Studieren mit Hochintelligenz – nicht unbedingt einfach


Nur zwei Prozent der Bevölkerung sind hochbegabt. Auch Malte Fischer: Mit 18 Jahren hat er den Bachelor an der TU in Dortmund fast abgeschlossen. Doch sorgt hohe Intelligenz automatisch für ein glückliches Leben?

14 Jahre: Ein Alter, in dem die meisten Teenager die neunte Klasse besuchen – klare Zukunftsvorstellungen haben sie nicht. Bei Malte Fischer war es anders. Er musste sich in dem Alter schon Gedanken über ein Studium machen. Sein Abi hatte er bestanden. Mit der Note 1,0. Drei Klassen musste er dafür überspringen.

Er entschied sich für ein Mathematikstudium an der TU in Dortmund. Damit war er der jüngste Student auf dem Campus. Als andere sich über wilde Partynächte unterhielten, war er nicht alt genug für ein Glas Bier. Oft habe er sich in seinem Leben einsam gefühlt, erzählt der heute 18-Jährige. Die meisten hätten ihn gar nicht wahrgenommen oder gemobbt. Für sie sei er immer der schüchterne, kleine Junge gewesen. Davon habe er sich nicht unterkriegen lassen. Im Gegenteil: Seine Persönlichkeit hat sich laut Malte komplett geändert, indem er die Schüchternheit ablegte und sich zu einem selbstbewussten, zwischenzeitlich sogar selbstverliebten jungen Mann entwickelte. So charakterisiert er sich selbst. Malte ist einer, der Fähigkeiten hat, die andere sich manchmal wünschen. Dennoch ist seine Geschichte die einer Suche nach einem erfüllenden Leben.

Wie intelligent Malte genau ist, stellte sich heraus als er zehn Jahre alt war. Er absolvierte einen IQ-Test. Nur zwei Prozent der Menschen in Deutschland sind hochintelligent. Sie haben einen Intelligenzquotienten von über 130. Mit einem IQ von 148 zählt Malte dazu.  Zwar war das für ihn nicht überraschend, aber eine schöne Bestätigung etwas Besonderes zu sein: „Die Disziplin, mit der ich aufgewachsen bin, ist für dieses Ergebnis verantwortlich“, sagt Malte.

Heute ist Malte 18 Jahre alt, groß und athletisch. Er hat mit der Zeit gelernt, dass er nicht so sein muss wie andere. Sein Lebensmotto: „Wenn du erfolgreich sein willst, kannst du nicht normal ticken“. Damit habe er gelernt, umzugehen und nutze seine Fähigkeiten heute voll aus.

Selbstbewusst oder Selbstverliebt?

Allerdings sei es manchmal etwas zu viel des Guten gewesen. Seine Kommilitoninnen und Kommilitonen empfanden seine Art als zu arrogant. Mit guten Noten habe er ständig angegeben, sodass einige genervt Abstand zu ihm gehalten hätten. „Wenn man immer alles am Besten kann, ist es eben schwierig, sich nicht besser zu fühlen“, sagt Malte. Mit der Zeit sei ihm bewusst geworden, dass er mit dieser Einstellung keine Freunde an der Uni finden würde. Deshalb trug er sein hohes Selbstbewusstsein nicht mehr ganz so stark in die Öffentlichkeit. So fand er in seinem Studium neue Freunde. Ihnen fällt gar nicht mehr auf, dass Malte so jung ist: „Vom Verhalten her ist Malte genauso alt wie ich“, sagt der 21-Jährige Lando. Mittlerweile trifft Malte sich meistens mit den mindestens drei Jahre älteren zum Doppelkopf spielen. In den Pausen setzen sich die vier Freunde so schnell es geht auf den nächsten freien Platz vor dem Mensagebäude. Malte holt sein Kartenset aus der Tasche und das Spiel beginnt. Natürlich mit der richtigen Strategie: während die anderen sich unterhalten, überlegt er sich den nächsten Zug.  Natürlich will Malte gewinnen, doch er verliert. „Meine Perfektion liegt eben im Unperfektsein“, überspielt er die Niederlage lächelnd und widmet sich der nächsten Runde. So lange, bis die Pause um ist und die Freunde sich wieder auf dem Weg zum Hörsaal machen.

Ass in Mathe, im Kartenspielen und im Sport

Malte ist nicht nur hochintelligent, sondern auch sportlich begabt. Mit sechs Jahren hat er sich im Garten einen 25 Meter langen Laufparcours gebaut und diesen hunderte Male gemeistert. Hätte seine Oma ihn nicht weggeholt, würde er wahrscheinlich immer noch laufen, erzählt er heute. Mit sieben Jahren hat er seinen ersten Duathlon, eine aus Laufen und Radfahren bestehende Ausdauersportart, gewonnen.

Malte brauchte immer wieder neue sportliche Herausforderungen. 2014 holte er sich den Europameistertitel im Triathlon in seiner Altersklasse – mit 14 Jahren. Im selben Jahr erzielte er eine neue westfälische Bestmarke im fünf-Kilometer-Straßenlauf – mit einer Zeit von 16 Minuten. Heute liebt er den Sport immer noch. Er geht schwimmen oder laufen: Für zehn Kilometer an Land braucht Malte knapp 33 Minuten. „Disziplin ist mir schon immer wichtig gewesen“, sagt er. Während andere sich zum Spielen verabredeten, hatte er einen straffen Tagesplan: In seiner Schulzeit trainierte Malte bereits um 6 Uhr morgens jeden Tag und machte verschiedene Fitnessübungen. Anschließend fuhr er mit seiner Mutter, die Gymnasiallehrerin ist, zur Schule.

Ein Spruch nach dem anderen

Aktuell arbeitet Malte noch an seiner Hochschulkarriere. Wie seine Mutter unterrichtet er nebenbei. Im Gegensatz zu ihr allerdings schon seitdem er 16 Jahre alt ist. Er ist Tutor der Mikro- und Makroökonomie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. In seinem Kurs wissen die meisten Studierenden gar nicht, dass die Person vor ihnen deutlich jünger ist, als sie selbst. In einem Seminarraum sitzen zehn Studierende vor Beginn des Tutoriums auf ihren Plätzen und warten bis sich die Tür öffnet. Schon Meter davor hören sie Malte durch den Flur stampfen. Fröhlich tritt er in den Raum, stellt sich vor die Tafel und beschwert sich erst einmal darüber, dass diese ungeputzt ist. Anschließend startet er das Tutorium mit komplizierten Erklärungen von komplizierten Formeln. Mit Sprüchen wie „Gibt es da Privatgespräche, von denen ich wissen sollte?“ oder „Die Aufgabe hat sich der Professor wahrscheinlich auf einer Lehrstuhlparty betrunken ausgedacht“ versucht er dieser schieren Endlosigkeit der Rechnungen entgegen zu wirken. Seine lockere Art scheint bei den anderen Studierenden gut anzukommen. Malte reißt einen Spruch nach dem anderen und der Kurs kichert. Trotzdem verfolgen die Studierenden aufmerksam seinen Unterricht. Nach dem Mikro-Tutorium kommen zwei junge Studentinnen zu ihm und loben ihn für seine gute und trotzdem lockere Erklärweise. „Wir haben schon mehrere Tutorien ausprobiert. Aber in keinem haben wir so viel verstanden wie hier“, sagt die eine. Lächelnd antwortet Malte: „Ich freue mich immer über neue Gesichter in meinem Kurs“.

Neben dem Tutorium gibt Malte privat Nachhilfe. Dem 19-jährigen Dennis hilft er einmal wöchentlich für zwei Stunden in Mikroökonomie. In der letzten Klausur ist der Student durchgefallen. Das soll sich nun ändern. Nach einem Monat ist sich Malte sicher, dass sein Schüler dank seiner Hilfe auf jeden Fall bestehen wird. Dennis ist zufrieden mit Maltes Erklärungen. Nachdem sich die beiden beinahe gleichaltrigen lächelnd begrüßten setzen sie sich an den nächsten freien Platz des Mathe-Towers. Gemeinsam gehen sie die Inhalte der letzten Vorlesung durch und Malte fragt Dennis ab. Wenn er keine Antwort parat hat, gibt der „Lehrer“ eine ausführliche Erklärung. „Die Nachhilfe gibt mir ein sicheres Gefühl“, sagt Dennis. Vor der Klausur hat er keine Angst mehr.

Trotz Mathe-Bachelor: Traumberuf Schauspieler oder Jetpilot

Malte wird nicht all seine Ziele, die er mit dem Beginn des Mathestudiums noch hatte, erreichen. Zwar hat er seinen Bachelor schon mit 18 Jahren in der Hand, aber sein vorheriges Ziel, mit 22 zu promovieren, wird er voraussichtlich verfehlen. Aber das würde er auch gar nicht mehr wollen. Die Pläne haben sich mit der Zeit geändert: Mathe ist Malte etwas zu trocken. Außerdem sei es für ihn keine Herausforderung mehr.

Stattdessen will er lieber etwas machen, woran er scheitern könnte. Zum Beispiel hat er eine große Leidenschaft für das Schauspiel entwickelt. Bei einigen Werbespots hat Malte schon mitgespielt. Allerdings musste er von den Schauspielschulen bisher nur Absagen ertragen. Alternativ könnte sich der Adrenalinjunkie eine Ausbildung zum Kampfpiloten vorstellen. Für ihn gilt: Je gefährlicher, desto besser. Insgesamt hat Malte 27 Narben durch Stürze. Freiklettern ohne Sicherung und Slalomschwimmen im Rhein um fahrende Containerschiffe gehören für ihn zum Leben, sagt Malte.

Fotos:  Osterholt, Fischer

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