Urban Farming: Essen frisch aus der Stadt

Urban Farming – Nahrungsanbau in der Stadt. Was sich nach Zukunftsmusik anhört, ist auch in Deutschland bereits Realität – etwa in einer Rewe-Filiale in Wiesbaden. Aber auch in Dortmund sind ähnliche Konzepte in der Entwicklung.

Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Eine Frage, bei der viele wahrscheinlich an riesige Wolkenkratzer und dystopische Straßenschluchten á la Blade Runner denken. Die Realität könnte aber viel grüner werden. Der Grund: Nahrungsanbau direkt in der Stadt, sogenanntes Urban Farming. Denn Lebensmitter direkt dort anzubauen, wo sie auch benötigt werden löst das Problem der häufig langen oder aufwendigen Transportwege. Und in vielen Städten gibt auf Dachflächen, aber auch in Gebäuden ungenutzten Raum. Das würde sich zusätzlich positiv auf die Luftqualität und Temperatur auswirken und nebenher die Stadt grüner machen. Um solche Urban Farming Projekte zu finden, muss man aber gar nicht bis nach Singapur oder New York schauen. Auch in Deutschland finden sich schon einige Vorreiter.

Basilikum frisch vom Dach

In Wiesbaden-Erbenheim etwa hat Rewe vor zwei Monaten eine neue Filiale inklusive Aquaponik-Farm eingeweiht. Ein solches System besteht aus einer Aquakultur, also einer Fischzucht und einer Hydroponik-Farm, einer Pflanzenzucht im Wasser. Dabei unterstützen sich die Pflanzen und Fische sozusagen gegenseitig beim Wachsen. Schon von Weitem fällt auf: Hier soll alles so grün und umweltfreundlich wirken, wie es nur geht. Auf dem Parkplatz gibt es eine große Grünfläche mit Wildgräsern und -blumen und der Markt selbst ist zu einem Großteil aus Holz gebaut. Das wohl auffälligste Merkmal ist aber das große Gewächshaus auf dem Dach.

14.000 Basilikum-Pflanzen wachsen hier pro Woche (Foto: Tim Renner)

14.000 Basilikum-Pflanzen wachsen dort jede Woche, sagt der Betriebsleiter der Farm Jannis Grothaus. Damit versorgt die Farm nicht nur den Markt unten im Gebäude, sondern auch über 400 weitere Filialen in der Umgebung. Nachdem die Samen eingepflanzt wurden, werden die Töpfe in Regale („Vertics“) einsortiert. Dort werden sie anfangs mit Wasser besprüht, später können sie auch im Wasser stehen. Nach den ersten zwei Wochen benötigen die Pflanzen dann mehr Platz zum Wachsen und werden auf große Tische gestellt. Die können zur Bewässerung der Pflanzen geflutet werden. Temperatur und Licht werden automatisch reguliert.

Die Nachbarn von Unten

Eine Etage tiefer werden Fische gezüchtet. In einem langen Raum sind 13 große Wassertanks in zwei Reihen aufgestellt. Zurzeit leben nur in einem davon Fische. Da die Farm noch neu ist, sind sie erst einen Monat alt und noch so klein, dass ihnen eines der Fässer ausreicht. Immerhin ein halbes Kilo wiegen die Nilbuntbarsche, wenn sie nach sieben bis acht Monaten schlachtreif sind. Bei normalem Betrieb wird die Farm voraussichtlich 10 Tonnen Fisch im Jahr erzeugen. Auch hier läuft vieles automatisch: Die Temperatur regelt die Anlage selbst — und die Fütterung der Tiere übernimmt ein Automat.

Wie der natürliche Lebensraum sind die Tanks natürlich nicht — aber immerhin entspricht das Wasser der Anlage genau Wunschbedingungen der Fische. „Herkömmliche Aquaponik-Systeme sind meistens ein Kreislauf. […] Wir betreiben hier zwei Kreisläufe. Dadurch haben wir die Möglichkeit, die individuellen Parameter und Umweltbedingungen auf die Fische und auf die Pflanzen einzustellen“, sagt Grothaus. Frisches Wasser für die Fische wird etwa mit Sauerstoff versetzt. Mit ihren Ausscheidungen führen die Fische diesem Wasser dann Ammonium zu. Dieses Ammonium wandeln Bakterien dann in einem Biofilter in Nitrat um  – hervorragender Dünger für die Pflanzen.

Die Anlage soll natürlich so umweltfreundlich wie möglich sein. Grothaus stört dabei noch eine Sache: Das Fischfutter ist herkömmliches Pelletfutter, das zum Teil auch aus Fischabfällen besteht. Doch gebe es bereits Konzepte dafür, wie man die Fische selbst versorgen kann. „Das Besondere an den Nilbuntbarschen ist, dass sie sich auch rein pflanzlich ernähren lässt“, so Grothaus. Deshalb biete sich etwa die zusätzliche Zucht von schnell wachsenden Wasserpflanzen wie Wasserlinsen, besser bekannt als Entengrütze, an. Der Markt ist natürlich ein Pilotprojekt, trotzdem könnten in den nächsten Jahren auch noch andere Filialen mit gleichem Konzept entstehen.

Urban Farming am Phoenix West

So soll das Gelände Phoenix-West einmal aussehen (Graphik: World of Walas)

Auch in Dortmund gibt es Konzepte für Urban Farming. So ist zum Beispiel der alte Kronenturm in Dortmund, der bereits seit mehr als 20 Jahren leer steht, immer wieder im Gespräch. Ein bereits weiter ausgereiftes Konzept findet sich auf dem Industriegelände am Phoenix West. Die alten Fabrikhallen und Anlagen bieten große Räumlichkeiten und viel ungenutzte Fläche. In einem der alten Fabrikgebäude läuft gerade der Aufbau einer Urban Farm. Insgesamt soll das Gebäude, wenn es fertig ist, etwa einen Hektar Anbaufläche für verschiedene Gemüsesorten bieten. Dieses Gemüse soll dann direkt auf dem Gelände verarbeitet und verkauft werden. Außerdem sollen die “superregionalen Produkte” Kantinen und Restaurants in der Umgebung versorgen.

Die Firma World of Walas, die das Projekt leitet, denkt allerdings in größeren Maßstäben. Man will einen Vorreiter für eine Stadt der Zukunft zu erschaffen. “Alles soll nachhaltig sein: nicht nur technisch nachhaltig, sondern auch sozial, ökonomisch und ökologisch”, sagt van der Ven,  Direktor von World of Walas. In einer Stadt geht es für ihn grundsätzlich um die Bewohner und nicht um die Gebäude. Der Mensch stehe im Mittelpunkt. “Die Menschen, die in Hörde wohnen und auch die, die am Phönix Gelände arbeiten, müssen sich dort wohlfühlen. Wir möchten die Bedürfnisse derer in die Stadt einfließen lassen, die dort Leben.”

Effektivere Landwirtschaft in der Stadt

Dafür will World of Walas das ganze Areal möglichst einladend gestalten. “Wir wollen eine Umgebung schaffen, in der selbst Einkaufen ein Erlebnis ist — geprägt von Kultur, Events und Musik. Wir wollen mehr als nur einen Industriepark daraus machen”, sagt van der Ven. Das Gelände soll ein Platz für die Arbeit bleiben, aber gleichzeitig auch zu einem Platz zum Leben und Erleben werden. “Wir wollen das Gebiet mit einer Vielfalt an Einkaufsmöglichkeiten füllen. Viele kleine lokale Geschäfte, anstatt großer Ketten. Mit lokalen Partnerschaften aus Hörde, Dortmund und Umgebung können wir das ermöglichen. Außerdem wollen wir das Zentrum mit Kultur und Sportmöglichkeiten bereichern”.

In den nächsten Jahren soll das Phönix West Gelände also zu einem Innovations-Zentrum für Stadtentwicklung werden. Der Fokus liege dabei auf Energie, Wasser, Luft und Abfall. Besonders wichtig ist für van der Ven aber das Thema Urban Farming. Hierzu gibt es schon laufende Projekte. Mit dem Partnerunternehmen Priva arbeitet World of Walas etwa an der Verbesserung von Treibhauskonzepten und die Verbindung dieser mit der Urban Farm am Phönix West. Bereits jetzt seien solche Konzepte mitunter vorteilhafter als gewöhnlicher Ackerbau. Die Treibhäuser nutzen etwa vorhandene Flächen effizienter, verbrauchen weniger Wasser und erleichtern den Pflanzenschutz, sagt van der Ven.

Das Beispiel Phönix-West zeigt: Urban Farming ist nicht nur ein Ansatz, um nachhaltigere Lebensmittel zu produzieren. Solche Projekte können auch helfen, das Lebensklima einer Stadt der Zukunft zu verbessern. Für die Planung von modernen Städten sind werden solche Bepflanzungsmöglichkeiten daher immer wichtiger. Leider sind ausgereifte Konzepte bis jetzt oft noch selten und meist vorwiegend Prototypen. Trotzdem steht fest: Immer mehr Menschen und Institutionen sind auf der Suche nach langfristig nachhaltigen Lösungen — egal ob in der Industrie, in der Städteplanung oder auch nur mit dem kleinen Beet für die Nachbarschaft.

 

Teaser- und Beitragsbild: Tim Renner

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