In einem Prozess des Chipherstellers Qualcomm gegen den Techriesen Apple bekam das US-amerikanische Unternehmen Recht. Das Urteil wird aber nur vollzogen, wenn Qualcomm 1,34 Milliarden Euro als Sicherheitsleistung hinterlegt. Ist das unsere Zukunft? Eine Urteilsvollstreckung darf nicht an eine Bezahlung gekoppelt werden. Ein Kommentar.
Das iPhone von Apple besitzt in Deutschland einen Marktanteil von ca. 20 Prozent. In der Hosen- oder Jackentasche von jedem fünften Deutschen schlummert also ein iPhone. In jedem dieser iPhones steckt ein Prozessor, der dafür zuständig ist, die komplexen Berechnungen auf dem Smartphone durchzuführen, damit Apps laufen, wir im Internet surfen und das Telefon als kleinen Computer nutzen können.
Die US-amerikanische Firma Qualcomm entwickelte eine Technik, mit der der Prozessor des Smartphones den Stromverbrauch anpassen und so die Akkulaufzeit deutlich verlängern kann, und hat das als Patent angemeldet. Nach Ansicht von Qualcomm wird in den iPhone-Modellen 6, 7, 8 und X dieses Patent verletzt. Das Landgericht München urteilte genauso. Es sprach ein Verkaufsverbot der Modelle in Deutschland aus. Allerdings unter der Bedingung, dass Qualcomm eine Sicherheitsleistung von 1,34 Milliarden Euro hinterlegt. Die sei nötig, falls Apple in Berufung gehen und doch Recht würde. Dann müsse Qualcomm für die entstandenen Schäden während des Verkaufsstopps aufkommen.
Im ersten Moment logisch, aber was heißt das für unsere Zukunft?
Die Entscheidung scheint logisch und nachvollziehbar. Schließlich soll Apple nicht auf den Kosten für eine falsche Gerichtsentscheidung sitzen bleiben. Aber was heißt das für unsere zukünftige Gesellschaft? In einer globalisierten Welt, in der Unternehmen weltweit agieren und dadurch Gewinne erzielen, die außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen? In einer Welt, in der große Unternehmen immer reicher und reicher werden?
Ich sage, Gerichtsurteile dürfen nicht an Geldzahlungen gekoppelt werden. Selbst für ein anderes internationales Unternehmen wie Qualcomm ist die Zahlung gegen den vielfach größeren Konzern Apple schmerzhaft. Die Firma Qualcomm muss die Hälfte ihres Jahresgewinns von 2017 auf den Tisch legen. Was wäre passiert, hätte Apple ein Patent von einem kleinen Lehrstuhl an der TU Dortmund oder sogar einem Studierenden verletzt? In diesem Fall hätten der Lehrstuhl oder der Studierende zwar vor Gericht Recht bekommen, das Urteil wäre aber nie rechtskräftig geworden, weil niemand die Sicherheitsleistung hätte aufbringen können.
Nicht nur bei Patentverletzungen
Nicht nur bei Patentverletzungen, sondern auch bei Geldzahlungen wie Schmerzensgeld oder Schadensersatz werden Urteile an die Zahlung von Sicherheitsleistungen gekoppelt. Zwar reicht bei Gerichtsverhandlungen zwischen Privatpersonen meistens die Bürgschaft eines Kreditinstituts aus, aber da geht es nur um kleinere Summen. Doch in einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht und globale Unternehmen immer größere Gewinne erzielen, könnte die Urteilsvollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung immer wichtiger werden. Was passiert, wenn ein Kreditinstitut die Bürgschaft verweigert und damit eine Urteilsvollstreckung erstmal verhindert? Die Gründe hierfür könnten zahlreich sein. Eine negative Schufa oder ein zu geringeres Einkommen. Letztendlich muss jede Bank nämlich selbst entscheiden, ob es eine Chance gibt, das Geld zurückzuerhalten.
Im besten Fall geht es dabei um Schmerzensgeld oder eine andere nicht zeitkritische Geldzahlung. Dann bekommt der Kläger Recht, bekommt sein Geld aber erst, nachdem alle Instanzen durchgegangen sind. Für den Kläger ärgerlich und nervenaufreibend. Im schlimmsten Fall geht es aber um zeitkritische Urteile. Wie im vorliegenden Fall von Qualcomm. Schon jetzt ist das iPhone X über ein Jahr auf dem deutschen Markt. Für eine Privatperson, die keine Sicherheitsleistung hinterlegen kann, könnte die Vollstreckung eines Urteils, wie der Verkaufsstopp, erst Jahre später vollstreckt werden. Zu einer Zeit, in der ein solcher Verkaufsstopp irrelevant geworden ist.
Gleichbehandlung als Fundament unserer Gesellschaft
Vor dem Gesetz sind alle gleich. Egal welche Hautfarbe wir haben, welche religiösen oder politischen Weltanschauungen oder ob wir reich oder arm sind. Artikel drei, Grundgesetz. Die Gleichbehandlung ist eines der Fundamente unserer modernen und aufgeklärten Gesellschaft. Urteile an Geldzahlungen zu koppeln, macht uns vor Gericht ungleich und entkernt unsere Gesellschaft. Gerechtigkeit ist ein Thema, das uns alle angeht.
Die Firma Qualcomm musste ihren halben Jahresgewinn als Sicherheitsleistung für unbestimmte Zeit hinterlegen, um ihr Recht durchzusetzen. In Zukunft könnten Privatpersonen ihr Recht gegen riesige Superkonzerne vielleicht gar nicht mehr durchsetzen, wenn Urteile an Sicherheitsleistungen gekoppelt werden, die jenseits aller möglichen Versicherungen und Geldanlagen von Normalverbrauchern liegen. Wer Recht hat, hat Recht. Egal ob er arm oder reich ist.