Die Augen werden schwer, man will einfach nur noch schlafen. Klar, das kennt jeder. Was aber, wenn die Müdigkeit nie ganz weggeht? So geht es Fiona. Sie leidet an der seltenen Krankheit Narkolepsie. Irgendwie schafft sie es trotzdem, ihren Alltag zu meistern – zumindest meistens.
Im Klassenzimmer ist es mucksmäuschenstill. Kulis und Füller kratzen auf Papier. Die Englischarbeit ist schwierig, alle sind hochkonzentriert. Bis auf eine: Fiona. Ihre Schreibbewegungen werden immer langsamer, ihre Schrift immer undeutlicher. Dann bleibt ihre Hand ganz still, ihr Kopf sinkt auf die Tischplatte. Fiona schläft ein.
Das liegt nicht daran, dass sie die Nacht zuvor durchgelernt hat oder ihr langweilig ist. Fiona leidet unter Narkolepsie. Die Betroffenen dieser seltenen Krankheit schlafen oft tagsüber gegen ihren Willen ein – egal, wo sie sich grade befinden oder was sie gerade machen. Das hat neurologische Ursachen. Narkoleptiker können deswegen nichts gegen die plötzlichen Einschlafattacken tun.
Vier Schulstunden sind das Limit
In der Schule fällt es Fiona oft schwer, wach zu bleiben. Bei Gruppenarbeiten kann sie ihre Müdigkeit meist verdrängen, aber bei Frontalunterricht ist das nach einiger Zeit kaum noch möglich. “Wenn man dem Lehrer die ganze Zeit zuhört, macht das ja jeden Schüler müde. Aber ich merke, dass ich davon viel schneller müde werde. Das ist manchmal ätzend”, sagt die 15-Jährige. Spätestens nach vier Schulstunden geht oft nicht mehr viel. “Wenn ich sehe, wie konzentriert die anderen noch in der 5. und 6. Stunde sind, denke ich mir oft: Ich würde jetzt auch noch gerne voller Energie dabei sein.”
Um sich wachzuhalten, kritzelt Fiona meistens in ihre Hefte oder macht sich Notizen. Wenn es gar nicht mehr geht, legt sie mitten im Unterricht den Kopf auf den Tisch und schläft. Ihre Lehrer und Mitschüler wundern sich darüber nicht mehr. Sie kennen Fionas Krankheit mittlerweile.
Auch nach der verschlafenen Englischarbeit bot die Lehrerin ihr Hilfe an: Nachdem Fiona aufgewacht war, hätte sie noch eine Verlängerung bekommen, um die Prüfung fertig zu schreiben. Fiona lehnte aber ab: “Das hätte in dem Moment nichts mehr gebracht. Ich war dazu einfach nicht mehr in der Lage”, sagt sie.
Oft wird die Nacht zum Tag
Bei Fiona war schon früh klar, dass sie Narkolepsie hat. Schon als sie zwei Jahre alt war, fiel ihren Eltern auf, dass ihre Tochter deutlich mehr schläft als andere Kinder im gleichen Alter. “Fiona hat auch in Situationen geschlafen, in denen man eben nicht schlafen sollte: Im Kindergarten musste der Karnevalsprinz über sie drüber steigen und bei Theateraufführungen hat sie fast ihren Einsatz verschlafen”, sagt Tanja Clasen, Fionas Mutter.
Die Ursachen für Narkolepsie sind noch nicht vollständig erforscht. Sicher ist: Es spielen unter anderem genetische Faktoren eine Rolle. In Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa 40 000 Menschen betroffen. Aber nur bei zehn bis zwanzig Prozent der Erkrankten wurde Narkolepsie auch wirklich diagnostiziert.
Auch Fionas kleiner Bruder Finn ist Narkoleptiker. Dass in der Familie Clasen gleich zwei Kinder an Narkolepsie erkrankt sind, ist relativ selten und stellt die Familie vor große Herausforderungen. “Meistens schlafen die beiden dann, wenn es eben nicht passt und sind wach, wenn sie eigentlich schlafen sollen. So kommt es schonmal vor, dass man dann eben um zwei Uhr nachts Plätzchen backt”, erzählt Tanja Clasen. “Das ist schon irgendwie anstrengend, aber wir kennen es nicht anders und haben uns dran gewöhnt.”
Es ist Routine, dass sich Fiona und Finn nach dem gemeinsamen Mittagessen auf die Couch legen und für eine halbe Stunde schlafen. Manchmal gesellen sich auch weitere der insgesamt sieben Geschwister hinzu, spielen mit dem Handy, unterhalten sich, kraulen Hund und die Katze. Fiona und Finn lassen sich davon nicht stören. Für sie ist das Schlafen zwischendurch wichtig, um später wieder fit zu sein.
Wie gesunde Menschen sich das ständige Schlafbedürfnis von Narkoleptikern vorstellen können, erklärt Schlafmediziner Dr. Ulf Kallweit:
Doch Narkoleptiker haben nicht nur mit der Müdigkeit zu kämpfen, sondern auch mit sogenannten Kataplexien. Das bedeutet, dass sich ihre Muskeln plötzlich entspannen und sie die Kontrolle über ihren Körper verlieren. Sie können dann zum Beispiel einfach hinfallen. Das passiert Fionas kleinem Bruder manchmal. Deswegen darf er nur mit einem Begleiter aus dem Haus.
Bei Fiona sind die Kataplexien nicht so stark. Sie treten bei ihr nur im Gesicht auf. Für ein paar Sekunden erschlaffen dann ihre Gesichtsmuskeln. Fionas Freunde bekommen davon meist gar nichts mit.
Für immer krank
Heilbar ist Narkolepsie nicht. Aber es gibt Möglichkeiten, die Krankheit zu behandeln. Fiona nimmt gegen ihre Müdigkeit Tabletten. Die Medikamente helfen ihr, den Tag einigermaßen zu überstehen. “Ohne Tabletten würde es gar nicht gehen”, sagt Fiona. Auch ihr wöchentliches Tanztraining wäre ohne die Tabletten gar nicht möglich. Dort geht sie jeden Donnerstag mit ihren kleinen Zwillingsschwestern hin.
Das Tanzen ist Fiona wichtig, denn ansonsten bleibt ihr kaum Zeit für Hobbies und Freunde. Ihre Krankheit beeinflusst ihr Leben stark. Trotzdem gibt Fiona nicht auf, sondern hat große Pläne für ihre Zukunft: Abi machen, studieren, später einmal Grundschullehrerin werden. An diesem Ziel kann auch eine verschlafene Englischarbeit nichts ändern.
Von Katrin Wrobel und Sandra Schaftner