Mit Mau Mau gegen Dyskalkulie

Der Umgang mit Zahlen ist fester Bestandteil unseres Lebens. Was ist, wenn es mit den verflixten Zahlen einfach nicht klappen will? Nico Schwitkowski hat Dyskalkulie. Wie der 24-jährige Dachdecker seinen Alltag meistert, erklärt er im Interview.

Dyskalkulie ist eine Rechenstörung, die im Kindesalter schon zu Problemen führen kann. Wie äußert sie sich bei dir?

Beim Uhrenlesen habe ich kein Problem. Vielleicht nehme ich es auch nicht bewusst wahr, dass ich etwas länger brauche. Aber ich stehe jetzt nicht da und überlege fünf Minuten, wieviel Uhr es ist. Es kommt jedoch immer wieder vor, dass ich mal Zahlendreher drin habe. Bei 1,49 Metern schreibe ich zum Beispiel immer 1,94 Meter auf. Das ist aber nicht bei jeder Zahl so. Hauptsächlich habe ich beim Rechnen Probleme. Das ist in der Schule in der ersten Klasse festgestellt worden, da war ich circa sieben Jahre alt. Andere haben die Rechenaufgaben schneller verstanden als ich und ich habe mich früher immer gefragt: Warum sind die anderen schneller?

Wie wurde Dyskalkulie bei dir diagnostiziert?

Als mit der ersten Klasse im Matheunterricht die einfachen Aufgaben kamen, fielen die mir schon als Kind schwerer als anderen. Meine Cousine war zum Beispiel in derselben Klasse. Bei ihr hat das alles flüssig geklappt, während ich dasaß und dachte: Warum kann ich das nicht? Bei ihr klappt 3 + 3 und ich muss erst einmal nachdenken. Ich war elf, also in der fünften oder sechsten Klasse, als ich mit der Lerntherapie angefangen habe.

Die Diagnose selbst lief über eine Testung in Marburg, als ich in der ersten Klasse war. Ich musste ein paar Aufgaben lösen, an die ich mich leider nicht mehr genau erinnern kann. Ich bin jetzt 24, das ist schon … sieben Jahre her? Jetzt fängt es wieder an. Es ist auf jeden Fall ein paar Jahre her.

Wurdest du nach der Diagnose die ganze Schullaufbahn über unterstützt?

Ja, und davor haben mich meine Eltern unterstützt. Also von der ersten bis zur fünften Klasse. Sie haben versucht, mir bei den Hausaufgaben unter die Arme zu greifen. Meine Mutter hat auch Bücher gekauft, die bei der Förderung helfen sollten. Und bei der Lerntherapie war ich einmal die Woche für 45 Minuten. Dort haben wir mit ganz einfachen Sachen angefangen, zum Beispiel mit Mau Mau. Man kennt es zwar eher als Kneipenspiel, aber wir haben das als Einstieg zum Warmwerden gespielt. Auch andere Spiele und Aufgabenblätter gehörten zu den Übungen. Mit der Zeit habe ich immer mehr Fortschritte gemacht, was sich dann auch in der Schule widergespiegelt hat.

Lief das Training die ganze Zeit parallel zur Schule?

Ja, das lief parallel bis zum Schulabschluss und darüber hinaus. Dafür haben wir extra einen Antrag gestellt. Das Training war dann nicht mehr auf die Schule, sondern eher auf die Ausbildung ausgerichtet. Die Aufgaben waren schwieriger als in der Schule.

Und wie war die Schule für dich?

Nico Schwitkowski ist 24 Jahre alt und hat Dyskalkulie. Foto: Nico Schwitkowski

In den ersten zwei Jahren war ich in der Grundschule und bin danach auf eine Förderschule gewechselt, weil ich im Matheunterricht überhaupt nicht klargekommen bin. Die wollten mich in der Grundschule direkt in der ersten Klasse stoppen, aber meine Eltern waren dagegen. Ich habe auf der Förderschule zwar die zweite Klasse wiederholt, das war mir aber nicht unangenehm. Viele Kinder hatten dort eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eben Dyskalkulie. Die Förderschule ging bis zur 10. Klasse und 2016 habe ich meinen Abschluss gemacht. Bei meiner Ausbildung zum Zimmermann nach der Schule musste ich dann wirklich viel rechnen, womit ich am Anfang große Probleme hatte. Meine Ausbilder haben auf einmal Formeln verwendet, die ich nicht verstanden habe. Deshalb war ich für die Ausbildung in einer Nachhilfe. Und auch, wenn ich beim Rechnen länger gebraucht habe als andere, war es mir nicht unangenehm. Immerhin waren wir ja alle schon älter. Meine Lehre ging nur zwei Jahre, war also ein Jahr kürzer als normalerweise. Im dritten Lehrjahr beschäftigt man sich viel mit dem Treppenbau, was bei mir dann weggefallen ist. Nachdem ich 2019 fertig war, habe ich bei einem Dachdecker angefangen. Und da bin ich auch schon … was haben wir jetzt wieder? … fünf Jahre.

Gab es Situationen, in denen du kaschiert hast, dass du Probleme hattest?

Die gab es. Aber eher in der Schule. In solchen Situationen habe ich einfach gewartet, bis die anderen etwas gerufen haben. Dann habe ich das Ergebnis einfach mitgerufen, obwohl ich keine Lösung hatte. Im Nachhinein denke ich mir, dass das nicht so gut war. Die Lehrer haben dann nämlich einfach angenommen, dass ich das auch konnte. Wenn ich aber heutzutage Hilfe brauche, unterstützt mich meine Freundin. Sie akzeptiert mich so, wie ich bin. Meine Freunde haben mir auch geholfen. Natürlich gab es mal den einen oder anderen Spruch, aber das bleibt im Kindesalter ja nicht aus.

An welchen Situationen oder Orten hattest du Probleme durch die Dyskalkulie?

Wenn gerade etwas wirklich schnell im Kopf gerechnet werden muss. Dann muss ich erst einmal überlegen und merke, dass andere im Kopfrechnen viel schneller sind als ich. Das ist auch heute noch so. Beim Einkaufen kommt es immer auf die Menge an. Wenn es nur drei bis vier Teile mit relativ genauen Preisen sind, dann ist das kein Problem. Anders sieht es bei einem Wocheneinkauf aus. Den muss ich im Nachhinein überprüfen, weil mir das Rechnen bei mehreren Sachen schwerer fällt.

Beeinträchtigt dich die Dyskalkulie im Alltag?

Nicht zwingend. Man merkt mir das auch nicht so an. Einfache Sachen gehen. Nur wenn es schwieriger wird, beeinträchtigt es mich. Es wird Leute geben, die nach der Schule noch Probleme haben und sich Unterstützung suchen. Aber mittlerweile sind wir in einem Zeitalter angekommen, in dem jeder einen Taschenrechner auf seinem Handy hat.

Kannst du kurz in einem Satz zusammenfassen, was Dyskalkulie für dich ist?

Dyskalkulie ist für mich die Rechenschwäche, die man keinem wünscht. Wer sie hat, muss versuchen, das Beste daraus zu machen. Was ich jedem raten kann: Wenn man Hilfe bekommt, sollte man sie annehmen. Weil es einem ungemein für das weitere Leben, für die Ausbildung und schulische Sachen hilft. Man kann nichts dafür, dass man es hat. Ich persönlich gehe damit weiterhin meinen Weg. Für mich ist das kein Problem mehr.

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Beitragsbild: Lena Kantert

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