Nachts sahnt die Gema ab

Die GEMA-Abgaben werden immer dann fällig, wenn Musik öffentlich wiedergegeben wird. Wer unter den Gebühren leidet? Clubs. Viele müssen schließen wie das Studio in Essen – Perspektiven auf die umstrittene Gebühr.

Endlich Samstagnacht. Kopf ausschalten und für ein paar Stunden in eine Parallelwelt abtauchen. Augen schließen, drückende Bassfrequenzen setzen ein. Geistige Entschleunigung dank Soundwellen, steigernder BPM-Zahl und Melodic-Pattern. Alles ist umhüllt von Nebelmaschinen und Stroboskop. Der Körper tanzt mit den eigenen Gedanken: Momente der Ekstase.

„Einen Club zu betreiben muss aus Leidenschaft für den Musikgenuss geschehen. Wie viel Zeit und Kraft es einem abverlangt, kann man sich nicht vorstellen“, sagt Andrej Buhonov, Inhaber des Studios in Essen. Um im harten Business der Nacht mitspielen zu können, braucht es starke Nerven: Es gilt, ein nächtliches Paralleluniversum entstehen zu lassen, jedes Wochenende aufs Neue – einen Ort kultureller Unterhaltung, an dem Sorglosigkeit und Ausgelassenheit die Tanzaffinen benebeln sollen. Die Clubgängerinnen und -gänger bekommen im Optimalfall nichts von der harten Arbeit im Hintergrund mit.

In der Szene galt das Studio als Clubjuwel im Ruhrgebiet. Der Rückschlag für Technoliebhaber im Pott kam zum Jahreswechsel: Das Studio Essen würde seine Türen in wenigen Monaten für immer schließen. Die Meldung verbreitete sich auf Facebook, in der Technoszene, in NRW: „Es gibt nicht den einen Grund, weshalb man diese Entscheidung getroffen hat. Es ist eher eine Ansammlung von verschiedenen Faktoren und Geschehnissen, die zu diesem Entschluss geführt haben. Aber wir wollen an dieser Stelle nicht über das vermeintliche Aussterben der Szene, die steigenden DJ-Gagen, immer wieder wechselnde Trends, absurde GEMA-Gebühren, ständig neue Auflagen und sonstige Sachen diskutieren“, schreibt das Team des Studios auf der Website des Clubs. „Absurde GEMA-Gebühren“ sind für viele Clubs in Deutschland das größte Problem.

GEMA, wer bist du eigentlich?

Die GEMA steht für Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte und gehört weltweit zu den größten Autorengesellschaften, die Musikwerke von Komponistinnen und Komponisten, Textdichterinnen und Textdichtern sowie deren Musikverlage vertritt. „Wir sind die Interessenvertreter der Musikautoren. Das ist unser Selbstverständnis und unser Aufgabenschwerpunkt“, sagt GEMA-Sprecherin Christin Wenke-Ahlendorf über den Auftrag des Hauses. Urheberrechtlich geschützte Musikwerke müssen bei öffentlicher Wiedergabe finanziell entlohnt werden. Dafür ist die GEMA verantwortlich. Sie nimmt eine Vermittlerrolle ein, indem sie die Lizensierungen durchführt und dann Tantieme, die Vergütungseinheit für die Wiedergabe eines musikalischen Werks, an die Musikurheberinnen und -urheber auszahlt. Clubs sind kleine nächtliche El Dorados für Musik. Sie stehen mit der GEMA in einer intensiven Beziehung. Viele Clubs würden sich gern trennen, weil die Betreiberinnen und Betreiber die Abgabensumme als ungerechtfertigte Belastung empfinden. Belastend auch für das Studio in Essen.

Seit April wummert der Bass nachts nicht mehr an der Schützenbahn 31. Das Studio war für musikalische Qualität bekannt. Die Bookings hatten künstlerisch durchdachte Konzepte, der Club eine grandiose Sound- und Klimaanlage – zu fairen Preisen. Aus einem studentischen Projekt, den damaligen Mecatronic-Club in das Studio zu verwandeln, wurde ein Hauptakteur der Clublandschaft NRWs, der die Technoszene prägte. „Im Studio konnte man kurz in ein anderes Leben springen und die Realität für mehrere Stunden vergessen“, sagt Buhonov. Der Clublandschaft ging eine weitere Größe verloren – kein Einzelschicksal.

Clubs werden ausgelöscht

Die clubkulturelle Auswahl in Deutschland ist groß, war aber mal größer. Vor knapp zehn Jahren existierten noch 1900 umsatzsteuerpflichtige Diskotheken und Tanzlokale, berichtet das Statistische Bundesamt. Heute sind es nur noch 1550. Das sind 18 Prozent weniger. Und die Zahl der Clubs nimmt weiter ab: das MMA und X-Cess in München, das Moloch und Golem in Hamburg, das So & So in Leipzig und in Berlin das Rosies. Alle haben dicht gemacht. In NRW sieht es ähnlich aus: das Butan aus Wuppertal nach 21-jährigem Bestehen im Dezember und das Studio im April. Von der Eröffnung eines Clubs ist nur selten zu hören. Schuld daran ist unter anderem die GEMA, hinzu kommen Mieten, der Kampf gegen die Bürokratie, der demografische Wandel, strengere Lärmschutzverordnungen und Beschwerden seitens der Anwohner sowie immer höhere DJ-Gagen. Bei den GEMA-Gebühren heißt es, dass diese für Clubs zu ungelenk seien. Nicht angemessen, nicht transparent genug, beschweren sich die Betroffenen.

„Ich hätte lieber nach jeder Veranstaltung die Tracking-Listen ausgewertet und an die jeweiligen Künstler Geld gezahlt als der GEMA“, sagt Buhunov. „Auch wenn es vielleicht sogar noch teurer geworden wäre.“ Alle zwei Jahre stiegen in den vergangenen zehn Jahren die Tarife um das Sieben- bis Zehnfache. Dabei waren die meisten Künstlerinnen und Künstler, deren Musik im Studio zu hören war, nicht bei der GEMA vertreten. Teilweise liefen nur zehn Tracks die Woche, die lizenzpflichtig gewesen wären.

Clubkultur und subkulturelle Musikszenen sind an die GEMA gebunden und gesetzlich dazu verpflichtet, entweder einen monatlichen Pauschalbeitrag zu zahlen oder für einzelne Veranstaltungen einen individuellen. Die Tarife berechnen sich aus der Raumgröße, der wöchentlichen Veranstaltungsanzahl und dem Eintrittsgeld. Das Studio musste mit seinen 600 Quadratmetern, zwei Veranstaltungen pro Woche und einem Eintrittspreis von 10 bis 20 Euro monatlich um die 2500 Euro an die GEMA zahlen. „Wenn nicht einmal ein Viertel der im Studio gespielten Musikwerke bei der GEMA vertreten sind, dann ist die Summe keineswegs gerechtfertigt“, sagt Buhonov. Mietkosten, hohe DJ-Gagen, Strom-, Personal- und Werbekosten würden zusätzlich anfallen. Um all das auszugleichen, müsse jede Veranstaltung ausverkauft sein. Utopisch. Dass viele Clubs Schwierigkeiten bekämen, ist mehr als nachvollziehbar für Buhonov.

Dauerkrise in der Clubbranche?

Seit mehreren Jahren steckt die Clubkultur in einer Krise. Vom Großteil der Gesellschaft wird sie offenbar immer noch als Subkultur abgestempelt. Es mangelt nicht an Kreativen, die Veranstaltungen ins Leben rufen oder Clubs eröffnen wollen. Doch die schwierigen Umstände lassen schon im Voraus den Misserfolg erahnen. Einige Musikfans suchen daher alternative Geschäftsmodelle. Vor allem in NRW gibt es zahlreiche Kollektive, DJanes und DJs sowie Organisatorinnen und Organisatoren, die aus Liebe zur Musik Veranstaltungen organisieren und Orte von florierender Subkultur aufbauen. Der finanzielle Gewinn stehe nicht im Vordergrund. Das Kollektiv Spontan Bochum verfolgt dieses Konzept, Jonathan ist Mitglied und glaubt nicht daran, dass Clubs irgendwann aussterben werden. „Der Club ist ein Ort der Heterotopien, der Übergänge, wo möglich wird, was woanders nicht geht. Es ist eine Art Korrektiv zu dem, was in der Arbeitswoche passiert. Hier kann man sich auslassen, verströmen, zerstreuen, verlieren im Sound, im Licht, in der Menge.“ sagt er in einem Interview. Laut Jonathan schafft ein Club ganz besondere Freiräume, die es sonst nicht gibt: „Marginalisierte Gesellschaftsteile, Freaks, Freigeister – ein Club muss ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene sein und politische Ideale vertreten.“

Tarifreformen alle zwei Jahre

Auch für Kollektive ist die GEMA oft eher lästig. Dennoch haben sie einen Vorteil: Sie arbeiten nicht kommerziell, wollen also keinen Gewinn erzielen. Ihr Ziel ist, dass am Ende eine Null in der Bilanz steht. Speziell für die einzeln angemeldeten Partys sind die Gebühren dennoch oft zu hoch. Einmalige Veranstaltungen, die nicht an eine bestimmte Location gebunden sind, werden im Voraus bei der GEMA angemeldet. Der Pauschalbeitrag, den zum Beispiel viele Clubs zahlen, würde sich nicht lohnen. Damit Clubbetreiberinnen und -betreiber, Organisatorinnen und Organisatoren von Kollektiven sowie Veranstalterinnen und Veranstalter nicht nur allein mit der GEMA kommunizieren und diskutieren müssen, gibt es Interessenverbände der Clubbetriebe und Veranstalter so wie die KlubKomm aus Köln. Stephan Benn, Vertreter der KlubKomm sieht, dass „die damalige Tarifrestrukturierung der GEMA zu einer deutlichen Kostensteigerung des Wiedergaberechtes geführt hat. Seit 2013 bis 2021 steigen die Kosten stetig weiter und werden fast verdoppelt.“ Das liege daran, dass der urheberechtliche Wiedergabetarif viele Jahre zu niedrig war. Es herrsche außerdem eine große Diskrepanz der Lizensierungskosten zwischen Livekonzerten und Clubveranstaltungen, die die GEMA beseitigen und die Tarife angleichen wollte. Damit wurden Lizenzkosten speziell für Clubs erhöht. Durch ihr Kontaktnetz sind die Klubkomm und die Berliner Clubcomission im Dialog mit der Politik und Stadtverwaltung und können somit Clubs bei Problemlösungen mit Ämtern oder in der Kommunikation mit der GEMA weiterhelfen. „Wir von der Veranstalter- und Clubseite brauchen natürlich die GEMA, weil sie für uns eine recht sichere Lizensierung von urheberrechtlich geschützten Nutzungsrechten herstellt. Das ist ein sehr essentielles und intensiv gelebtes Verhältnis“, sagt Benn. Entscheidende Veränderungen würden natürlich auf beiden Seiten für emotionale Stresssituationen sorgen, die sich in der Vergangenheit immer wieder in der Öffentlichkeit geäußert hätten. Die Meinungen stehen teilweise konträr zueinander. Da die GEMA sich auf das geltende Urheberrecht beruft, genießt sie viele rechtlich Vorteile und wird dadurch umso stärker.

Die GEMA weiß, dass sie bei vielen Clubbetreiberinnen und -betreibern unbeliebt ist. „Uns ist durchaus bewusst, dass wir in vielen Teilen der Bevölkerung nicht unbedingt als super sexy Institution angesehen werden“, sagt Sprecherin Wenke-Ahlendorf. „Wir versuchen aber nicht übereinander zu reden, sondern suchen den Dialog mit unseren Kunden.“ Würde es die GEMA nicht geben, müsste eine Clubbetreiberin oder ein Clubbetreiber jede Künstlerin und jeden Künstler einzeln bezahlen, von dem ein Track bei einer der nächtlichen Veranstaltungen läuft – ein enormer Aufwand. Die GEMA solle nicht für das, was sie leistet, und ihren Grundgedanken verteufelt werden: nämlich Musikwerke zu honorieren. Kunst müsse entlohnt werden, meint Wenke-Ahlendorf.

So funktioniert die Gebühr

Allerdings werfen die Veranstalter der GEMA vor, dass ihre Regulation der Tantiemenverteilung für die Clubszene nicht fair sei. Pauschale Beiträge werden von den Clubs eingezogen und an die Musikurheberinnen und -urheber ausgezahlt. Die Ausschüttung erfolgt anhand eines Punktesystem: Je öfter ein Musikwerk im Radio, Fernsehen läuft oder auf einem Konzert gespielt wird, desto mehr Punkte bekommt die jeweilige Künstlerin oder der jeweilige Künstler. Je mehr Punkte, desto mehr Tantieme. Somit fließt das meiste Geld eher den Urheberinnen und -urhebern von Mainstreammusik zu, die den Massengeschmack bedienen und sehr erfolgreich sind. Alle Clubs werden nach dem Tarifkonzept der GEMA gleichbehandelt. Wenn ein Club auf ein eher nischiges Musikgenre wie zum Beispiel Reggea oder Goa ausgerichtet ist, bezahlt er die „Mainstreamkünstlerinnen -und künstler“ mit, von denen er gar keine Musik nutzt. Es wird nicht berücksichtigt, dass an einem Clubabend die Sets von DJs aus vielen verschiedenen Tracks, von mehreren hundert Künstlerinnen und Künstlern bestehen. Musikauflistungen der Veranstaltungen werden von der GEMA nicht angenommen. Wirklich transparent dokumentiert werden die gespielten Tracks nicht und eine faire Ausschüttung an die entsprechenden Musikautorinnen -und autoren erscheint mehr als kompliziert.

Das Studio Essen hat sich zwar von seiner festen Location getrennt, das Team bleibt aber bestehen. Als Fremdveranstalter plant es musikalische Veranstaltung in Locations im industriellen Ruhrpott-Charme. „Raves im Herzen des Potts. Maximal 15 Partys im Jahr, aber mit dem gleichen oder noch höheren Qualitätsanspruch, sowie der alten Hausphilosophie des Studios. Alles eben aus Liebe zur Musik versteht sich“ sagt Buhonov. Zeche Zollverein oder Weststadthalle Essen sind zwei Orte, die auf der Liste stehen. Wenn diese Ankündigung das Herz aller tanzaffinen Nachtschwärmer im Ruhrpott nicht höher schlagen lässt.

Titelbild: Brandon Erlinger-Ford, lizenziert nach Creative Commons

Beitragsbilder: Pim Myten, lizenziert nach Creative Commons,

Sam Mar, lizenziert nach Creative Commons

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