Duell am Donnerstag: Soll Joachim Löw Trainer der Nationalmannschaft bleiben oder nicht?

Bild: Steindy, lizensiert nach CC 3.0 durch Wikimedia Commons

In wenigen Tagen endet das Fußballjahr 2018. Für die deutsche Nationalmannschaft lief es überhaupt nicht wie geplant. Nach dem vorzeitigen Ausscheiden bei der WM in Russland forderten viele den Rücktritt von Joachim Löw. Mit dem Abstieg aus der Nations League wurden die kritischen Stimmen nicht leiser. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat an Löw festgehalten und will mit ihm als Trainer in die anstehende EM-Qualifikation gehen. KURT-Reporter Johannes Bauer und Simon Kosse sind sich nicht einig: Ist Jogi noch der Richtige für den Job? Zeit für ein Duell am Donnerstag!

Ohne Stress ins Jahr 2019

möchte Simon Kosse

Ich kann die Kritik an Joachim Löw ja durchaus verstehen, aber mal ganz ehrlich: ein Absetzen des Bundestrainers macht momentan keinen Sinn. Ein neuer Trainer müsste bis zur EM-Qualifikation 2019 die gesamte Mannschaft kennenlernen und trainieren. Davor gibt es keine Testspiele, die Deutschen treffen am 24. März auf unsere Nachbarn aus den Niederlanden. Wenn man noch die Bundesliga-Winterpause abzieht, dann stehen die Deutschen schon in zweieinhalb Monaten auf dem Platz. Und das gegen den Gruppenfavoriten. In dieser Zeit eine Mannschaft zu formen, die es mit den formstarken Niederländern aufnehmen kann, ist nahezu unmöglich.

Wenn man der Kritik zur WM nachgehen wollte, müsste man folglich auch einen Umbruch im Kader durchsetzen. Aber eine junge, nicht-eingespielte Mannschaft unter einem neuen Trainer, wäre ein risikoreiches Unterfangen und würde den DFB, im Falle eines Misserfolgs, naiv darstellen.

Die Bubis bekommen ihre Spielzeit

Es ist verständlich, dass viele direkt nach dem Ausscheiden den Kahlschlag in der Mannschaft und in der sportlichen Leitung forderten. Beim zweiten Hinsehen fällt jedoch auf, dass Löw sehr wohl personelle Entscheidungen in der Nations League und in den beiden Testspielen gegen Peru und Russland getroffen hat. Leroy Sané, Nils Petersen, Jonathan Tah, Nico Schulz, Mark Uth, Emre Can, Serge Gnabry, Thilo Kehrer und Kai Havertz sind alle Spieler, die nicht zu dem WM-Kader gehörten und in den gerade mal sechs Spielen nach der WM eingesetzt wurden. Von den insgesamt 15 Toren und Vorlagen, wurden 8 von den „Neu-dazu-berufenen“ erzielt. Wenn das nicht ein positiver Umbruch war, was dann? Löw kann mit jungen aufstrebenden Spielern. Auch da sollte man sich nur kurz an den Sieg des Confed-Cups 2017 erinnern.

Und wer den Rauswurf Löws durch die Ergebnisse in der Nations League rechtfertigt, dem sei gesagt, dass die deutsche Mannschaft in einer Dreiergruppe mit dem Weltmeister Frankreich und dem Team der Niederlande nun wirklich kein Losglück hatte. Zum Vergleich: die Belgier hatten im gleichen Losverfahren mit Island und der Schweiz zwei machbare Gegner. Ich möchte jetzt den Abstieg aus der Nations League nicht mit Pech in der Gruppenauslosung begründen. Das wäre Unsinn. Ich finde nur, dass das Wort „Abstieg“ oft zusammenhangslos verwendet wird und viele sich nicht über die Hintergründe und die bizarren Turnierregularien der noch jungen Nations League informieren. Kritisiert lieber das Konzept, als den Trainer!


Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

Löw muss bleiben.

Ein schlechtes Turnier wiegt nicht schwerer als zwölf gute Jahre. Wenn man die WM 2018 weglässt, hat Löw die deutsche Mannschaft während seiner Amtszeit in allen Europa- und Weltmeisterschaften mindestens ins Halbfinale geführt. Löw hat die Ansätze von Klinsmann gelernt, weiterentwickelt und schließlich perfektioniert. Es gab kaum eine so erfolgreiche Zeit für das deutsche Nationalteam, wie unter ihm. Wir Deutschen sind nach dem Titelgewinn 2014 einfach zu erfolgsverwöhnt gewesen. Nach diesem euphorischen Höhepunkt konnte die Mannschaft nur verlieren, es sei denn, sie hätte erneut den Titel geholt.

Es war klar, dass Löw Kritik einstecken musste. Es war aber auch klar, dass der Umbruch von 2014 auf 2018 schwer werden wird. Per Mertesacker, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Rekordtorschütze Miroslav Klose mussten ersetzt werden. Alles andere als eine leichte Aufgabe. Hätte Löw trotzdem besser in Russland abschneiden können? Natürlich. Aber Menschen machen Fehler. Auch Bundestrainer. Löw hat 2018 zu sehr auf Erfahrung und auf gestandene Spieler gesetzt. Die Spielfreude von den „jungen Wilden“ hat gefehlt. Das ist klar. Trotzdem hat Jogi aus dem Turnier gelernt und wird solche Fehler in Zukunft nicht nochmal machen.

Joachim Löw hat seine Chance gehabt

meint Johannes Bauer

Zugegeben, die Forderung nach einem Rücktritt Löws kommt etwas spät. Nicht zu spät, möchte man aber rufen. Zu katastrophal ist dieses Jahr aus Sicht des deutschen Fußballs verlaufen. In der Vorrunde ist die Nationalmannschaft erst einmal gescheitert – und das ist 84 Jahre her. Das frühe Aus in Russland ist historisch, für eine sportliche Wiedergutmachung brauchte es deshalb schnell ein paar prestigeträchtige Siege. Diese blieben allerdings aus. Frankreich und die Niederlande waren für die angeblich neu formierte Elf noch eine Nummer zu groß.

Am Ende steht eine magere Bilanz: von 14 Spielen haben Jogis Jungs gerade einmal vier gewonnen. Die sechs Niederlagen sind sogar ein trauriger Rekord in der deutschen Länderspielgeschichte. Der Zeitpunkt für einen echten Neuanfang könnte kaum besser sein. Schließlich würde man den Trainer nicht an Löws unbestreitbaren Verdiensten um den deutschen Fußball messen, sondern zunächst einmal an den unmittelbar zurückliegenden Niederlagen. Deutschland verliert unter dem neuen Trainer gegen die Niederlande? Halb so schlimm, ist Löw vor ein paar Monaten doch auch passiert! Und Hand aufs Herz, vor den anderen Gegnern in unserer Quali-Gruppe muss man jetzt nicht direkt Angst haben.

Das falsche Prinzip

Die Analyse Löws zum Scheitern der WM war ebenfalls dürftig. „Es wird in Zukunft wichtig sein, einen richtigen Mix aus Erfahrung und jungen, dynamischen Spielern zu finden“, sagte Löw. War das nicht schon immer seine Aufgabe? Gegen Frankreich und Peru setzte Löw auf einen Kader, aus dem 17 von 23 Spielern bei der WM in Russland dabei waren. Bis auf Sami Khedira hat er nur Ergänzungsspieler ausgetauscht. Einen der neuen Hoffnungsträger wollten viele Experten schon bei der WM sehen: Leroy Sané. Die Berücksichtigung des 22-jährigen wirkt wie ein Fingerzeig von Löw an seine Kritiker, dass er auch anders kann. Das Prinzip Leistung steht beim Bundestrainer allerdings nach wie vor nicht an erster Stelle. Vielmehr bildet Loyalität die Basis für Löws personelle Entscheidungen. Wer gute Leistungen unter ihm gebracht hat, bekommt einen erheblichen Bonus.
Anders ist es auch nicht zu erklären, warum Manuel Neuer bis 2020 die feste Nummer eins im deutschen Tor bleiben soll. Neuer spielt eine schwache Saison, sein Konkurrent Marc-André ter Stegen brilliert hingegen im Trikot des FC Barcelona, reiht eine Weltklasse-Parade an die andere – und erhält trotzdem keine faire Chance. Wer so entscheidet, behindert den Wettbewerb im Team und kann unmöglich einen nachhaltigen Umbruch innerhalb der Mannschaft anleiten.

Trotz schwieriger Suche nach dem Nachfolger

Löw muss gehen.

Zweifelsohne war die Zeit unter Bundestrainer Joachim Löw die erfolgreichste in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft. Einige munkeln ja, er hätte die Mannschaft bereits 2006 taktisch geschult und Jürgen Klinsmann wäre nur für die Fitness (Gruß an Philipp Lahm!) zuständig gewesen. So wäre Löws Anteil am Sommermärchen, das uns Deutschen die Begeisterung am Fußball zurückgebracht hat, noch größer als ohnehin schon. Geschenkt. Und was war das doch für eine WM in Brasilien! Allein die Erinnerung an das 7:1 gegen die Seleção wird uns immer ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Der lang ersehnte Titel war auch Löws Krönung, sein Meisterstück. Besser geht es nicht.

Und genau darin liegt das Problem. Ab diesem Zeitpunkt ging es beständig bergab. Zur EM 2016 konnte die goldene Generation noch zu einem letzten Höhenflug ansetzen, aber zwei Jahre später folgte die Bruchlandung. An den Spielern allein lag es nicht, Löw hatte daran selbst erheblichen Anteil. Bereits vor Jahren hätte er die Zeichen der Zeit sehen und einen konsequenten Umbruch einleiten können. Die Chance hat er verpasst. Ein glaubwürdiger Neustart ist unter ihm nicht mehr möglich. Deshalb sollte er Platz machen für einen möglichen Nachfolger. Sein größter Vorteil könnte allerdings sein: alle geeigneten Kandidaten sind gerade mit der Champions League beschäftigt.

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