Wie Bibliotheken mit der Zeit gehen

In einer Bibliothek stehen unzählige Möglichkeiten zur Verfügung, um zu lernen und zu leben. Mit dem Wandel der Technik hat sich auch die Bibliothek verändert. Die Entwicklung der Bibliotheken und ihre Rolle in der Gesellschaft – ein Essay. 

Ich erinnere mich noch genau an die Bücherei in der kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Sie liegt in einer Hälfte des alten Bahnhofgebäudes, das sie sich mit einem Asia-Restaurant teilt. Der ganze Eingangsbereich riecht daher nach Essen. Die Kinderbuchabteilung liegt um die Ecke, bunt dekorierte Bücherregale, Sitzsäcke und Kissen in den Ecken. Im nächsten Raum dann ein Tresen mit Comics, dahinter Jugendbücher und meine heißgeliebte Fantasy-Abteilung. Ich habe all diese Abteilungen durchlaufen.

Auch die Bibliothek in der größeren Stadt, in der ich den größten Teil meiner Schulzeit verbracht habe, hat sich bei mir eingeprägt: Ein weitläufiges Altbaugebäude, direkt neben der Innenstadt, mit Etagen voller Bücher, bequemen Sesseln und Ausblick über den Schlossplatz. Nicht selten saßen wir zu mehreren in einer Sesselecke, teils zu zweit auf einem Sessel oder auf den Böden, als wir uns gegenseitig Bücher in die Hände drückten und ihre Geschichten diskutierten. Die Treppen vor der Bibliothek sind noch immer ein Treffpunkt, wenn ich in der Heimat bin. Bis heute beeinflussen Bibliotheken meine Interessen und öffnen Türen, von denen ich teils nicht einmal wusste, dass sie da sind. Und ich bin nicht die einzige, der das so geht.

Bibliotheken sind ein wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur. 2024 befinden sich laut deutscher Bibliotheksstatistik (DBS) über einhundert Millionen physische Medien in rund 6700 öffentlichen Bibliotheken, die so für alle frei zugänglich sind. Dazu bieten sie einen Ort außerhalb von Haus und Arbeit für alle an, sind ein Raum der Begegnung und des Lernens und der Unterhaltung. In dieser Funktion geben sie ihr Bestes, um mit der Zeit zu gehen und mit der Technik Schritt zu halten, erzählen mir zwei Mitarbeitende aus der Dortmunder Stadtbibliothek.

Die moderne Bibliothek in ihren Startlöchern

Noch vor dreißig Jahren war von Technik wenig zu sehen. Elisabeth Overkamp, Bibliothekarin in der Stadtbibliothek in Dortmund, zeigt mir im Keller einige alte Karteischränke mit teils handgeschriebenen Kärtchen, penibel sortiert nach Autor*in und versehen mit Zahlkennungen. Overkamp erzählt von der Recherchearbeit mit diesen Systemen, die wochenlanges Suchen nach den richtigen Büchern enthielt.

Wir suchen nach Shakespeare in der Kartei. In einer der unzähligen Schubladen finden wir Kärtchen, die die Werke des englischen Dichters enthalten. In derselben Schublade entdecke ich den Namen Shelley auf einer Abschnittsbeschriftung und wir testen, wie schnell wir ein bestimmtes Buch finden – den ersten klassischen Science-Fiction-Roman, Mary Shelleys Frankenstein. Wir finden Karten und Karten und noch mehr Karten über ihren Ehemann, Percy, und dessen Dichtungen, aber nicht Frankenstein. Elisabeth Overkamp vermutet, dass die Karte zerlesen war und entsorgt wurde, nachdem sie ins digitale System eingepflegt wurde. Schade, aber nachvollziehbar.

Der Einzug des Computers

Eine handgeschriebene Karteikarte in einem Karteikasten mit Informationen zu Werken von Heinrich Heine.
Karten wie diese waren das ursprüngliche Sortiersystem in Bibliotheken.

Das digitale Katalogsystem kam mit den ersten Computern kurz vor der Jahrtausendwende in die Dortmunder Bibliothek. Datenbanken mit allen Informationen über Bücher auf Knopfdruck machen besonders das Suchen deutlich einfacher. Namen, Titel, Stichwörter – eine Eingabe im Suchfeld und sofort sind alle Informationen da.
Mit den Computern kamen auch neue Medien in die Bibliotheksbestände. „Ich muss mal überlegen. Was gab es alles noch für Medien?“ Martin Schirmer arbeitet seit 2001 in der Dortmunder Bibliothek. „Seitdem es diese Medien gibt, sind sie mit einer kleinen Zeitverzögerung in der Regel in den Bibliotheken zu finden.“ In Dortmund begann es mit CD-Roms, die etwa gleichzeitig mit den Recherchecomputern einzogen.

Ein großer Teil der digitalen Ausleihe ist heute das E-Book. Laut der DBS sind 2024 fast 1,9 Millionen E-Medien verfügbar. E-Medien, das sind etwa E-Books, E-Journals, E-Audio. E-Books werden ausgeliehen und dann auf E-Reader geladen. Diese gibt es als physische Geräte oder als Apps. Die Kund*innen können nicht nur die Bücher ausleihen, sondern auch die E-Reader. „Zum Beispiel, um sie mit in den Urlaub zu nehmen, weil sie nicht so viele Bücher schleppen wollen”, erzählt Elisabeth Overkamp.

Auch andere Formen von Unterhaltungsmedien sind in Bibliotheken zu finden. Musik, Filme, Serien, Brettspiele, Videospiele – wenn es ein Medium physisch zu kaufen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, es in einer Bibliothek zu finden. In der Dortmunder Bibliothek steht zum Beispiel ein Kasten mit Spielen für die PlayStation 5 kurz hinter dem Eingangsbereich bereit.

Bibliothek für so viel mehr

Ich habe damals ein paar Spiele für meine PS3 aus der Bibliothek ausgeliehen, und das fand Mini-Ich schon brillant. Als Elisabeth Overkamp mich durch das Erdgeschoss führt, staune ich. Neben all diesen Medien und Spielen verleiht die Bibliothek in Dortmund auch eine bunte Sammlung an Gegenständen. In der „Bibliothek der Dinge“ gibt es zum Beispiel eine Nintendo Switch oder eine VR-Brille, aber auch eine Bohrmaschine, Roboter zum Selbstprogrammieren oder ein Set digitale Schlagzeugstöcke. Dazu gibt es ein Programm namens „Artothek“, bei der Kunstwerke ausgeliehen werden können. Die dürfen bis zu drei Monate bei den Nutzer*innen bleiben und enthalten Werke von regionalen Künstler*innen. Damit ermöglicht die Bibliothek Zugang zu Dingen, deren Anschaffung für viele Menschen unnötig oder unmöglich ist.

Auch digital baut die Dortmunder Bibliothek ihr Angebot aus. Wer einen Bibliotheksausweis hat, bekommt darüber Zugang zu Tageszeitungen, Lexika und Fachzeitschriften. Dazu gibt es Angebote zu digitalem Lernen und Streaming-Angebote für Musik und Film. „Wir haben jetzt nicht Amazon prime“, beschreibt Martin Schirmer, „man kriegt aber auch schöne Filme aus allen Genres.“

Die Bibliothek ist ein warmer, sicherer Ort für alle, die ihn brauchen. Wer sich an die Regeln hält, kann den ganzen Tag bleiben und die Angebote nutzen. Es gibt freies WLAN, Computer, Scanner und Drucker – Dinge, die nicht allen Zuhause zur Verfügung stehen.

Und wohin geht’s jetzt?

Dennoch ist die Zukunft unsicher. Der deutsche Bibliotheksverband dbv spricht in seinem Bericht zur Lage der Bibliotheken 2024 davon, dass 18 Prozent der Bibliotheken mindestens 10 Prozent weniger Budget zur Verfügung hatten als im Jahr zuvor. Ebenso betont er, dass ein gleichbleibendes Budget bei wachsender Inflation ebenfalls zu weniger Möglichkeiten führt. Bibliotheksfinanzierung ist besonders in kleinen Kommunen eine Ausgabe, die bei fehlenden Mitteln schnell reduziert oder gar gestrichen wird. 2007 waren noch etwa 10.300 öffentliche Bibliotheken geöffnet, 2023 sind es nur noch 8.152.

Die Rolle von Bibliotheken wird aber nicht weniger wichtig. Besonders mit zunehmender Desinformation sowie der Etablierung von Künstlicher Intelligenz ist die Bibliothek ein Raum von korrekter, geprüfter Information.

Der Einfluss von Bibliotheken

Meine eigene Bibliotheksgeschichte reiht sich ein wie ein Puzzleteil – ein Mädchen, das Bücher in einer Geschwindigkeit verschlingt, die schon beeindruckend wirkt. Hätten meine Eltern jedes dieser Bücher kaufen müssen, hätte das ein enormes Loch in unsere Finanzen gefressen. Stattdessen durfte Mini-Ich in der Bibliothek sein, umgeben von Welten und Geschichten, die nur darauf warteten, von mir erkundet zu werden.

Als ich älter wurde, ging ich nach der Schule allein dorthin, verschwand mit einem Buch in der Ecke, Band zwei direkt auf dem Tisch neben mir. Und das zeigt sich auch noch heute: In meiner Wohnung steht ein großes Bücherregal, und wenn ich über mein Traum-Zuhause nachdenke, hat es einen Raum, dessen Wände komplett bedeckt sind mit Büchern. Nach wie vor kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als von ihnen umgeben zu sein.

 

Fotos: Lisa Löhnert

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