Debakel bei der Europawahl, Rücktritt der Parteivorsitzenden Andrea Nahles. Die SPD steckt in einer existenziellen Krise. Ein Gespräch mit dem Dortmunder Landtagsabgeordneten Volkan Baran, wie es mit der Arbeiterpartei weitergeht.
Herrr Baran, 15,8 Prozent bei der Europawahl, das ist das schlechteste Ergebnis bei einer deutschlandweiten Wahl seit 1877. In NRW lag die SPD unter 20 Prozent. Sind Sie froh, dass der Landtag erst in drei Jahren wieder gewählt wird?
Es geht ja nicht um mich. Es geht um die Kommunalwahlwahl 2021 und um die Bundestagswahl danach. Was nutzt es mir, wenn ich wieder reingewählt werde, aber keine starke Sozialdemokratie mehr in Dortmund oder im Land habe. Da bin ich eigentlich sehr solidarisch mit der Gesamtpartei. Es geht nicht um einzelne Personen. Wenn meine Meinung und meine Haltung dazu führen, dass ich in drei Jahren nicht mehr gewählt werde, dann ist das so.
Aber was macht die SPD denn falsch?
Die Inhalte die wir bis jetzt diskutiert und durchgesetzt haben, haben eigentlich die richtigen Impulse gesetzt. Drei Große Koalitionen in 16 Jahren haben dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr wissen, wofür die SPD oder die CDU stehen. Das ist nicht sehr demokratiefördernd.
Wir waren diejenigen, die in der Regierungsverantwortung mit der CDU die Homo-Ehe durchgesetzt haben. Merkel hat jedes Mal kommuniziert, dass sie dagegen ist, aber die Abstimmung freigegeben und interessanterweise dafür einen Friedenspreis bekommen. Ähnliches gilt für den Mindestlohn. Beides Sachen, die die SPD innerhalb der GroKo durchgesetzt hat, aber sich damit nicht profilieren konnte.
Bei der Europawahl haben nur noch acht Prozent der unter 24-Jährigen SPD gewählt. Wie hat die Partei die Jugend verloren?
Wir haben die Jugendsprache verloren. Unsere Parteiprogramme sind 360 Seiten lang. Es gibt eine gekürzte Version mit 120 Seiten und eine ganz gekürzte Version von 30 Seiten. Da hat doch keiner Bock, das zu lesen. Was wir uns auch vorzuwerfen haben, ist das ganz, ganz wenige mit den jungen Menschen gesprochen haben. Man hat sie nicht ernstgenommen und wahrgenommen. Das kann ich für Dortmund zwar nicht gelten lassen, aber auf Parteiebene nehme ich diesen Vorwurf gern auf.
Welche Rolle spielt dabei die Klimapolitik – hat die SPD den Grünen das Feld überlassen?
Den Grünen das Feld überlassen, das teile ich teilweise. Thematisch können wir aber zumindest in NRW den Grünen noch vormachen, wie es läuft.
Allein, wenn wir es auf Dortmund runterbrechen. Vier, fünf Wochen vor der Wahl haben wir die emissionsfreie Innenstadt beschlossen. Dortmund ist die grünste Stadt in NRW. Dortmund ist die nachhaltigste Stadt in der Bundesrepublik, was zum Beispiele seine Einkäufe angeht. Aber diese Sachen, die haben in der medialen Wahrnehmung gar keine Rolle gespielt. Wir sehen ja auch in den Wahlergebnissen, in den Stadtteilen, welches Klientel grün wählt. Wenn man die dickste Karre fährt und dann die Luft verpestet und dann sagt, ich möchte jetzt mein Gewissen erleichtern und deshalb grün wählt, das ist für mich nicht mehr ganz nachvollziehbar.
Wie können Sie die junge Generation wieder erreichen?
Kommunikation. Wir müssen ihre Kanäle nutzen, das Staatstragende von früher ist nicht mehr hipp. Wir müssen schauen, was sind die Themen, die die Leute bewegen und wie können wir die Themen so aufbereiten, dass sie es verstehen. Es geht darum, in einen Dialog mit ihnen zu kommen, um die großen Gegebenheiten auf Tatsachen herunterzubrechen. Ich glaube, da wäre jedem geholfen. Dann hätten wir auch weniger Schwierigkeiten, Extremisten aus den Parlamenten herauszuhalten.
Was muss die SPD jetzt ändern?
Wir haben das Problem, dass wir keine Sympathieträger mehr in der Partei haben. Von daher ist es ganz gut, dass wir nach so einer bitteren und enttäuschenden Niederlage tatsächlich auch anfangen, die Partei neu aufzustellen. Es geht hauptsächlich darum, Inhalte zu definieren. Wir müssen auf die Themen Soziales, Arbeit, Digitalisierung und Bildung schauen und dann, welche Person die verkörpern können. Erst Personen zu benennen und dann zu schauen, ob die mit den Themen kompatibel sind, das geht nicht.
Aber laut einer aktuellen Umfrage sehen nur noch 29 Prozent der Bevölkerung die SPD in sozialen Fragen als kompetent an. Woran liegt das?
An den Personen. Wenn man die Wahlprogramme anschaut und auch was wir alles durchgesetzt haben, sind viele Antworten auf die Fragen der Zukunft da. Nur man hat uns das nicht abgenommen, wir konnten es nicht kommunizieren. Man hat die Personen nicht mit den Themen verbinden können. Viel schlimmer ist aber, dass nur zwei Prozent uns eine Zukunftsvision zutrauen, das ist ein viel größeres Problem. Da müssen wir unsere Hausaufgaben machen, da müssen wir Leute nach vorne bringen, die sowohl persönliche Sympathiewerte haben, aber auch die Themen kommunizieren können.
Mit 15 Prozent nenne ich mich nicht Volkspartei
Volkan Baran
Sehen Sie irgendeinen Kandidaten als Parteichef, der die Wende schaffen kann?
Nein, ich sehe keinen. Es gibt zwei, die will ich nicht haben. Olaf Scholz und Ralf Stegner, die würden der Partei nicht guttun.
Es ist ein guter Anfang gemacht mit dem Rücktritt von Andrea Nahles. Ich sehe aber nicht die Eile, das unbedingt bis September oder Oktober zu besetzen. Wir haben drei kommissarische Vorsitzende, die das gut machen können. Jetzt geht es tatsächlich darum, das Profil nach vorn zu bringen und Themen und Projekte zu benennen.
Aber hat die SPD denn überhaupt noch eine Identität?
Als die SPD während der Industrialisierung gegründet wurde, ging es darum, den Menschen nicht mehr nur als produzierenden Werksgegenstand zu sehen. Und das ist in der jetzigen Zeit, in der Digitalisierung, unabdingbar. Die einzige Partei, die ein Augenmerk darauf hat, ist die SPD. Nehmen wir das Beispiel das Smartphone. Normalerweise haben wir die 35 bis 40 Stundenwoche, aber wenn der Chef um 18 Uhr noch eine E-Mail schreibt, dann hat jeder noch das Bedürfnis um 19.30 zu antworten, weil am nächsten Tag muss die E-Mail beim Chef sein. Das ist nicht richtig. Erst mal fehlt die Erholung und in der Arbeitszeit wird das gut bezahlt.
Zum Abschluss: Wie wird es für die SPD weitergehen?
Ich bin überzeugt, wenn wir die richtigen Themen besetzen, wenn wir die richtigen Personen hochhieven, dass die Sozialdemokratie in Deutschland und Europa immer nach eine Existenzberechtigung hat. In mancher Hinsicht sogar mehr als früher – gerade was den gesellschaftlichen Zusammenhang, das Stehen gegen Rechts und Sozialreformen angeht. Ich bin einer der glaubt, nach jedem tiefen Fall gibt es wieder einen Aufstieg. Das kann dauern, aber ich glaube, dass wir mittelfristig durchaus wieder zu Kraft kommen können und dieses Land dann auch irgendwann wieder regieren können.
Beitragsbild: SPD Schleswig Holstein lizenziert nach Creative Commons
Portrait Volkan Baran: Foto-AG Melle lizenziert nach Creative Commons