Andreas Christiani hat mit vier weiteren Gründern das Dortmunder Start-up Brytes aufgebaut. Das Unternehmen setzt auf personalisierte Internetseiten. Dabei geht es aber nicht um die Demografie der Kunden, sondern um deren Gefühlslage. Digitale Empathie ist das Stichwort.
„Ein guter Verkäufer, jemand, der im stationären Einzelhandel erkennt, wen er vor sich hat“, so beschreibt Andreas Christiani das Leitbild seines Start-ups. Er will Internetseiten empathisch machen, sie sollen auf die Gefühle und Stimmungslagen der Besucher eingehen.
Der 51-Jährige ist einer der fünf Gründer des E-Commerce Start-ups Brytes. An der TU Dortmund studierte er Elektrotechnik. „Das was ich jetzt mache, ist nicht das, was ich gelernt habe, sondern mein Hobby“, lacht er. Seit nun mehr als zwanzig Jahren beschäftigt er sich mit E-Commerce. Seitdem beobachtet er vor allem eine Entwicklung: Internetseiten setzen zunehmend auf Personalisierung. „Websites, die wir heute sehen, funktionieren nicht mehr nach dem Motto ‚Eine für Alle‘, sondern wenn ich die Amazon-Homepage aufrufe, sieht sie anders aus, als wenn jemand anders sie aufruft“, sagt Christiani.
Momentaufnahmen
Eine Internetseite wisse normalerweise aber nicht, wen sie vor sich habe. Wenn überhaupt beruhten die Erkenntnisse auf demografischen Daten. „Aus unserer Sicht ist das viel zu starr“, meint Christiani. Menschen seien nicht immer im gleichen Modus unterwegs – auch nicht beim Onlineshopping. Während man an der einen Ecke Wert auf günstige Produkte lege, sei man in einem anderen Bereich vielleicht bereit, viel Geld auszugeben. „Wir glauben, dass man sich in vielen kleinen Entscheidungen von Punkt zu Punkt bewegt“, sagt er.
Einer der Mitgründer hätte sich bereits vorher intensiv mit Verhaltensökonomie auseinandergesetzt. So entstand im Zusammenspiel die Idee für Brytes: Statt möglichst viel über den Kunden herauszufinden, soll die Gefühlslage erfasst werden.
Brytes erstellt daher Momentaufnahmen. Aus Signalen wie Mausbewegungen, Clicks, Scrollen und der Bediengeschwindigkeit – über die digitale Körpersprache also – wird eine Momentaufnahme abgeleitet, die die Gefühlslage des Webseite-Besuchers abbilden soll. Das geschieht nicht pro Besuch der Internetseite, sondern in Echtzeit, mehrmals pro Sitzung.
Die Geschäftsidee von Brytes beruhe auf der Annahme, dass es Dinge gebe, gegen die wir uns nicht wehren können, so Christiani. „Das kennen wir von optischen Täuschungen, so funktioniert unser Gehirn. Und wenn ich weiß, wen ich vor mir habe, dann weiß ich auch, wie ich auf ihn reagieren muss.“
Empathische Webseiten
„Aus der Momentaufnahme und der User Journey, die auf der Website möglich ist, wird abgeleitet, welche Maßnahme man aktivieren kann“, erklärt Christiani. Das sei bei den aktuellen Kunden des Start-ups meistens das Ausspielen einer Nachricht. Meine man zum Beispiel erkannt zu haben, dass jemand unsicher sei und bereit sei, Hilfe anzunehmen, könne man eine entsprechende Nachricht ausspielen, die Hilfe anbietet. „Also eine empathische Reaktion der Website, wie vielleicht auch ein Verkäufer im stationären Geschäft das tun würde, wenn er sehen würde, dass sich jemand nervös die Finger abkaut“, so Christiani. Diese Nachrichten seien nicht zu verwechseln mit Chatbots. Der Benutzer wird nicht extra darauf hingewiesen, er weiß nicht, dass die Internetseite digital empathisch ist – bis die Internetseite sich bei ihm meldet. „Es soll sich wie eine natürliche Erfahrung anfühlen, dass sich die Website empathischer verhält als ohne diese Technologie“.
Große Datenmengen
Um eine personalisierte Ansprache zu ermöglichen, sammelt Brytes viele Daten. Und der Datenschutz?
Der Verbraucherschutz NRW hält wenig davon, die digitale Körpersprache zu analysieren. Die Analyse der psychografischen Ausprägung der Internetnutzer sei im Kern ein Tracking-Instrument, meint Christine Steffen, Rechtsanwältin bei der Verbraucherzentrale NRW. Die Analyse mithilfe von über 200 Messpunkten sei eine ganz neue Qualität des Trackings. Eine solche Profilbildung sei insbesondere dann datenschutzrechtlich bedenklich, wenn Nutzer dabei identifizierbar seien. Entscheidend für die datenschutzrechtliche Beurteilung sei also, „ob und wie eine Identifizierbarkeit der Nutzer tatsächlich verhindert wird“, so Steffen.
Man erfasse fast nichts, was als persönliches Datum gelte, so Christiani. Und in diesem Falle gehe man damit genauso um wie alle anderen – und anonymisiere die Daten. Für Namen und alle wesentlichen Sachen, von denen man denke, sie seien schützenswert, gelte: „Die interessieren uns eigentlich gar nicht und die müssen wir auch nicht speichern.“ Das liegt daran, dass Brytes Momentaufnahmen erstellt, veraltete oder demografische Daten helfen dabei nicht viel. Der einzige Grund, Daten für eine Weile zu speichern sei das Tuning der Algorithmen. „Dafür brauchen wir aber keine persönlichen Daten“, betont Christiani.
Auf seiner Internetseite wirbt Brytes zudem damit, dass mithilfe der Technologie Gutscheine gezielt nur an die Kunden ausgespielt werden könnten, die diesen für ihre Kaufentscheidung brauchen. Damit würden letztlich die Preise auf Basis des Trackings personalisiert, so Steffen von der Verbraucherzentrale. „Das ist zwar nicht per se verboten, aber für Verbraucher, denen Rabatte vorenthalten werden, natürlich schon sehr ärgerlich“, meint die Rechtsanwältin. Sie fordert für solche Fälle zudem, dass Nutzer aus Transparenzgründen darüber informiert werden, dass Technologien eingesetzt werden, die zu personalisierten Preisen führen.
Noch viel Potenzial
Die Technologie wird bisher vor allem von Online-Shops eingesetzt. Die Rückmeldungen seien bisher vielversprechend, so der 51-Jährige. Seine Kunden sind meist die ersten Kunden in diesem Bereich, die die Technologie nutzen. „Die müssen schon ein bisschen dran glauben am Anfang“, sagt Christiani. E-Commerce-Unternehmen würden dazu neigen, sehr genau zu messen und die Zahlen seien sehr gut. Dafür gibt es aus Christianis Sicht vor allem einen Grund: „Es kommt auf den Moment und die typgerechte Ansprache an, weil das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit den Nerv trifft“.
Mit den personalisierten Nachrichten sieht sich Christiani mit Brytes noch lange nicht am Ende der Entwicklung: „Da gibt es noch ganz viel Potenzial.“ Man wolle mit Kunden ausloten, wie man die Webseiten auf verschiedenen Endgeräten optimal darstellen könne. Man könne weitere Kanäle nutzen: E-Mail, Push-Nachrichten. Im Grunde könne das bis zur Lieferung eines bestellten Produkts reichen: „Wenn ich weiß, mit wem ich spreche, kann ich zum Beispiel unterschiedliche Nachrichten beilegen, die Anmutung des Pakets, des Lieferscheins oder der Rechnung anpassen“, so der Gründer.
Auch eine Anwendung der Technologie in anderen Bereichen sei denkbar: in den Online-Auftritten von Versicherungen, Finanzen und Vergleichsportalen. Diese Branchen seien bereits offen für Konzepte der Verhaltensökonomie. „Hier gibt es das gleiche Potenzial, auch wenn das vielleicht erst einmal nicht so naheliegend ist.“