Auch Zahlen können lügen: So durchschaut man Statistiken und Umfragen

In den Medien wimmelt es nur so von Statistiken und Umfragen. Doch die sind oft nur PR von Lobbygruppen.

Ob Wahlprognosen oder Studien: In den Medien wimmelt es von Statistiken. Doch diese Zahlen sind nicht so exakt und objektiv, wie sie wirken. Was vermeintlich wissenschaftlich daherkommt, ist häufig nichts anderes als bestellte Meinungsmache oder schlampige Forschung. Das führt dann zu Schlagzeilen wie: 40 Prozent der PC in Deutschland infiziert oder Schwangere bauen mehr Autounfälle. KURT erklärt, wie man fragwürdige Umfragen und Statistiken durchschaut.

„Die erste Frage, die ich mir bei Umfragen stellen muss ist: Wer hat wen was gefragt – und warum?“, sagt Philipp Seibt, Datenjournalist bei Spiegel-Online. „Viele Umfragen stammen von Lobbygruppen. Die wollen ein bestimmtes Ergebnis, um ihre Ansichten in die Medien zu bringen.“ Oft beeinflusst allein schon die Art der Fragestellung das Ergebnis. Zudem ist entscheidend, welche Informationen die Befragten erhalten.

Ein Beispiel: „Wenn man Leute fragt, ob der Staat mehr in Bildung investieren sollte, ist die überwältigende Mehrheit erst einmal dafür“, erläutert Seibt. „Doch wenn man den Befragten sagt, wie hoch die Bildungsausgaben bereits sind, sinkt die Zustimmung deutlich.“ Auch Björn Christensen, Statistik-Professor an der FH Kiel, sagt daher: „Man darf nicht nur auf die Ergebnisse schauen. Es ist wichtig, auch auf die konkreten Fragestellungen zu achten. Wenn die nicht dokumentiert sind, ist es keine seriöse Untersuchung.“

„Repräsentativität ist ein reines Zauberwort“

Aber selbst, wenn die Frage neutral gestellt ist, liefert eine Umfrage nicht immer verlässliche Ergebnisse. Denn zu vielen Umfrage-Themen kann der Durchschnittsbürger überhaupt nicht kompetent Stellung nehmen. „Eine Sozialorganisation wollte in Umfrage wissen: ‚Wie viel wird Ihrer Meinung nach in Deutschland gegen Kinderarmut getan?‘ Die meisten Befragten meinten: zu wenig. Das hat natürlich eine Debatte ausgelöst“, sagt Seibt. Dabei sei eine solche Umfrage völlig unsinnig. „Wer weiß schon ohne Recherche, wie verbreitet Kinderarmut ist und was es alles für staatliche Hilfsprogramme gibt – vor allem bei einer spontanen Telefonumfrage?“ Wenn Menschen von einem Thema nicht viel wissen, bildeten sie sich spontan eine Meinung, so Seibt.

Statistikprofessor Björn Christensen (v. l.) und Datenjournalist Philipp Seibt wollen für den Umgang mit Statistiken sensibilisieren. Foto: Johannes Ahlemeyer
Statistikprofessor Björn Christensen (v. l.) und Datenjournalist Philipp Seibt wollen für den Umgang mit Statistiken sensibilisieren. Foto: Johannes Ahlemeyer

Außerdem wichtig: Ist die Umfrage repräsentativ? Kann man also zum Beispiel von der Meinung der Befragten auf die Meinung aller Deutschen schließen? „Repräsentativität ist ein reines Zauberwort. Denn völlige Repräsentativität kann man nicht erreichen“, sagt Statistikprofessor Christensen. „Irgendwann hat man sich mal darauf geeinigt: Ab tausend Befragten ist alles okay.“ Als Faustformel sei das auch in Ordnung. „Problematisch wird es aber, wenn in dieser Befragung einzelne Untergruppen verglichen werden.“

Bei bundesweiten Umfragen etwa sind Vergleiche zwischen den einzelnen Bundesländern beliebt. „Wenn insgesamt mehr als tausend Leute gefragt wurden, ist das für Deutschland auch in etwa repräsentativ. Aber in den einzelnen Bundesländern wurden dann viel weniger als tausend Menschen befragt – und das ist dann nicht mehr repräsentativ.“ In Länder-Rankings tanzen daher vor allem kleine Bundesländer regelmäßig aus der Reihe. Dort werden nur ein paar Dutzend Menschen befragt. Dann reichen schon wenige extreme Einzelergebnisse, um die Umfrage zu verzerren.

Jede Umfrage hat einen statistischen Fehler

Und auch bei genug Befragten ist eine Untersuchung noch lange nicht repräsentativ. „Es kommt auch darauf an, dass die Teilnehmer zufällig ausgewählt wurden“, erklärt Christensen. Beispiel: Ein Internetverband berichtete, 40 Prozent der deutschen Computer seien infiziert. Der Verband hatte zwar mehr als 220.000 Rechner untersucht, allerdings nicht von zufällig ausgewählten Menschen. Vielmehr konnten Verbraucher ihre PC einschicken. „Und natürlich lassen vor allem diejenigen ihr Gerät testen, die glauben, dass damit etwas nicht stimmt“, so Christensen. „Gerade bei Verbänden und Onlineportalen ist die Auswahl häufig nicht zufällig, weil diese nur ihre Mitglieder befragen.“

Hinzu kommt:  Jede Umfrage hat einen statistischen Fehler. Das heißt, die Ergebnisse können in einem gewissen Rahmen von der Wirklichkeit abweichen. Beispiel: Bei einer Wahlumfrage liegt der statistische Fehler bei 2,5 Prozent. Bedeutet: Das tatsächliche Wahlergebnis kann vom Umfragewert um 2,5 Prozent nach oben oder unten abweichen. „Schlagzeilen wie: ‚SPD rutscht unter 20 Prozent‘ sind daher fragwürdig“, meint Journalist Seibt. „Denn die SPD könnte bei der Wahl wegen des statistischen Fehlers auch deutlich mehr als 20 Prozent erzielen.“

Manche Statistiken sind einfach nur Zufall

„Nur weil zwei Werte statistisch zusammenhängen, heißt das nicht, dass der eine den anderen beeinflusst“, betont Christensen. In der Statistik sagt man: Korrelation (Zusammenhang) ist nicht gleich Kausalität (Ursache und Wirkung). Das lässt sich am besten an absurden Statistiken verdeutlichen. „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass im gleichen Zeitraum die Zahl der Störche und die Zahl der Geburten gesunken ist. Trotzdem wäre es völlig unsinnig zu behaupten, die wenigen Störche hätten auch weniger Kinder gebracht.“

Häufig ist der statistische Zusammenhang bloß Zufall. Oder es gibt einen weiteren Faktor, der die beiden anderen beeinflusst. Eine kanadische Studie etwa kam zu dem Ergebnis, dass Schwangere häufiger schwere Autounfälle haben als andere Frauen. Die Forscher hatten gezählt, wie viele Frauen sich im Krankenhaus nach einem Unfall untersuchen ließen. Und eine Begründung für das erhöhte Unfallrisiko wurde gleich mitgeliefert: Schwangere litten oft unter Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Nur weil Schwangere sich jedoch häufiger untersuchen lassen, heißt das aber nicht, dass sie auch mehr Unfälle haben. „Schwangere sind natürlich in Sorge um ihr Kind – und gehen vielleicht deshalb eher zur Untersuchung als andere Frauen.“

Wichtig sind Statistiken, die es nicht in die Medien schaffen

Um solche Statistiken zu durchschauen, hat Christensen einen einfachen Tipp. „Einfach den gesunden Menschenverstand benutzen und sich fragen: Kann das wirklich stimmen?“ Zudem empfiehlt er Journalisten, nach Statistiken zu suchen, die es nicht in die Medien geschafft haben. „Häufig machen nur Studien mit spektakulären Ergebnissen Schlagzeilen. Und die mit den nüchternen Ergebnissen werden gerne ignoriert. Journalisten sollten diese jedoch auch beachten, um ein ausgewogenes Bild zu vermitteln.“

Seibt sagt: „Viele Journalisten halten Zahlen für exakt und objektiv, aber Zahlen lügen auch. Man muss Zahlen genauso prüfen wie alle anderen Fakten auch.“ Und das sei auch kein großer Aufwand. „Oftmals reicht schon ein Anruf bei einem Experten, der die Ergebnisse einordnet. Oder ein Blick ins Archiv: Gab es bereits andere Studien zu dem Thema?“ Außerdem rät er: „Bei der Berichterstattung einfach einen Schritt zurücktreten. Also: keine reißerischen Überschriften und Verallgemeinerungen, sondern eine sachliche Einordnung.“

Statistiken und Umfragen sollte man nie als wahr hinnehmen, sondern kritisch prüfen.

Teaser- und Beitragsbild: Johannes Ahlemeyer

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