdem gab es einen straffen Zeitplan: Um 22 oder 23 Uhr ging es ins Bett, am nächsten Morgen gab es um 7:30 Uhr Frühstück und um 8 Uhr machten sie sich auf den Weg zu den Plätzen. Zehn Tage lang folgte alles diesem Rhythmus– intensive Tage voller Wettkämpfe, Emotionen und unvergesslicher Momente.

Lilly belegte mit der U23-Mannschaft den zweiten Platz. Deutschland stehe im internationalen Vergleich ohnehin sehr gut dar, sagt Timo Hufnagel. Im Erwachsenenbereich gehöre das Team zur Weltspitze, der Nachwuchs sei auf dem „aufsteigenden Ast“. Für die nächste WM 2027 sei ihm besonders wichtig, die Lücken im Kader rechtzeitig zu schließen.
Lilly betreibt Leistungssport, doch verglichen mit anderen Sportarten fühle es sich für sie nicht so an. Für sie sei es ein ganz normaler Sport, weil der Leistungsaspekt ein anderer sei. Es gibt keine großen Sponsoren, keinen Medienrummel. Trotzdem steht Lilly voller Einsatz auf dem Feld. Für sie ist Ringtennis mehr als nur ein Sport.
Randsport mit Herz
Ringtennis hat es nicht leicht – doch es gibt Hoffnung. Bundestrainer Hufnagel setzt sich dafür ein, „eine breitere Basis“ zu schaffen, insbesondere für kleinere Vereine wie der RTG Weidenau: Der Freizeitbereich soll gestärkt werden, um mehr Menschen für den Sport zu begeistern.

Auch die Spieler*innen der RTG Weidenau wünschen sich, dass es diesen Sport noch lange gibt. „Es wäre schade, wenn diese Sportart ausstirbt“, sagt Sarah Kautschke. Sie liebt es, sich beim Training auszupowern – auch wenn es manchmal mit Ärger verbunden sein kann, denn Verlieren gehört zum Sport dazu. Doch genau dieser Ehrgeiz und der Zusammenhalt machen den Sport für sie so einzigartig. Teamgeist ist bei Randsportarten wie dieser besonders wichtig, wie Lilly sagt: „Ringtennis verkörpert für mich unglaublich viel Gemeinschaft. Dadurch, dass es eine Randsportart ist, ist es umso wichtiger, dass die, die Ringtennis spielen, zusammenhalten – nur so kann Ringtennis weiterbestehen.“
Die Faszination Ringtennis
Ein Ring fliegt durch die Luft. Ein perfekter Wurf, gefangen mit nur einer Handbewegung. Stille, Konzentration. Wie spiele ich meine gegnerischen Spieler*innen am besten aus? Kurz oder lang spielen? Bruchteile von Sekunden entscheiden – dann wieder Bewegung. Ringtennis ist präzise, athletisch und taktisch. Es fordert alles und steht dennoch im Schatten vieler anderer Sportarten. Doch für diejenigen, die es spielen, bedeutet es weit mehr. Es ist ein Sport, der verbindet, fordert und auch mal frustriert. Es mag eine kleine Sportart sein – die Leidenschaft der Spieler*innen bleibt jedenfalls.
Beitragsbild: Kim-Sarah Schütte