Humanoide Roboter – die Dozenten der Zukunft?

An der Uni Marburg gibt es seit diesem Wintersemester zwei neue Dozenten. Zunächst wenig verwunderlich. Das Besondere: Pepper und Nao sind Roboter. Sie unterstützen Professor Dr. Jürgen Handke in einem Linguistik-Seminar. Welche Aufgaben sie übernehmen, wie sie bei den Studierenden und Kollegen ankommen und ob Roboter in zehn Jahren Alltag an der Uni werden, erzählt uns der Professor in einem Interview.

Herr Handke, im Rahmen des Forschungsprojekts H.E.A.R.T. setzen Sie in Ihrem Linguistik-Seminar Roboter ein. Sie müssen also nicht mehr arbeiten?

Leider muss ich trotzdem noch arbeiten, so weit ist die Technik dann doch noch nicht ausgereift. Bisher übernehmen die Roboter einfache Aufgaben. Sie stellen Fragen, recherchieren, beraten und geben Hilfestellungen beim Finden von Lösungen.

Dazu muss man jedoch sagen, dass wir unsere Lehre bereits vollständig digitalisiert haben. So wie eigentlich niemand in Deutschland. Wir haben eine komplett digitale Wissensvermittlung und eine beratungsorientierte Präsenzphase – wir nennen das den „Inverted Classroom“. Bevor die Studierenden an in die Uni kommen, haben sie sich bereits komplett über unsere digitale Lernplattform vorbereitet. Vor Ort stehen in den Präsenzphasen keine Vorträge im Zentrum, sondern Beratung und Assistenz. Es wird diskutiert, Kompetenzen trainiert, recherchiert. Da wir nicht genügend Menschen haben – ideal wäre für jeden Lernenden ein Assistent – und 2017 das Jahr der künstlichen Intelligenz ist, versuchen wir es mit humanoiden Robotern.

Humanoide Roboter
Humanoide Roboter sind künstliche Wesen, die in Form und Verhalten mehr oder weniger dem Menschen nachempfunden ist. Sie können dadurch auf gewisse menschliche Art Menschen und ihre Umgebung wahrnehmen, verstehen und beeinflussen.

Wie muss man sich diesen Versuch vorstellen?

Pepper und Nao setzen wir lediglich in den Präsenzphasen ein. Nehmen wir als Beispiel den Kurs „History of English“. Dieser Kurs ist besonders. Er erlaubt den Studierenden, ihren digitalen Rhythmus zur Wissensvermittlung selbst zu wählen: Neben dem klassischen Wochenrhythmus können sie den Drei-Tages-Rhythmus wählen, das heißt, alle drei Tage machen sie eine Lerneinheit, oder den Fünf-Tage-Rhythmus. Die meisten entscheiden sich für die mittlere Variante. Das liegt daran, dass die Studierenden, wenn Sie einen anderen als den Sieben-Tage-Rhythmus wählen, ihre Klausur vorziehen können. Das entzerrt die Klausurenphase am Semesterende. Einmal in der Woche kommen alle Teilnehmer zusätzlich zu einem festen Termin in den Hörsaal. Das bedeutet, dass sich ab einem bestimmten Zeitpunkt drei verschiedene Gruppen im Hörsaal versammeln, die in völlig unterschiedlichen Phasen des Kurses sind.

Das hört sich nach einem recht hohen organisatorischen Aufwand an.

Das stimmt. Meine Tutoren und ich müssen die Gruppen natürlich unterschiedlich betreuen. An dieser Stelle versuchen wir Pepper einzusetzen. In der letzten Woche hat er die Drei-Tages-Gruppe übernommen und die Studenten mit der Quiz-App eine Viertelstunde lang alleine betreut. Ich war zu der Zeit an einem ganz anderen Ort im Hörsaal. Das ist so ein Ansatz, bei dem Pepper Freiräume für uns schafft, da wir uns in dem Moment nicht mehr um diese Studierenden kümmern müssen.

Roboter Pepper als Quizmaster im Linguistik-Seminar. Foto: Project H.E.A.R.T.

Das Ganze klingt aber doch nun sehr nach Frontalunterricht, bei dem der Roboter Fragen stellt und Antworten gibt. Sie sagten vorhin, in den Präsenzphasen im Inverted Classroom geht es auch um die Beratung von Studenten. 

Aus diesem Grund entwickeln wir gerade eine weitere App: die „Classmate-App“. Im Gegensatz zur „Quizmaster-App“, die wir bereits zum zweiten Mal eingesetzt haben, haben wir sie noch nicht ausprobiert. Grundsätzlich funktioniert sie aber so: Man meldet sich bei dem Roboter über seinen QR-Code an, den er mit der Kamera erfasst. Daraufhin weiß der Roboter, wen er vor sich hat und kann dem Studierenden Tipps und Informationen bezüglich Kursbelegung, Noten und anderen Themen geben. Zunächst muss jedoch der Datenschutz sichergestellt sein. Erstmal werden wir es also in Sprechstunden ausprobieren, in denen man alleine ist und der Nachbar nicht mithören kann.

Im Rahmen eines Master-Projektes testen wir momentan eine dritte Anwendung – Monologe. Zurzeit ist es so, dass die Roboter immer nur sehr kurze Sätze einwerfen, weil der Mensch einer maschinellen Stimme nicht gerne zuhört. Durch Beeinflussung der Satzmelodie, der Betonung und des Sprechtempos möchten wir das ändern und den Roboter auch zu einer Art Moderator machen.

Erstsemester-Veranstaltung mit Pepper: Reaktion der Studierenden.

Wie reagieren die Studierenden?

Bei den Studierenden kommen Pepper und Nao eigentlich ganz gut an. Letzte Woche waren viele Studierende da, die bei der Auftaktveranstaltung nicht anwesend waren. Diese haben hinterher gefragt „Können wir den auch mal so näher angucken? Was macht der überhaupt, können wir ein Foto machen?“.

Ich glaube, sie kommen auch wegen ihres kindlichen Verhaltens und Aussehens super an.

Wenn man das jetzt noch mit schönen und witzigen Dialogen untermalt, dann klappt das hervorragend.

Allerdings gibt es auch noch Schwächen. Nach dem Einsatz von Pepper als Quizmaster haben wir die Studierenden nach ihrer Meinung gefragt. Neben positiven Rückmeldungen fanden einige Pepper noch zu unausgereift. Wir nehmen die Kritikpunkte der Studierenden auf und versuchen, Pepper und Nao zu verbessern.

Was halten Ihre menschlichen Kollegen von Pepper und Nao?

Viele meiner Kollegen stehen dem ziemlich skeptisch gegenüber – wie auch der digitalen Lehre allgemein. Immer wenn Menschen versuchen, die Lehre innovativer zu gestalten, führt das erstmal zu Skepsis. Auch wenn die Kritiker oft gar nicht wirklich wissen, wie es funktioniert. Für mich ist das ein typisch deutscher Ansatz: erstmal negativ.

Dennoch gibt es in Deutschland schätzungsweise 400 Pepper. Was unterscheidet Ihren von den anderen?

Alle Pepper sind nach dem Kauf in einem Werkszustand, dem sogenannten „basic life“. Vereinzelte englische Ausdrücke wie „hello“ oder „good morning“ können sie bereits aussprechen und sie wissen außerdem, wie sie heißen. Das ist alles: Zusätzliche Funktionen müssen die Anwender programmieren. Für diesen Punkt interessieren sich Informatiker gar nicht mehr. Hier kommen Menschen ins Spiel, die Ideen haben, wofür sie Pepper in ihrem Bereich nutzen können.

Welche zusätzlichen Funktionen können das sein?

Da sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Man kann zum Beispiel veranlassen, dass der Roboter über Lagepläne informiert oder einfach Witze erzählt. Eine Funktion könnte auch sein, dass er sich mit dem Internet verbindet und genau das tut, was Handy-Programme wie Siri auch tun, wenn wir sie etwas fragen. Sie können Wikipedia-Artikel vorlesen oder sich mit Wetterdaten verbinden. An dieser Stelle können wir nun eingreifen. Wenn es heißt, dass es in Dortmund regnet, dann könnte der Pepper sagen: „Tragen Sie heute einen Regenschirm, wenn Sie in die Mensa gehen.“ Durch Programmierung können wir also dafür sorgen, dass der Roboter Dinge ganz anders ausdrückt – da sind wir Linguisten ja gar nicht so schlecht aufgestellt.

Project H.E.A.R.T.
Das bundesweite Project H.E.A.R.T. (Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching) will den Komplex „Roboter im Alltag“ im Hochschulkontext untersuchen, um Konsequenzen für die wachsende Verbreitung humanoider Roboter zu erkennen. Zentrale Forschungsobjekte des Projekts H.E.A.R.T. sind die zwei humanoiden Roboter „Pepper“ und „NAO“ der Firma Softbank Robotics. Bis Mai 2018 wird an der Universität Marburg die Akzeptanz und emotionale Reaktion der Studierenden untersucht.

Ist das Ganze lediglich eine Spielerei oder gibt es einen Mehrwert für die Bildung? 

Wir möchten mehr Freiheit schaffen für menschliche Lernberater schaffen. Mit Robotern können wir uns noch besser um die einzelnen Studierenden kümmern.

Die Hoffnung ist, dass wir durch Roboter weitere Freiräume bekommen; verbunden mit dem Ziel, herauszufinden, welche Tätigkeiten der Roboter sinnvollerweise durchführen könnte. Wir wissen es ja schlicht und einfach nicht.

Hatten Sie auch schon schlechte Ideen?

Das kam auch schon vor. Unser Roboter hat zum Beispiel zwei Sound-Kanäle: einer im Mund, der andere nicht. Wir dachten uns, dass man das ausnutzen könnte. Wenn ein Sound jedoch nicht aus seinem Mund kommt, ist das ziemlicher Blödsinn. Das wäre so, als würden Sie als Mensch auf einen Knopf drücken und aus Ihrer Hand kommt ein zusätzlicher Sound raus. Das würde vermutlich nicht akzeptiert werden. Also haben wir die Idee zurückgestellt. Darum geht es: Wir stellen uns nicht hin und sagen, dass der Roboter in Zukunft auf jeden Fall in der Lehre eingesetzt wird. Wir wollen stattdessen herausfinden, ob er überhaupt sinnvoll sein könnte und wenn ja, in welchen Bereichen.

Wie schaut die weitere Planung aus?

Das Team an der Universität Marburg (v.l.n.r.: Peter Franke, Pepper, Jürgen Handke, Katharina Weber, Nao, Florian Handke). Foto: Project H.E.A.R.T.

Unsere Programmierer, wozu ich selber auch gehöre, testen Ideen in unterschiedlichen Variationen. Gerade haben wir dafür einen zweiten Pepper bestellt. Die entwickelten und erprobten Apps werden wir freigeben und bereitstellen. Wir werden also hoffentlich ein Portal haben mit immer mehr solcher Roboter-Apps, die jeder für seine eigenen Geräte verwenden und für sein Fach nutzen kann.

Werden Roboter-Dozenten 2027 Alltag für Studierende sein?

Ja, wenn wir uns überlegen, wie sich die Lehre alleine in den letzten Jahren stetig weiter entwickelt hat.

Vor 20 Jahren konnte man sich ja auch nicht vorstellen, dass in jedem Hörsaal ein Beamer unter der Decke hängt. Da habe ich immer einen mitgeschleppt. Heute schleppe ich einen Roboter mit.

Möglicherweise steht zehn Jahren in jedem deutschen Lehrraum ein Schrank mit einem humanoiden Roboter. Diesen Roboter bespielt der Lernbegleiter mit seiner App, gibt die Daten vom Arbeitsplatz über einen Laptop ein und übermittelt ihm damit die Informationen, die er an die Studierenden herantragen soll. Dann betritt die Lehrkraft diesen Lernraum und der Roboter sagt automatisch: „Du hast mir heute folgende Aufgaben gegeben, lass uns starten!“

Beitragsbild: Project H.E.A.R.T. 

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