Kritik an Spahns Plänen zur Gesundheitsdaten-Forschung. Worum geht es?

Behandlungsart, Alter, Geschlecht und Wohnort – diese sensiblen Daten könnten künftig ohne vorherige Zustimmung der 73 Millionen gesetzlich Versicherten für Forschungszwecke gesammelt und genutzt werden. Kritik gibt es dafür von den Grünen und Patientenschützern. Doch worum geht es genau?

Die Weitergabe von Patientendaten ist Teil des Digitalen-Versorgungs-Gesetzes von Gesundheitsminister Jens Spahn. Dieses soll am Donnerstag verabschiedet werden. Darin ist vorgesehen, dass die gesetzlichen Krankenkassen persönliche Daten sowie sämtliche Behandlungsdaten aller Versicherten an den Spitzenverband der Kassen weiterleiten müssten. Die Daten sollen in einem erweiterten Forschungsdatenzentrum, das beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelt ist, verwaltet und pseudonymisiert der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Das heißt im Gegensatz zu einer vollständigen Anonymisierung könnten persönliche Daten dennoch im Nachhinein zugeordnet werden, befürchten die Kritiker.

Keine Widerspruchsmöglichkeiten

Maria Klein-Schmeink, Gesundheitsexpertin der Grünen, hält es für „hoch bedenklich, dass Spahn im Schweinsgalopp, praktisch ohne gesellschaftliche Diskussion, die kompletten Gesundheitsdaten der gesetzlich Versicherten für die Forschung zugänglich machen möchte.” Das “Redaktionsnetzwerk Deutschland” (RND) berichtet, dass durch das Gesetz die umfangreichsten Datensammlungen in der Bundesrepublik entstünde. Eine Möglichkeit für die Versicherten, der Weitergabe dieser hochsensiblen Daten zu widersprechen, sieht der Entwurf nicht vor. Löschfristen und Widerspruchsmöglichkeiten sollen erst in einer Verordnung folgen, so Maria Klein-Schmeink. Auch für Hundertausende gesetzlich versicherte Studierende würde das bedeuten, dass ihre Daten weitergegeben werden. Diese können laut Gesetzentwurf von Behörden, Forschungseinrichtungen oder Universitätskliniken genutzt werden. Eine Weitergabe an die Industrie wird nicht genannt, aber auch nicht explizit ausgeschlossen.

Was sagen die Studierenden?

Die Studierenden, die wir auf dem Campus gefragt haben, stehen dem Gesetzesentwurf erstmal recht offen gegenüber. „Solange alles anonym ist, habe ich damit kein Problem”, meint Lehramtsstudentin Caty. Ein komisches Gefühl sei es allerdings schon. Das meint auch Marek, Psychologie- und Englischstudent, aber grundsätzlich ist er bei dem Thema Datenschutz wenig skeptisch : „Ich bin kein Schwerverbrecher oder so.” WhatsApp und Co. hätten sowieso schon alle seine Daten. Auf einem Foto mit seinem Namen in diesem Artikel erscheinen – das wollte er hingegen nicht. „Vielleicht muss ich da doch noch mal drüber nachdenken.” Für Alex, Student des Wirtschaftsingenieurwesens, ist die Sache ein „zweischneidiges Schwert”. Einerseits ist es schon ein potenziell großer Eingriff – trotz Zusicherung der Anonymität, aber anderseits würde es schon Sinn machen, die Daten für die Medizin zu nutzen.

Gesundheitsversorgung innovativer denken

Hinter dem Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Spahn steht die Idee, die Gesundheitsversorgung „innovativer” zu denken, um in einer alternden Gesellschaft, mit einer steigenden Zahl chronisch Kranker, bessere Möglichkeiten der Vorsorge zu schaffen. Die bisherigen Strukturen seien „nur eingeschränkt adaptiv und agil”. Die Herausforderung bestehe darin, die Gesundheitsdaten für Versorgung, Forschung und Planung im Interesse der Allgemeinheit nutzbar zu machen und gleichzeitig den Identitätsschutz des Einzelnen aufrecht zu halten. Mit dem neuen Verfahren solle sichergestellt werden, dass Daten vor allem schneller und in besserer Qualität – und nicht um Jahre zeitverzögert – für die Forschung zugänglich werden, so ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, bestreitet nicht, dass die Erhebung von Zahlen und Fakten für Medizin und Pflege in Deutschland notwendig ist. Er sieht die Zuständigkeit allerdings beim Statistischen Bundesamt. So sei gewährleistet, dass beim Sammeln von Informationen „höchste Datenschutzstandards” eingehalten werden. „Wenn der Bundesgesundheitsminister das durchlöchern will, braucht es das Einverständnis der Betroffenen. Doch der Datenschutz für Patienten spielt bei Jens Spahn eher eine untergeordnete Rolle”, sagt Brysch. Schon das Konzept zur Einführung der elektronischen Patientenakte sei dafür ein „erschreckendes Beispiel”.

“Wir nehmen Datenschutz und -sicherheit immer sehr ernst”

Das Bundesgesundheitsministerium weist die Vorwürfe zurück. „Wir nehmen Datenschutz und -sicherheit immer sehr ernst. Gesundheitsdaten sind die sensibelsten Daten, die es gibt”, sagte Ministeriumssprecher Hanno Kautz am Samstag. Außerdem würden Abrechnungsdaten bereits heute für die Forschung in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt. Dabei hätte es nie ein Problem mit Datenschutz und Datensicherheit gegeben. Der Datenschutz genieße „wie bisher höchste Priorität”.

Zuletzt zeigten Recherchen von Bayrischem Rundfunk und der US-Investigativplattform ProPublica, dass millionenfach Patientendaten frei im Internet abrufbar waren. Darunter auch mindestens 13.000 Datensätze aus Deutschland, die teilweise Bilder von MRT-, Röntgen- und CT-Untersuchungen enthielten. Die Daten waren auf Servern ohne Passwortschutz abgelegt worden. Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebunds, erinnert im Deutschlandfunk daran, „dass es noch sehr viele Krankenhäuser und Praxen gibt, die noch per Faxverkehr miteinander kommunizieren. Das ist einfach die gelebte Realität.” Spahn möchte mit seinem Gesetzt verhindern, dass „am Ende Apple Health dafür sorgt, dass ein Bedürfnis von Patienten beantwortet” wird und diese Daten stattdessen in Deutschland organisieren.

Bundesrat zeigt sich kritisch

Der Bundesrat hat bereits eine kritische Stellungnahme zu Spahns Gesetzentwurf abgegeben. Die Länderkammer zweifelt, ob der geforderte Datenschutz tatsächlich eingehalten wird: „Es fehlt an einer klaren Regelung zur Abwägung des angestrebten Nutzens mit dem Reidentifikationsrisiko und dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen”. Heißt: Am Ende könnte die Gefahr bestehen, dass Betroffene doch identifizierbar sind. Das müsse genauso geprüft werden wie die Möglichkeit, dass „die Daten nicht nur für Forschung im engeren Sinne, sondern zum Beispiel auch zur Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung oder zur Wahrnehmung von Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung genutzt werden” könnten. So sieht das Gesetz auch vor, dass Krankenkassen in Zukunft Marktforschung mit den Daten der Patienten betreiben dürfe und diese mit „Medizinprodukteherstellern, Start-Ups und Unternehmen aus dem Bereich der Informationstechnologie” teilen könnten. Ob es allerdings tatsächlich dazu kommt, entscheidet sich am Donnerstag, wenn das Gesetz dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird.

Beitragsbild: Miguel Kaluza, KURT-Autor.

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