Die einen finden blaue Augen und braune Haare schön, den anderen gefallen runde Gesichter und eine hohe Stirn. Wiederum andere stehen auf einen dunklen Teint und eine kleine Stupsnase. Schönheit scheint ziemlich individuell zu sein. Eines haben die Schönheitsideale in aller Welt jedoch gemeinsam: Ihnen liegt eine ganz bestimmte Symmetrie zugrunde, besser bekannt als der goldene Schnitt. Er gilt als die universelle Formel für Schönheit.
Florence Colgate ist 23 Jahre alt. Die Britin studiert an der Christchurch Universität in Canterbury Gesundheitsforschung, geht gern mit ihren Freundinnen abends feiern und besitzt einen schwarzen Mops. Eigentlich ziemlich normal. Allerdings hat sie etwas, das nur die wenigsten Menschen haben: Ihr Gesicht entspricht dem sogenannten goldenen Schnitt. Das heißt, sie ist nicht nur ausgesprochen hübsch, sie ist wissenschaftlich gesehen sogar perfekt. Die Proportionen in Colgates Gesicht entsprechen einer bestimmten Symmetrie und werden als besonders attraktiv wahrgenommen. Das Besondere bei Colgate: Sie musste sich dafür nicht wie viele andere Menschen unters Messer legen, sondern ist eine natürliche Schönheit.
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Bis zum Jahr 2012 wusste die Britin allerdings noch nicht, dass ihr Gesicht den Gesetzmäßigkeiten des goldenen Schnittes entspricht. In diesem Jahr setzte sich die damals 19-Jährige gegenüber 8.000 anderen Kandidatinnen in der Fernsehsendung „Britain’s Most Beautiful Face“ durch. Ausschlaggebend für den Sieg waren allein wissenschaftliche Berechnungen. Die Jury kam zu dem Ergebnis, dass Florence’ Gesicht exakt die Proportionen besitzt, die weltweit als wissenschaftliches Idealmaß gelten. Seitdem steht ihr Gesicht bei der Google Suche nach dem goldenen Schnitt an erster Stelle – und wird oft für wissenschaftliche Studien herangezogen. Aber was hat es eigentlich mit diesem besonderen Schnitt auf sich?
Schöne Zahlenfolgen
Etwa 810 Jahre bevor Colgate als schönstes Gesicht Großbritanniens ausgezeichnet wurde, entschlüsselte der Mathematiker Leonardo Fibonacci bereits den Grund für ihre Schönheit. Der Italiener gilt als einer der bedeutendsten Rechenmeister des Mittelalters. Er entdeckte eine Regelmäßigkeit in der Vermehrung von Kaninchen und leitete daraus die sogenannte Fibonaccifolge ab. Weitergehende Untersuchungen zeigten, dass diese Gesetzmäßigkeit überall in der Natur auftaucht und noch zahlreiche andere Wachstumsvorgänge der Pflanzen beschreibt.
Die Fibonaccifolge ist die unendliche Folge von natürlichen Zahlen. Am Anfang dieser Zahlenreihe stehen zweimal die Zahlen: Eins und Eins. Diese beiden Zahlen müssen addiert werden, um die nächste Fibonaccizahl zu erhalten: Zwei. Und so geht es weiter: Die Summe zweier aufeinanderfolgender Zahlen ergibt die unmittelbar danach folgende Zahl. Aus Eins plus Zwei wird Drei, aus Zwei plus Drei wird Fünf, und so weiter.
Diese Zahlenreihe hängt eng mit dem goldenen Schnitt zusammen. Die universelle Formel für Schönheit wurde bereits vor 2500 Jahren von den Griechen erfunden, aber erst um 300 vor Christus brachte sie Euklid zu Papier. Der goldene Schnitt teilt eine Strecke in einen längeren und einen kürzeren Teil, etwa zwei Drittel zu einem Drittel. Das Verhältnis der beiden Teile entspricht exakt dem Verhältnis zwischen ganzem Teil und längerem Teil. Diese Aufteilung erklärt sich dadurch, dass jede Fibonaccizahl geteilt durch die nächstkleinere die Zahl 1,6 ergibt – gerundet ungefähr zwei. Als Beispiel: Fünf geteilt durch Drei ist 1,6. Hieraus ergibt sich das Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel. Dieses wird in der Natur als attraktiv empfunden und findet sich fast überall.
Das Verhältnis muss stimmen
Einige Beispiele sollen das beschriebene Verhältnis, das den Kern der Schönheit ausmacht, verdeutlichen: Im wissenschaftlich perfekten Gesicht ist der Mund doppelt so breit wie die Nase. Der Abstand vom Haaransatz zur Nasenspitze und von der Nasenspitze bis zum Kinn beträgt ebenfalls Zwei zu Eins. Bei Florence Colgate sind es genau diese Proportionen, die sie besonders attraktiv aussehen lassen.
Auch in der Natur lässt sich das Zwei-zu-Eins-Verhältnis wiederfinden- beispielsweise bei Blütenblättern. Das bekannteste Beispiel ist die Sonnenblume. In dieser wachsen die Blüten so übereinander, dass sie sich gegenseitig zu zwei Dritteln überdecken. Das sorgt dafür, dass sie in dieser Anordnung am meisten Licht abbekommen. Das Ganze hat also einen großen evolutionären Vorteil. Und sieht zusätzlich auch noch ziemlich schön aus.
Der erste Eindruck zählt
Mit dem goldenen Schnitt beschäftigt sich auch Katrin Lichtenstein – allerdings nicht bei Menschen, sondern bei Gebäuden. Sie ist Studienkoordinatorin der Fakultät Architektur an der TU Dortmund. “Der goldene Schnitt wird auch in den meisten Bauwerken übernommen, damit sie angenehm für das Auge sind”, erklärt Lichtenstein. Ein typisches Haus ist demnach mit einer Tür in der Mitte und Fenstern rechts und links davon aufgebaut.
Würden wir ein Haus zeichnen, würden wir wahrscheinlich auch automatisch das Verhältnis Zwei zu Eins anwenden, indem wir die Fenster doppelt so breit zeichnen würden wie die Tür. In jedem von uns steckt also ein Perfektionist. “Dass wir unsere Umgebung und die Menschen darin nach dem goldenen Schnitt absuchen, können wir gar nicht verhindern. Jeder ist erst mal ziemlich oberflächlich”, erklärt Katrin Lichtenstein. Die Architektin weiß allerdings auch: Nicht alles muss perfekt sein, damit Menschen es attraktiv finden:
Gesichter, die genau dem goldenen Schnitt entsprechen, sind ziemlich selten. In der Natur ist die perfekte Symmetrie hingegen relativ häufig zu finden. Aber sich extra für ein völlig symmetrisches Gesicht unters Messer zu legen, ist es wohl kaum Wert. Da lernt man lieber seine ganz persönlichen Makel zu lieben und zu schätzen.
Teaser- und Beitragsbild: flickr.com / Prab Bhatla lizensiert nach Creative Commons