Der neue Pinsel – Wenn künstliche Intelligenz künstlerisch wird

Zusammen erschaffen sie eine Ausstellung: Student Maximilian Riemer und eine Künstliche Intelligenz. Letztere erstellt die Kunstwerke, weil ersterer ihr den Auftrag gibt. Die Bilder sind Kunst, da ist man sich einig. Es bleibt die Suche nach dem Künstler.

Maximilian Riemer sitzt vor seinem Laptop. Er klickt ein paarmal mit der Maus und tippt eine Adresse in den Browser ein. Vor ihm öffnet sich eine Website. Ein modernes schwarzes Interface mit dezenten pinken Akzenten. Der 30-Jährige gibt sein Passwort ein, dann klickt er sich durch das Programm, erstellt ein Projekt. In ein klassisches Drag and Drop Fenster zieht er einige Bilddateien. Das dauert ein paar Minuten. Dann noch ein Mausklick, eine Ladeanzeige erscheint. Jetzt heißt es warten. Nach einigen Stunden spuckt ihm das Programm 500 neu generierte Bilder aus. Maximilian wiederholt den Vorgang. Wieder muss er mehr als fünf Stunden warten. Am Ende hat er 1000 Bilder. Keine Fotos, Gemälde sowieso nicht. Aber auch keine Fotocollagen, etwas völlig Neues und doch auf altem Beruhendes. Kunstwerke könnte man sagen.

Zunächst ist das Ganze nur ein Uniprojekt, eine Seminararbeit. Maximilian studiert Film an der FH Dortmund. Angefangen hat er das Projekt etwa ein Jahr zuvor. Die Bilder sind nun das finale Ergebnis, die Abgabe. Zumindest 20 davon. Im Oktober 2022 wurden diese in der Dortmunder Nordstadtgalerie ausgestellt. Spätestens dann wird die Uni-Abgabe zum Kunstprojekt, die Bilder zu Kunstwerken, die Studentenwohnung zum Atelier, der Laptop zur Leinwand. Doch wer wird zum Künstler? Maximilian Riemer oder das Programm? Mensch oder KI?

Spätestens seit dem Durchbruch von Chat GPT sorgt diese Frage immer wieder für Diskussionen. Gegenstand derer sind nicht nur der Chatbot selbst, sondern auch andere KI-Tools. So forderte zum Beispiel die Universal Music Group, die größte Plattenfirma der Welt, Anfang 2023 Streamingdienste dazu auf, einen von KI produzierten Song zu löschen. Denn dieser klang so, als stamme er von den Künstlern The Weeknd und Drake. Und nicht nur moderne Musik ist betroffen. Ein Forscher*innen-Team konnte durch den Einsatz von KI Beethovens 10. Sinfonie beenden. Im Oktober 2021 wurde diese sogar in der Elbphilarmonie aufgeführt. Schritt für Schritt drängt KI in die Kunstwelt. In Museen hängen KI-generierte Bilder und von KI geschriebene Gedichte werden bei Wettbewerben eingereicht. Bei allem Erfolg von Künstlicher Intelligenz in der Kunstbranche schwingt im öffentlichen Diskurs trotzdem beinahe unvermeidbar immer die oben gestellte Frage mit. Wenn KI die Kunst erstellt, wer ist dann überhaupt noch Künstler*in?

Student Maximilian Riemer hat eine KI Kunstwerke erstellen lassen. Foto: Jonas Hildebrandt

Zwischen Künstler und Kurator

Auch Maximilian Riemer beschäftigt das. Er selbst ist sich unsicher: „Emotional würde ich mich schon als den Künstler dahinter bezeichnen.“ Trotzdem zweifelt er. Es fehle die Schöpfungshöhe. „Ich habe keinen Einfluss darauf, was passiert“, sagt er. Das Einzige, was er gemacht habe, war die Auswahl. Nachher, die 20 Bilder für die Ausstellung. Vorher, über 200 Bilder, um das Programm zu trainieren.

In den Werken geht es um die Corona-Pandemie, auch wenn das auf den Bildern allein kaum zu erkennen ist. Die wirken eher abstrakt, surrealistisch. Maximilian hat vorher 203 Bilder ausgewählt, aus dem Internet. Symbolbilder der Pandemie, „Charakterköpfe und visuelle Eindrücke“, sagt er. Damit hat er dann die KI trainiert, indem er die Bilder in das Programm gezogen hat.

Die KI suchte nach Mustern, versuchte diese zu reproduzieren und neu zusammenzusetzen. Entstanden sind dabei die 1000 Bilder, aus denen Maximilian dann wiederum auswählen musste. Was ist ästhetisch, was passt zusammen, was stützt die Aussage? Fragen, die Maximilian beantwortet hat, nicht die KI. „Ich bin mehr Kurator gewesen als dann letztendlich erschaffender Künstler“, meint er selbst. Trotzdem hatte er dabei einen künstlerischen Anspruch – im Gegensatz zur KI.

Francis Hunger. Foto: privat

„Ich kann jetzt auf einmal sehr schnell sehr viele Ergebnisse bekommen“, stellt Francis Hunger fest. Er ist selbst Künstler und Kurator. Arbeitet man mit einer KI, beginne der kreative Prozess erst später, nach dem reinen Erschaffen der Bilder: „Das heißt, ich muss auswählen und entscheiden: Ist das jetzt ein besseres Bild oder ist das ein schlechteres Bild?“

Als Künstler sieht er deshalb weiterhin den Menschen. Francis Hunger ist Mitglied des Hartware MedienKunstVereins und führt dort Projekte zur Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Kunst durch. Für ihn liege der kreative Moment nicht in dem maschinellen Prozess, sondern bei denen, die diesen anstoßen. „Und das sind eben Menschen“, sagt er. Genauso wie diejenigen, die sich die Kunst angucken. Auch das sind Menschen. „Nur für die hat das überhaupt Bedeutung“, meint Hunger.

Verständnis bleibt menschlich

Maximilian Riemer spricht bei seiner Arbeit von einem Prozess, „der irgendwie künstlerisch ist“. Hinter dem Ganzen stecke eine Idee, ein Konzept. „Das, was wir wahrnehmen, auf YouTube oder Netflix, ist ja gesteuert durch Algorithmen“, erklärt er seinen Ansatz. Er will den Spieß umdrehen: Der KI zeigen, was passiert. Und dann schauen, was sie darin erkennen kann.

Hier liegt ein entscheidender Unterschied zum Menschen. Denn was die KI erkennen kann, ist wenig. Wir sehen Menschen mit FFP2-Masken, Corona-Tests in der Nase, viel zu leere Schulklassen und Proteste gegen Maßnahmen. Für die KI sind all das nur Pixel, angeordnet in Mustern, welche die KI zu wiederholen versucht. Oder wie Francis Hunger es formuliert: „Für die Maschine ist das einfach eine Rechenabfolge, die durch den Prozessor gejagt wird. Dabei werden bestimmte Datenmengen verarbeitet, aber die Maschine hat überhaupt gar keinen Begriff davon, dass es sich um Kunst handeln würde oder könnte.“

Er spricht bewusst von einer Maschine oder von statistischer Mustererkennung. Die Begriffe Künstliche Intelligenz oder Maschinelles Lernen hält er für irreführend. Das europäische Parlament definiert Künstliche Intelligenz als „die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren“. Das würde laut Hunger implizieren, dass Maschinen etwas erlernen könnten. „Das tun sie aber nicht, weil es eben nicht so etwas wie Verständnis oder ähnliches gibt, auch keinen Lernprozess“, erklärt er.

Ein „neues literarisches Genre“

Die Maschine führt aus, was ihr aufgetragen wird. Die Idee, den künstlerischen Gedanken, hat also die Person, die die Befehle eingibt. Filmstudent Maximilian Riemer sieht das ähnlich. Gleichzeitig hat er aber auch widersprüchliche Erfahrungen gemacht, die ihn zweifeln lassen. Er sagt, er selbst habe keinen Einfluss auf das, was passiert. Trotz aller menschlicher Vorgaben kreiert die Maschine eben doch etwas Eigenes. Wie passt das zusammen?

Prof. Dr. Stephanie Catani. Foto: privat

Ganz so einfach lässt sich das eben nicht erklären, meint auch Prof. Dr. Stephanie Catani. Sie forscht an der Universität Würzburg zum Thema Kunst und KI und widerspricht in Teilen der Auffassung, dass dem Computer die Intention fehle. Zwar wolle dieser kein erfolgreicher Künstler werden, aber doch das ausführen, was ihm vorgegeben wird. Dies geschieht durch technische Befehle, die Prompts genannt werden. Und dabei könne es laut Catani schon zu einer Intention kommen, wie sie an einem Beispiel erklärt: „Wenn wir Chat GPT den Prompt geben: Verfasse ein ästhetisch anspruchsvolles Gedicht. Dann ist das, was dieses Programm erfüllen möchte der Prompt. Das heißt, in dem Moment wäre die Intention des Programms, ein ästhetisch wertvolles Gedicht zu schreiben.“

Genau diese Prompts sind ein viel diskutierter Aspekt. Denn wenn diese der KI die Intention verpassen, Kunst zu schaffen, liegt dann nicht in den Prompts selbst ein künstlerischer Aspekt? Für Maximilian Riemer schon. „Die Kreativität ist zumindest im Moment noch bei denen, die die Prompts verfassen“, meint er. Und Stephanie Catani geht sogar noch weiter: „Der Prompt wird wahrscheinlich als neues literarisches Genre entdeckt.“

Die Demokratisierung der Kunst

Die KI kreiert also, der Mensch steht aber mit seiner Intention und Idee immer noch dahinter. KI ist also eher ein Werkzeug, wenn auch ein neues und besseres. „Man hat keinen Pinsel in der Hand und malt ein Bild, sondern man hat einen Pinsel, der selbst erschaffen kann“, fasst Maximilian Riemer es zusammen. Das birgt Potenzial und Möglichkeiten, auch für Menschen, die sonst eher nicht künstlerisch aktiv werden. Gerade dies sei laut Professorin Stephanie Catani der Grund, weshalb viele der moderneren KI-Tools oft als disruptiv beschrieben werden, also als tiefgreifende, einschneidende Neuheiten. „Das Disruptive von Chat GPT war diese einfache Zugänglichkeit“, sagt sie. Francis Hunger findet das spannend. Alle können schließlich dadurch einfacher Kunst machen. „So kommen damit immer wieder neue Einflüsse in die Kunst hinein, auch von Leuten, die jetzt nicht durch die Kunstakademien durchgeschleust wurden.“

Aktuell seien viele Projekte nur darauf bedacht, zu zeigen, was KI kann – unabhängig von der Qualität des Outputs, erklärt Stephanie Catani. „Ich bin wirklich fassungslos, dass Leute sich tatsächlich auch KI-generierte Bücher kaufen, die nur zeigen wollen: Die sind fast so gut wie von Menschen. Das, was da rauskommt, ob wir das als Kunst bezeichnen oder nicht, das ist wirklich total langweilig“, meint sie. Viel spannender finde sie KI-Kunst, die zwar die Möglichkeiten der neuen Technologie nutze, sich aber zugleich kritisch damit auseinandersetze. Zum gebe es ein Werk, dass sich mit Vorurteilen in KI-Systemen beschäftigt. Ein Algorithmus versuche dabei Ähnlichkeiten zwischen Museumsbesucher*innen zu erkennen. Der Code werde dabei aber bewusst nicht offengelegt. „Die Frage, was hier eigentlich Ähnlichkeit ist und worin diese Ähnlichkeit besteht, wird an die Rezipient*innen zurückgespielt“, erzählt die Professorin.

Kunst als Prozess

Maximilian Riemers Projekt soll zeigen, wie eine Maschine die Corona-Pandemie sieht. Ursprünglich wollte er ein Video erstellen. Dann wurden es Bilder. Im Oktober 2022 hingen diese unter dem Titel „A synthetic pandemic“ in der Nordstadtgalerie, in der digitalen Galerie sind sie immer noch zu bewundern. Die originalen Drucke liegen inzwischen zusammengerollt in einem Karton in einer Studentenwohnung im Dortmunder Kreuzviertel. Vor kurzem erst ist Maximilian Riemer hier mit seiner Freundin eingezogen, das sieht man allerdings kaum, die Wohnung ist schon eingerichtet. In die Küche fällt Licht durch ein großes Fenster. Maximilian wird von der Sonne leicht angestrahlt. Er sitzt am Küchentisch. Darauf steht eine Tasse Kaffee, die noch dampft. Eine Kerze steckt in einer Flasche. In einer Vase stehen Blumen mit rosa Blüten, die einen angenehmen Duft verbreiten. Und da steht eben auch sein Laptop. Das Gegenstück, mit dem aus dem Studenten der Künstler hinter „A synthetic pandemic“ wird.

Die Bilder aus der Ausstellung “A synthetic pandemic” wurden von KI erstellt. Foto: Jonas Hildebrandt

Eben nicht nur durch die Bilder, die im Flur auf dem Boden liegen, sondern auch durch den ganzen Prozess, der auf dem Laptop in verschiedenen Ordnern gespeichert ist. Maximilian klickt sich durch die Symbolbilder der Pandemie, die er ausgewählt hat, um damit die KI zu trainieren. Erst ausgewählt, dann passend zugeschnitten. Und allgemein viel rumprobiert.

Erst wollte er selbst einen Algorithmus schreiben. Ihm fehlt zwar jegliche Vorerfahrung, aber es gibt Codes und Anleitungen im Internet. Am Ende war die Rechenleistung zu viel für seinen Laptop. Er stieg um auf ein Onlineprogramm, fügte dort seine Bilder ein. Dann bekam er die 1000 Ergebnisse, kuratierte, sortierte aus. Versuchte ein Video daraus zu erstellen. Erkannte, dass mehr Potenzial in den Einzelbildern lag.

Für Stephanie Catani ist „das Kunstwerk eben nicht nur dieser eine Output, sondern die gesamte Idee, also der gesamte Prozess des Kunstmachens“. Das Kuratieren, Sortieren und Konzeptualisieren, zähle auch dazu. Nicht nur das Programm hat gearbeitet, auch Maximilian Riemer selbst. Die Kunstwerke gäbe es heute nicht, wenn einer von beiden nicht da gewesen wäre. „Im Zusammenspiel von unterschiedlichen Urhebern kommt es zu kreativen Prozessen“, meint Stephanie Catani. Und wer dann als Künstler bezeichnet wird, das ist Ansichtssache. Vielleicht sind es einfach beide zusammen.

 

 

Beitragsbild: Jonas Hildebrandt

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