Warum studiere ich eigentlich? Welcher Studierende hat sich das noch nie gefragt – Zweifel hatte beinahe jeder schon. Aber was passiert, wenn die Bedenken tatsächlich zum Abbruch führen? Eine Ausbildung könnte die Lösung sein – oder doch den Karriereabstieg bedeuten? Wir haben Bastian (24) bei der Herausforderung Studienabbruch begleitet.
Die häufigsten Gründe, sein Studium abzubrechen, sind schlechte Noten oder nicht bestandene Klausuren. Auch finanzielle Sorgen, Stress, Krankheit oder der Wunsch nach praktischen Tätigkeiten spielen oft eine Rolle. Dass das Studienfach nicht das richtige ist, merken die meisten bereits in den ersten Semestern.
Bei Bastian, 24 Jahre alt, ist es anders – er ist eigentlich schon fast fertig mit dem Bachelor. “Wir müssen in unserem Studiengang am Ende des Bachelors ein großes Praktikum machen. Bei der Stellensuche wurden die Zweifel am schlimmsten.” Er habe bei der Recherche rund um verschiedene Stellen und Unternehmen festgestellt, dass diese Jobs gar nicht wirklich zu ihm passen. Doch was nun?
11. Semester Maschinenbau – das ist die aktuelle Gegenwart. Diesen so hoch gelobten und schwierigen Studiengang fast abgeschlossen, mit nicht einmal schlechten Noten wohlgemerkt. Doch es passt dennoch nicht. “Je weiter der Stoff in die Tiefe geht, umso weniger Interesse habe ich daran”, sagt Bastian. Besonders die technischen und maschinellen Vorgänge seien nicht so sein Ding – das mathematische Denken jedoch schon.
An diesem Punkt setzt Ursula Siedenburg von der Industrie- und Handelskammer Dortmund (IHK) an: “Mathematisches und logisches Denken wird von vielen Unternehmen bei ihren Auszubildenden vermisst. Jobs in dem Bereich gibt es viele.” Bastian sitzt an einem Mittwochnachmittag vor ihr, es läuft die Beratungsveranstaltung “Die zweite Entscheidung” der Dortmunder Hochschulen.
Bastian würde gerne ein duales Studium machen, doch Siedenburg empfiehlt ihm eine Ausbildung: “Es gibt tolle Ausbildungsberufe im IT-Bereich, wie Anwendungsentwickler oder Fachinformatiker, die in Zukunft an Wert gewinnen. Einige Unternehmen haben Vorlieben für Studienabbrecher – bei ihnen müssen sie nicht bei null anfangen.” Außerdem müsse Bastian dann weniger Zeit überbrücken wie bei einer weiteren Studienbewerbung. Erfahrungsgemäß seien Unternehmen oft an einem sofortigen Ausbildungsbeginn oder einem vorherigen 450-Euro-Job interessiert, wenn der Bewerber sie überzeugt.
Studienabbrecher als vorbildliche Bewerber?
Doch wollen Unternehmen überhaupt jemanden einstellen, der seine Dinge nicht durchzieht? Eine berechtigte Frage für Außenstehende. “Klar tauchen Probleme bei einigen Studienabbrechern auf: Oft sind das zu hohe Erwartungen, verbunden mit dem Gedanken, eine Ausbildung sei zu wenig. Oder es gibt persönliche Hemmnisse – mangelndes Selbstvertrauen oder keine Kommunikationsfähigkeit”, sagt Siedenburg. Meistens hätten die Arbeitgeber aber ein positives Bild. Auf Studenten sei Verlass, sie hätten ein fachliches Vorwissen und würden eine gewisse Selbstorganisation sowie Motivation aus dem Studium mitbringen.
In Deutschland geht der Trend immer mehr Richtung Studium, wie die steigenden Studierendenzahlen der vergangenen Jahre zeigen. Gleichzeitig bedeutet das eine sinkende Anzahl an Azubis. “Es gibt in Deutschland mehr freie Stellen als Auszubildende”, sagt Dirk Vohwinkel, Leiter der IHK-Ausbildungsberatung.
Die IHK arbeitet daran, dass die klassische Ausbildung nicht mehr als Ausbildungsweg zweiter Klasse gilt.
Oft würden Abiturienten studieren, weil ihre Eltern es erwarten, meint Vohwinkel. Bei Bastian war es ähnlich, seine Mutter ist weiterhin für ein Studium. Ob das allerdings immer der beste Weg ist, sei dahingestellt. “In der Gesellschaft gelten Nicht-Akademiker immer häufiger als ‘Bildungsabsteiger’. Aber auch für jemanden mit dualer Berufsausbildung ist es durch Weiterbildungen möglich, gleiche Stellungen und Gehälter zu erreichen”, schätzt der Experte.
Klares Berufsziel als Voraussetzung
“Wer studieren möchte, sollte genau wissen, was das Ziel ist und in welchem Beruf man später arbeiten möchte”, so Vohwinkel. Wer sich nicht mit seinem Studium identifizieren könne, breche besonders häufig ab. Beispiel Maschinenbau: Hier bricht laut Vohwinkel jeder zweite Studierende ab. Bei der IHK gibt es inzwischen sogar eine Arbeitsgruppe, die speziell Studienabbrecher berät. Nach dem ersten Kontakt bei der “zweiten Entscheidung”, der “zweiten Chance” oder bei einfachen Telefonaten werden vertiefte Gespräche bei der IHK vereinbart.
Bastian hat solch einen Termin gemacht. Nun sitzt er in Ursula Siedenburgs Büro. Im Vorhinein hat er bereits eine Liste möglicher Unternehmen bekommen, die er sich einmal anschauen sollte. Welche interessieren ihn? Wo könnte er sich eine Ausbildung oder ein duales Studium vorstellen?
“Studienabbruch muss logisch begründet sein”
Bastian hat inzwischen etwas anderes im Blick als ein “normales” Studium. “Wenn ich Mathe studieren möchte, ist der Einstieg erst wieder im Oktober und ich müsste mich erst im Sommer entscheiden. Ich möchte aber keine Lücke im Lebenslauf haben. Außerdem möchte ich mir jetzt zu 100 Prozent sicher bei dem sein, was ich mache, und mich beim Lernen nicht quälen müssen.” Auch Siedenburg ist der Meinung: “Viele Mathematiker erreichen nicht das, was sie wollen. Meistens landen sie bei Versicherungskonzernen, obwohl sie das vorher gar nicht wollten. Außerdem würde die geregelte Struktur eine Ausbildung nach einer langen Studienzeit sicher guttun.”
Im Moment läuft die Phase, in der Bewerbungen für eine Ausbildung oder ein duales Studium anstehen. Ergebnis des Gesprächs sind verschiedene Vereinbarungen. Bastian soll im ersten Schritt drei bis fünf Unternehmen auswählen und Bewerbungen verfassen. Beim Anschreiben müsse der Studienabbruch kurz vor dem Ziel logisch erklärt sein, allerdings dürfe der Text auch kein Entscheidungsprotokoll sein. Siedenburg gibt Tipps für Anschreiben und Lebenslauf und leitet die fertige Bewerbung mit einem Kommentar an Firmen weiter, die mit der IHK zusammenarbeiten.
Auf der Zielgeraden zum Ausbildungsplatz
Bastian hat bereits einige Vorstellungsgespräche. “Fachlich hat er eine gute Basis und er kann sich verkaufen – Bastian kommt gut an”, berichtet Siedenburg. Insgesamt fünf Unternehmen hat sie ihm vermittelt, alle im IT-Bereich aktiv: vor allem Anwendungsentwicklung und Programmierung. Ausbildung oder duales Studium? Es sei beides möglich.
Bastian ist also auf der Zielgeraden. Nach Beratungsgesprächen an der Uni und in Zusammenarbeit mit der IHK steht er nun kurz vor einer Zusage. Bastian hat ein neues Ziel – dieses Mal womöglich ganz ohne Zweifel. Auch wenn es “nur” eine Ausbildung ist.
Beitrags- und Teaserbild: Jakob Hürner/flickr.com, lizenziert nach CC.