Organspende: Wenn der Tod ein Anfang ist

Etwa 9.400 Menschen warten in Deutschland jeden Tag, jede Sekunde auf einen für sie lebensverändernden Anruf. Sie stehen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Doch nur ein Bruchteil von ihnen erhält tatsächlich diesen Anruf. Es gibt einfach zu wenig Spender*innen. Pünktlich zum Tag der Organspende am 5. Juni zeigt eine neue Studie, dass mittlerweile immer mehr Menschen ihre Entscheidung zur Organspende schriftlich dokumentieren. Trotzdem sagen die Spenderzahlen noch etwas anderes.

Zwischen den Zahlen liegt eine große Kluft. 9.400 Leute warten aber nur um die 900 spenden. Für viele ist es ein Tabu-Thema. Schließlich geht es um den eigenen Tod. Jedoch sterben jeden Tag auf der Warteliste in Deutschland drei Menschen, weil viele keinen Organspendeausweis besitzen. Nach einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) steigt die Akzeptanz für eine Spende seit Jahren an. 44% haben ihre Entscheidung zur Organ- oder Gewebespende nach dem Tod mittlerweile schriftlich dokumentiert. Das sind fast 20% mehr als vor sieben Jahren. Generell sind die positive Einstellung und die Bereitschaft zur Organspende hoch. 82% stehen dem positiv gegenüber und 73% wären selbst bereit zu spenden. Bis sich das aber in den Spenderzahlen widerspiegelt wird es noch dauern, da es sich in den meisten Fällen um postmortale Organspenden handelt. Also erst nach dem Tod des Spenders gespendet wird.

Eine Spende zu erhalten ist großes Glück

Sarah, 31 ist Studentin und hat selbst vor zwölf Jahren eine Transplantation bekommen. Seitdem schlägt in ihrer Brust ein fremdes Herz. Mit 17 Jahren kam sie mit einer Herzmuskelentzündung ins Krankenhaus. Die Ursache: Eine verschleppte Grippe. Seit der Transplantation muss sie täglich Tabletten nehmen, die ihr Immunsystem schwächen, damit das Organ nicht von ihrem Körper abgestoßen wird. Dadurch ist sie auch viel anfälliger für Krankheiten. Eine kleine Erkältung kann für sie schon lebensbedrohlich werden. Trotzdem war sie viele Jahre war topfit und konnte sogar regelmäßig Sport machen. Doch dann der große Rückschlag: Sie bekommt Krebs und zwei Jahre später durch eine Abstoßung einen Herzinfarkt. Seitdem lebt sie mit einem Herzschrittmacher, der vieles verändert hat.

Leben in ständiger Angst

Obwohl ihr Leben seitdem eine Kehrtwende genommen hat, lebt sie mit einer ständigen Angst. Denn ein transplantiertes Herz hält in der Regel nur 10 bis 15 Jahre. Wie ihre Zukunft aussieht ist ungewiss. Trotz allem strahlt sie voller Lebensfreude: “Ich bin dankbar für die 13 Jahre, die ich jetzt schon länger leben darf. Ich versuche das Leben in vollen Zügen zu genießen und zum Beispiel viel zu reisen und all die Sachen zu machen, die mir möglich sind und meinen Horizont erweitern. Ich möchte einfach am Ende sagen können, dass ich nichts ausgelassen habe.”

Sarah meint, das vor allem Empathie bei dem Thema besonders wichtig ist: “Viele sagen, dass sie sich gegen ein Organ entscheiden würden. Ich finde diese Entscheidung kann man nicht treffen ohne selbst in der Situation gewesen zu sein oder zu versuchen sich hineinzuversetzen. Ich könnte mich niemals gegen mein Leben entscheiden.” Sie selbst betont, wie wichtig es ist, dass man seine Entscheidung schon zu Lebzeiten trifft und das nicht seinen Angehörigen zu überlassen: “Man sollte ich darüber Gedanken machen, wie es wäre, wenn man selbst oder jemand in der näheren Umgebung auf ein Organ angewiesen wäre, um weiterleben zu können. Es geht hier für viele Menschen um Leben und Tod.”

“Man sollte sich darüber Gedanken machen, wie es wäre, wenn man selbst oder jemand in der näheren Umgebung auf ein Organ angewiesen wäre, um weiterleben zu können. Es geht hier für viele Menschen um Leben und Tod.”

Organentnahme als emotionaler Moment

Prof. Dr. Richard Viebahn (Foto: UK Knappschaftskrankenhaus)
Prof. Dr. Richard Viebahn (Foto: UK Knappschaftskrankenhaus)

Prof. Dr. Richard Viebahn leitet das Transplantationszentrum des Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum. Auch e kann bestätigen, dass sich die erhöhte Bereitschaft zum Spenden noch nicht in den Zahlen widerspiegelt. Seit 40 Jahren transplantiert er mit seinem Team jährlich 140 Organe, darunter vor allem Nieren und Bauchspeicheldrüsen. Schon als Student war er von Organtransplantationen fasziniert: “Menschen mit nahezu keiner Überlebenschance, können dadurch wieder gute Lebenschancen bekommen.”

Die Gedanken, die ihm bei jeder Organspende durch den Kopf gehen, kann er kaum in Worte fassen. “Wir führen jede Operation mit großen Respekt aus. Man kann es nicht hoch genug anrechnen, wenn sich jemand vor seinem Tod dazu ausgesprochen hat.” Der emotionalste Moment ist für ihn jedes Mal, wenn dem Spender kurz vor der OP eine Konservierungslösung in das Gehirn eingelassen wird, wodurch das Herz des bereits hirntoten Spendern letztendlich zum Stillstand kommt. Prof. Dr. Richard Viebahn fordert in diesem bedeutsamen Moment sein Team immer zu einem kurzen Gedenken an den Spender auf.

“Wir führen jede Operation mit großen Respekt aus. Man kann es nicht hoch genug anrechnen, wenn sich jemand vor seinem Tod dazu ausgesprochen hat.”

Viele Verbände begleiten Betroffene auf ihrem Weg

Claudia Krogul (Foto: privat)
Claudia Krogul (Foto: privat)

Damit noch mehr Menschen für das Thema sensibilisiert werden gibt es zahlreiche Organisationen und Vereine. Einer davon ist der Bundesverband für Organtransplantierte e.V. Claudia Krogul, die stellvertretende Vorsitzende, hat selbst eine persönliche Geschichte zu erzählen, die sie zu ihrer Arbeit motiviert hat.

Sie kam mit einer Stoffwechselerkrankung und einer Leberzirrhose, eine Krankheit die nach und nach das Lebergewebe vernarbt, auf die Welt. “Da wurde meinen Eltern schon gesagt, machen sie ihrer Tochter ein schönes Leben, die wird keine 16 Jahre alt.” Von dort an kämpfte sie sich weiter durch das Leben. Aber das Leben kämpfte auch weiterhin gegen sie. Nach mehreren Lungenentzündungen baute ihre Lunge immer mehr ab. Mit 18 Jahren wurde ihr klar: “Ich brauche eine neue Lunge.”

Den endgültigen Entschluss für eine Transplantation konnte sie aber trotzdem noch nicht fassen. Also lebte sie noch 10 Jahre mit nur 30 Prozent Lungenleistung weiter, bis sie sich dann doch für eine Transplantation entscheiden konnte. Nach mehreren gesundheitlichen Zusammenbrüchen und der ständigen Anspannung, jede Sekunde angerufen zu werden, weil ein Spender gefunden wurde, klingelte nach zwei Jahren und drei Monaten um 4 Uhr nachts das Telefon: “Frau Korgul, wir haben eine passende Lunge für sie gefunden.” Dieser Moment lässt sie heute noch emotional werden: “Ich habe von da an durchgängig gezittert und war wie in einem Tunnel. Aber die Freude war riesig. Es konnte von da an ja nur besser werden.”

Jede Transplantation und ihr Verlauf sind einzigartig

Seitdem lebt sie mit einer neuen Lunge und einem neuen Lebensgefühl. Seit 2013 setzt sie sich nun für die Betreuung von Transplantierten, Wartepatienten und Angehörigen ein und begleitet sie auf ihrem Weg. Dabei ist es ihr am wichtigsten, den Betroffenen zu vermitteln, sich nicht an den Verläufen von anderen zu orientieren: “Jeder schreibt seine eigene Geschichte, hört nicht auf die anderen sondern auf euch selbst.”

Beitragsbild: pixabay/Jasmin777

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