Kommentar: Artikel 13 – das freie Internet ist in Gefahr

Der Aufschrei in den sozialen Netzwerken wie Instagram, Twitter und besonders YouTube ist groß: „Rette dein Internet“. Einige verdrehen bei der Überschrift nur die Augen und empfinden die Gegenkampagnen als übertrieben. Der berüchtigte Artikel 13 sollte jedoch nicht nur für YouTube-Fans alarmierend sein. Das Urheberrecht gesetzlich stärker zu schützen ist zwar schön und gut doch hinter dem Artikel steckt viel mehr. Dem Internet würde eine ernstzunehmende Massenzensur bevorstehen. Ein Kommentar.

Die EU-Urheberrechtsreform hätte sogenannte Upload-Filter zur Folge, die schon im Vorhinein Inhalte im Netz blockieren, bevor sie überhaupt auf Verstöße gegen das Urheberrecht geprüft wurden. Doch gerade das Internet lebt von ungefilterter Meinung und vielfältigen Inhalten. Wenn Artikel 13 so umgesetzt wird, ist klar: Adieu Kunst-, Informations- und Meinungsfreiheit.

YouTube-Chefin: Videos nur noch von großen Unternehmen?

In den sozialen Netzwerken trendeten in den vergangenen zwei Monaten Hashtags wie #SaveYourInternet. Sogar YouTube selbst schaltete unter anderem bei Instagram große Werbekampagnen gegen das umstrittene EU-Gesetz.

https://twitter.com/netzfeuilleton/status/1064807908611780609

Das EU-Parlament möchte unter anderem mit Artikel 13 das Urheberrecht im Internet intensiver schützen. YouTubes Chefin Susan Wojcicki veröffentlichte im Oktober 2018 einen offenen Brief , in dem sie auf das Vorhaben der EU eingeht: „Der Vorschlag könnte Plattformen wie YouTube dazu zwingen, nur eine kleine Anzahl von Inhalten großer Unternehmen zuzulassen. Es wäre schlichtweg zu riskant, Inhalte von kleinen Videomachern zu präsentieren.“

Massenzensur durch Filter-Systeme

Der Gesetzesentwurf von Artikel 13 wurde im September 2018 vom EU-Parlament mit 438 Stimmen zu 226 Gegenstimmen vorerst gebilligt, 39 Abgeordnete enthielten sich. Aus dem Gesetzestext folgt, dass jegliche Internetplattformen für die Inhalte ihrer Nutzer gerade stehen müssen. Bei Verstößen gegen das Urheberrecht durch die User würden die Plattformen in Zukunft folglich selbst auf den Klagen sitzen bleiben. Da ihnen schlussendlich nichts anderes übrig bleiben würde, als Inhalte von ihren Nutzern im Vorhinein zu blocken, würde das zu einer eindeutigen Einschränkung der Freiheit im Netz führen. YouTube hat 2015 bekannt gegeben, dass auf ihrer Plattform pro Minute rund 400 Stunden Videomaterial hochgeladen werden: und das allein auf YouTube. Bei dieser Menge von Inhalten kann niemand individuell prüfen, ob gegen das Recht verstoßen wird. Sogenannte Upload-Filter-Systeme müssten her.

Diese Upload-Filter sind jedoch extrem problematisch, da sie auch zulässige Inhalte herausfiltern würden, um der eigenen Haftung zu entgehen. Hier liegt also das Problem. YouTube verwendet bereits seit einigen Jahren das „Content-ID“-System. Das ist ebenfalls eine Art Upload-Filter. Damit können Urheberrechtsinhaber zum Beispiel ihr neustes Musikalbum vor illegaler Verbreitung auf YouTube schützen. Im Grunde ist das ja vollkommen vernünftig. Das System bekommt jedoch bereits seit Jahren viel Kritik vonseiten der Nutzer, da der Algorithmus auch oft legale Inhalte sperrt.

Die Upload-Filter, die Konzerne aufgrund von Artikel 13 dann in Zukunft anwenden müssten, würden noch radikaler Filtern. Denn während YouTubes „Content-ID“-System nur Videos und Musik schützt, würden durch die Urheberrechtsreform auch Bilder, Texte und alles, was sich schützen lässt, betroffen sein. Diese maschinellen Systeme könnten Inhalte, die beispielsweise kritische Themen satirisch behandeln, aufgrund der hohen Fehleranfälligkeit als werbeunfreundlich oder rechtsverletzend einstufen. Wird man sich dessen bewusst, ist der Aufschrei um Artikel 13 keine „sinnfreie Panikmache“  mehr, wie viele behaupten. Wird er so beschlossen, bedeutet er eine eindeutige Einschränkung von Kunst-, Meinungs- sowie Informationsfreiheit. Das klingt schon sehr nach einer Massenzensur. 

Influencer-Boom vor dem Aus

Susan Wojcickis besorgte Worte erreichten auch schnell deutsche YouTuber, die mit der Plattform ihren Unterhalt verdienen. Die Influencer-Branche boomt. Die Internetseite „Die Welt“ berichtet, dass die drei bestverdienenden Kanäle aus Deutschland im vergangenen Jahr zusammen fast zwei Millionen Euro durch Werbung einnahmen. Dazu gehören BibisBeautyPalace, Promiflash und Palute. Das Video „Warum es YouTube nächstes Jahr nicht mehr gibt“, das im November 2018 von dem Kanal Wissenswert veröffentlicht wurde, löste regelrecht eine Panikwelle aus. Mit aktuell rund vier Millionen Aufrufen wird in dem Video argumentiert, dass YouTube nächstes Jahr nicht mehr existieren wird.

Ein kurzer Blick in den Kalender verrät, dass wir bereits im Jahr 2019 leben. Die Plattform existiert jedoch weiterhin. Trotzdem ist die oft betitelte „Panikmache“ durch besorgte Internetnutzer berechtigt: Die Inszenierung solcher Videos mag zwar apokalyptisch sein, offenbaren uns allerdings im Kern die bittere Wahrheit. Auf das Internet könnte eine große Zensur von Inhalten zukommen.

Wann es soweit sein könnte, ist nicht absehbar. Ursprünglich sollte Artikel 13 noch vor den Europawahlen im Mai 2019 beschlossen werden. Doch Ende Januar steht fest, dass sich das Verfahren weiter verzögert: Elf Mitgliedsstaaten des EU-Ministerrats, darunter auch Deutschland, haben dem Artikel vorerst nicht zugestimmt. Aus der Welt geschafft ist Artikel 13 trotzdem nicht. Es liegt nun an der aktuell rumänischen Ratspräsidentschaft, die Länder zu vereinen und dafür zu sorgen, dass ein Kompromiss erarbeitet wird. Diese Entwicklung sollte jedoch nicht davon abbringen, Kritik gegenüber Artikel 13 zu äußern. Solange sich die Länder nicht eindeutig gegen Upload-Filter ausgesprochen und sich auf eine andere Version der Urheberrechtsreform geeinigt haben, könnten sie noch eingeführt werden.

Artikel 13 geht jeden etwas an

Lehrreiche YouTube-Videos für Klausuren oder einfach nur unterhaltende Videos auf Instagram mit unbewusst im Hintergrund laufender Musik: Wer denkt, dass nur namenhafte Influencer vor einem Problem stehen würden, irrt sich gewaltig. Auch Nutzer von Instagram, Facebook, Twitter und Google müssten sich mit dem „Dieser Inhalt ist gesperrt“-Banner anfreunden.

Besonders Kleinkünstler und Communitys, die auf den Austausch im Internet angewiesen sind, würden ihre Plattform von heute auf morgen verlieren. Abseits der „Mainstream-Medien“ würde die Zukunft des World Wide Web noch düsterer aussehen. Einzelne Internetnutzer haben eben keine großen Firmen und Managements, die ihren Rücken stärken: Großen Firmen ist es nun einmal möglich, ihren Influencern Rechte einzukaufen, damit sie Bildmaterial anderer Urheber legal zeigen dürfen. Gerade Newskanäle und Nutzer, die sich auf Material und Inhalte anderer stützen, hätten es in Zukunft ziemlich schwer. Auf kleine, unkommerzielle Kreative müsste einfach verzichtet werden.

Bleibt YouTube trotz Artikel 13 bestehen?

Die große „SaveYourInternet“-Petition erreicht inzwischen über vier Millionen Unterstützer im Netz. Dennoch ist zu erwarten, dass das EU-Parlament den Entwurf nicht abändern wird. Seit Monaten diskutiert der zuständige Berichterstatter Axel Voss (CDU) gemeinsam mit EU-Kommission, -Parlament und dem Rat über die Reform des Urheberrechts im digitalen Binnenmarkt.

Prinzipiell beabsichtigt Axel Voss mit dem Vorhaben etwas Positives, für die Plattformen ist es allerdings faktisch unmöglich, bei jedem einzelnen Upload die Urheberrechtsinhaber zu fragen, ob der Videomacher sein Werk überhaupt verwenden darf. Bei der Menge an minütlichen Uploads ist das gar nicht möglich. Die Konsequenzen, welche dieses Vorhaben also zur Folge hätte, wären für jeden Internetnutzer drastisch.

Voss hält von dem großen Aufschrei gegen Artikel 13 nicht viel, schreibt er in einem offenen Brief auf seiner eigenen Webseite. Er ist der Meinung, dass die Upload-Filter keine Einschränkung für das freie Internet bedeuten würden. „Die jeweilige Entscheidung der Plattformen darüber, einen Upload zuzulassen oder nicht, kann darüber hinaus noch gerichtlich überprüft werden.“ Und: „Eine Unverhältnismäßigkeit kann ich hier nicht erkennen.“ Er will die Nutzer beruhigen: Wenn die Inhalte fehlerhaft gesperrt werden, würden „die Plattformen ein Verfahren anbieten müssen, dass die Rechte klärt bzw. Beschwerden zügig bearbeitet.“ Wer sich erneut die 400 Stunden YouTube-Material pro Minute vor Augen führt, wird das Problem in dieser Idee schnell entdecken. Da könnte man lange warten, bis alle Inhalte auf dem Schreibtisch eines Gerichts landen und von dem fehlerhaften Blocking ausgenommen werden.

Also: YouTube wird auch nach 2019 bestehen bleiben. Aber die Plattform, das gesamte Internet, unsere Gesellschaft und die Gesetzgebung stehen vor der großen Entscheidung, was ihnen wichtiger ist — das Urheberrecht oder die Meinungsfreiheit.

Beitragsbild: Carolin Enders

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