Das Duell: Von der NFL kann die Bundesliga viel lernen – oder nicht?

Auf der ganzen Welt knabbern NFL-Fans am Sonntag wieder an den Fingernägeln, rücken unruhig auf dem Sofa auf und ab und kleben mit den Augen am Fernseher. Der Superbowl, das Finale der American-Football-Liga in den USA, ist das größte Sportevent der Welt und scheint auch in Deutschland von Jahr zu Jahr mehr Fans zu gewinnen. Unter anderem, so sagen viele, liegt das an der Hochspannung, die im Titelkampf herrscht. Spannung – ein Wort, das deutsche Fußballfans längere Zeit nicht mehr in den Mund nehmen konnten, wenn über das Meisterschaftsrennen in der Bundesliga diskutiert wurde. Die Bundesliga und das Fußball-System im Allgemeinen können viel von der NFL lernen. Oder nicht?

Die NFL sollte der Bundesliga Inspiration sein,

findet Julian Schildheuer

Bereits im Jugendbereich ist die NFL besser aufgestellt als die Bundesliga. Jedes Jahr schaffen mehrere Talente den Sprung in vom College in den Profibereich. In der Bundesliga können die Fans froh sein, wenn es aus einem Jahrgang drei oder vier neue Spieler in die höchste deutsche Spielklasse schaffen. Und gleichzeitig sorgt das Auswahlverfahren in der NFL für Spannung.

In der Bundesliga und den anderen europäischen Ligen regiert das Geld. Talentierte Jugendtalente gehen zu den Vereinen mit einem gefüllten Portemonnaie. In Deutschland sind das der BVB oder die Bayern. Ausgeglichenheit gibt es nicht, die erfolgreichen Teams bleiben erfolgreich.

In der NFL sorgt der Draft dafür, das Jugendspieler aus den Colleges zu den Profiteams kommen. Das schlechteste Team der Vorsaison sucht als erstes aus. Das schlechteste Team bekommt so in jeder der sieben Runden den talentiertesten Spieler und hat so die Chance im Kampf um den Titel weiter oben mitzumischen. Jahrelange Dominanz eines einzigen Teams ist so fast unmöglich.

Trades anstatt Ablöse

Dazu kommt, dass sich ein Team nicht einfach die besten Spieler zusammen kaufen kann. Denn: In der NFL darf nur getauscht werden. Entweder tauscht man einen Spieler gegen einen anderen oder gegen einen oder mehrere Picks im Draft. Würde man das in der Bundesliga oder dem europäischen Fußball generell einführen, würden Vereine wie der SC Freiburg nicht jede Saison vor einem kompletten Neuanfang stehen. Aus dem 36-Mann-Kader mit dem die Freiburger 2017 an der Qualifikation zur Europa League teilnahmen, sind heute nur noch 15 Spieler dabei. In Retour gab es Ablösesummen in Millionenhöhe, eine ähnliche Platzierung konnte aber nicht mehr erreicht werden.

Höchstbetrag an Gehältern: Das Salary-Cap

Trotz aller Mechanismen, die die Spannung jedes Jahr auf dem höchsten Level halten sollen, gibt es auch in der NFL Dynastien. Die bislang längste dauert gerade noch an. Die New England Patriots standen seitdem Trainer Bill Belichick und Quarterback Tom Brady im Jahr 2000 in 

Foxborough übernommen haben, neun Mal im Superbowl. Fünf Mal konnten sie die Trophäe in die Höhe halten. Fünf Titel in 19 Jahren gilt in der NFL als Dynastie. Zum Vergleich: Die Bayern gewannen im gleichen Zeitraum zwölf Mal die Deutsche Meisterschaft. Übrigens kein anderer deutscher Fußballverein gibt so viel Geld für Gehälter aus, um seinen Erfolg zu sichern.

In der NFL nicht möglich, da es dort eine Höchstgrenze für Gehälter gibt, das Salary Cap. Teams geben deshalb ungefähr gleich viel für Spieler aus. 2018 lag das Salary Cap bei 177,2 Millionen US-Dollar für den 53-Mann-Kader. In der NFL zählt deshalb ein ausgeglichenes Gehaltsmanagement, um auf lange Sicht erfolgreich zu sein. Schmerzlich mussten das die Minnesota Vikings in diesem Jahr erfahren, die mit Kirk Cousins vor der Saison ihren Wunschquaterback verpflichteten. Im Jahr zuvor waren die Vikings noch im NFL-Halbfinale, dieses Jahr verpasste man die Playoffs trotz 80-Millionen-Dollar-Vertrag für Cousins.

Ein geschicktes Händchen der Manager ist in der NFL viel mehr gefragt als in der Bundesliga. Die Bayern rühmen sich seit Jahren damit, dass sie am besten arbeiten würden und deshalb Meisterschaften wie am Fließband gewinnen. Aber ist es eine Leistung mit Geld um sich zu schmeißen, um talentierte Spieler und Erfolgscoaches wie Pep Guardiola anzustellen? Ich finde nicht.

Der Spielmodus

Ganz ehrlich: Ich finde den DFB-Pokal seit einigen Jahren spannender als die Meisterschaft. Das liegt natürlich an dem K.O-Modus. Der kommt an. Warum also nicht, wenn es um die Meisterschaft geht? Warum ist der unwichtigere Titel so viel spannender als die Deutsche Meisterschaft? Es muss ein neues System her. Wie in der NFL könnte die Saison aufgeteilt werden in reguläre Saison, in der man dann um den Einzug in die Playoffs kämpft. Erreicht man die, geht es im K.O-Modus weiter. Spannung ist garantiert.

Mir ist bewusst, dass sich diese Ideen nicht durch einen Alleingang der Bundesliga durchsetzen können, sondern nur, wenn die UEFA und andere europäische Ligen dabei sind. Aber auch in Spanien, England oder auch Frankreich gibt es ein Spannungsproblem. Es stehen immer die selben Teams an der Tabellenspitze. Es muss sich etwas ändern, denn die Fans lechzen nach Spannung. Das sieht man nicht zuletzt an der wachsenden Football-Begeisterung in Deutschland.

Das amerikanische System ist keine Option für Deutschlands Elite-Liga,

findet Leon Elspaß

Es stimmt, die Konstellation im obersten Liga-Segment war dröge. Der bayerische Seriensieg nahm der Bundesliga Spannung und Emotionen. Dennoch dürfen Playoffs keine Option sein. Immerzu betonen Münchens Macher, dass die Meisterschaft der „ehrlichste“ Titel sei. Manch einer kann das zwar nicht mehr hören. Die Wahrheit ist es dennoch. 34 Spieltage duellieren sich die Bundesligisten. Ohne K.o.-Runde, ebenso übrigens wie bei allen großen Fußball-Ligen dieser Welt. Am Ende steht derjenige oben, der am hartnäckigsten, am stabilsten, kurzum: am besten war.

Der “ehrlichste” Weg

Nicht grundlos ist der Ärger über die Relegation. 2009 wieder eingeführt, sorgt sie alljährlich für Verdruss. Um den Auf- bzw. Abstieg duellieren sich zwei Teams in Hin- und Rückspiel. Kleinste Fehler, ob selbst- oder vom Schiedsrichter verschuldet, können da über die gesamte Saison entscheiden, über viel Geld und Arbeitsplätze im Verein. Solche Modi garantieren Spannung, der Faktor Glück aber wird überstrapaziert. In einer Branche, in der es dann doch um mehr geht als das nackte Ergebnis, sollte der fairste und – wie die Bayern-Verantwortlichen sagen – „ehrlichste“ Weg gewählt werden.

Salary Cap ist verlockend

Ein Plan, der ebenfalls zu kurz greift, ist die Einführung des Salary Cap. In der NFL praktiziert, grenzt er das Gehalt der dort Angestellten ein. Würde er im deutschen Fußball ernsthaft eingesetzt, sorgte das wohl für eine Schieflage auf internationaler Ebene. Im Vergleich zu den übrigen herausragenden Fußball-Ligen würde die deutsche bald unter Fachkräftemangel leiden. Für ausländische Top-Stars wäre sie finanziell weniger attraktiv. Verlockend mag der Salary Cap klingen, im Sinne der breiten, nach Top-Fußball dürstenden Masse können dessen Folgen aber nicht sein.

 “Draft”-System nur nette Idee

Und auch das „Draft“-System ist nur eine nette Idee. Wenn im Transferzeitraum der NFL frische Kräfte verpflichtet werden, darf sich der schlechteste Verein der Vorsaison als erstes auf dem Markt der amerikanischen Nachwuchstalente bedienen; das beste Team zum Schluss. Der Plan ist so simpel wie nachvollziehbar: Das Niveau der Mannschaften soll sich qualitativ angleichen. Ein Wunsch, den auch mancher Fußball-Fan hegt. Einer allerdings, der auf dem NFL-Weg nicht reibungslos zu erreichen wäre. Zum einen erschwert das EU-Recht zur freien Arbeitsplatzwahl eine solche Regelung. Nicht völlig unrealistisch erscheint außerdem, dass das Draften im Fußball zu einer regelrechten Streik-Orgie führen würde. Immer deutlicher zeigte sich zuletzt, dass es einige Fußballer nicht so genau nehmen mit vertraglichen Verpflichtungen. Die Arbeitsverweigerung, in Dortmund letztlich erfolgreich von Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembélé verübt, wurde zum probaten Mittel. Weitere drastische Fälle dieser Art kann der Fußball, der mit all seinen Veränderungen eh schon einige Zuschauer vergrault hat, nun wirklich nicht vertragen.

Hoffnung für Nicht-Bayern-Fans

Ihren eigenen Weg muss die Bundesliga finden – und scheint da derzeit auf einem guten Weg. Um die Dominanz der Bayern zu brechen, bedarf es akribischer, vorausschauender, mutiger Arbeit. So wie es gerade zum Beispiel an den Standorten in Dortmund, Mönchengladbach oder Frankfurt praktiziert wird. Die Spitze ist breiter geworden in dieser Saison. Und die Chance, dass es der FC Bayern mal nicht auf den Liga-Thron schafft, scheint groß. Lucien Favres BVB-Mannschaft wirkt stabil, führt die Tabelle aktuell mit sechs Punkten Vorsprung an. Während Dortmunds Kaderplaner im vergangenen Sommer schlau und schnell den personellen Umbruch einleiteten, schliefen die Münchner – und hinken nun hinterher. Freilich: Es ist nur eine Momentaufnahme. Eine allerdings, die dem Nicht-Bayern-Fan Hoffnung machen darf. Die NFL braucht es nicht als Vorbild. Zumal der Fußball auch immer irgendwie Fußball bleiben sollte.

und
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