Du hast ein gutes Abitur, also gehst du auch studieren.
Diesen Satz hörte Dinendra sehr oft nach der Schulzeit. Die 21-jährige Bochumerin hat ihr Abitur mit der Durchschnittsnote 1,6 bestanden. Ihr Wunsch war es schon immer, eine Ausbildung zu machen, sagt sie. Trotzdem fing sie an, Biologie zu studieren. Ihre Mutter habe ihr das Gefühl vermittelt, wenn sie nicht studiere, vergebe sie ihre Chance und ihren Intellekt. Ihr zu Liebe probierte sie das Studium aus, brach aber schon nach wenigen Wochen ab. Sowohl das Fach, als auch das System der Universität gefielen ihr nicht.
Wie Dinendra geht es vielen Studierenden in Deutschland. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung bricht jeder Dritte sein Bachelor-Studium in Deutschland ab. Das liege auch daran, dass viele Abiturientinnen und Abiturienten auf die Zeit nach der Schule gar nicht vorbereitet seien, sagt Andreas Buckert, Vorsitzender des Vereins „Berufswahlpass“ und ehemaliger Ausbildungsleiter von BP. „Sie werden von ihrem Abiturzeugnis überrascht und müssen sich dann die Frage stellen, wie sie jetzt weiter machen können.“
Studium: Anspruch an sich selbst
Auch Mathis aus Sprockhövel wollte ursprünglich gar nicht studieren. Er bewarb sich zunächst um eine Ausbildung, wurde jedoch nicht angenommen. Schon in der Schulzeit wusste er, dass er nicht so viel lernen kann, wie es im Studium von ihm erwartet wird. Als seine Bewerbung um die Ausbildung abgelehnt wurde, entschied sich Mathis trotzdem für die Universität. Vier Semester lang studierte er Verkehrsingenieurwesen in Braunschweig.
Die Eltern von Robin rieten ihm, zunächst lieber eine Ausbildung zu machen. Aber er wollte studieren. „Für mich stand eine Ausbildung nie zur Debatte“, sagt er. „Ich habe schließlich mein Abitur gemacht, um zu studieren.“ Also schrieb er sich für Lehramt für Latein und Philosophie in Bochum ein.
Abitur heißt oft Universität
„Es ist das Selbstverständnis der Gymnasien, ihre Schüler zur Universität zu führen“, sagt Buckert. Wer auf dem Gymnasium das Abitur anstrebe, habe in der Regel vor, zu studieren. „Alles andere riecht aus Sicht der Betroffenen eher nach einem Verkauf unter eigenem Wert.“
Diese Einstellung beobachtet Buckert auch in der Gesellschaft. „Der Trend: höher, besser, schöner, weiter – der ist flächendeckend vorhanden.“ Die allerwenigsten Schülerinnen und Schüler machten nach dem Abitur eine Ausbildung. Die Fächer, in denen sie gute Noten geschrieben haben, studieren sie oft auch. Meist, ohne zu wissen, was auf sie zukommt.
Thematisch überrascht – fachlich überfordert
Das war auch bei Dinendra so: „Biologie erschien mir das Plausibelste, was ich hätte machen können“, sagt sie. In Biologie hatte sie gute Schulnoten, also schrieb sie sich dafür ein. Thematisch überraschte sie der Studiengang sehr. „Ich hätte mich da vorher genauer informieren können. Da war ich selbst dumm“, sagt die 21-Jährige heute. Auch die Anonymität an der Uni war ein Faktor, der sie dazu brachte, sich anders zu entscheiden.Hauptsächlich fehlte ihr die praktische Anwendung. Sie brach ihr Studium schon vor der ersten Klausurphase ab.
- 1.Wie hast du dich bei dieser Entscheidung gefühlt?0:15
Vielen fehlt der Praxisbezug
Einen anderen thematischen Schwerpunkt hatte auch Mathis erwartet, als er sein Ingenieurs-Studium anfing. „Mathe hat mir das Genick gebrochen“, sagt er. Sobald die Klausurphase näher rückte, habe sich Mathis immer wieder panisch und gestresst gefühlt. In vier Semestern bestand er nur zwei Klausuren. Nach einer schlaflosen Nacht wusste Mathis, dass er nicht weiter studieren wollte. Zwischenzeitlich hatte er das Gefühl, gescheitert zu sein.
Als ich gesagt habe, hier ist Ende, ging es mir echt besser. Eine Woche später hat es sich wie Urlaub angefühlt.
Anonymität im Studium ist zu groß
In der Schule gebe es zu wenige Möglichkeiten, um sich beruflich auszuprobieren, findet Robin. Sein zweiwöchiges Schülerpraktikum machte er damals im Bereich Jura. Das war nichts für ihn. Also fing er sein Lehramt-Studium an – der einzige Beruf, der ihm in der Schulzeit präsentiert worden sei. Drei Semester studierte er, bis er einsah, dass es nicht passte. Er brach ab.
Robin überlegte erst, eine Ausbildung zu machen, entschied sich aber für einen zweiten Anlauf an der Universität. Diesmal das Fach Management und Economics. „Inhaltlich ist das definitiv etwas für mich“, sagt er. Aber die Größe des Studiengangs störte ihn – bei Management und Economics sind es zum Start über 1000 Studierende. Vier Semester später entschied er sich erneut dagegen. Sein Umfeld zeigte Verständnis: Seine Eltern machten ihm keinen Druck. In seinem Freundeskreis hatten viele selbst ihr Studium abgebrochen und konnten die Situation nachvollziehen.
Nicht ohne Plan B dastehen
Berufswahlpass-Vorsitzender Buckert ermutigt dazu, das Studium abzubrechen, wenn es die falsche Entscheidung war. Bevor Studierende diese Entscheidung treffen, sollten sie sich einige Fragen stellen, um ihr Verhalten zu reflektieren.
Außerdem sollten sie sich vor dem Abbruch Gedanken über einen Plan B machen. So bestünde die Möglichkeit, eine betriebliche oder schulische Ausbildung zu machen, ein duales Studium anzufangen oder an einer privaten Hochschule zu studieren. Auch die Gründung eines Start-ups ist möglich, aber risikoreich.
Weder Dinendra noch Mathis oder Robin hatten einen Plan B
Was danach kommt, war mir erst mal völlig egal. Ich wusste nicht, was ich sonst noch kann. Für eine Weile war ich komplett verloren.
Sagt Dinendra. Bis sie ihren jetzigen Ausbildungsplatz im Einzelhandel beim Sanitätshaus gefunden hatte, schrieb sie über 60 Bewerbungen. Fast überall erhielt sie die Einladung zum persönlichen Gespräch. Immer wieder kam die gleiche Frage: „Sie haben ein 1,6-Abitur, warum gehen Sie nicht an die Uni?“ Mit ihrem Schnitt könne sie fast jeden Studiengang belegen, hieß es in den Gesprächen. Dinendra gibt immer wieder die gleiche Antwort: „Die Uni ist mir zu theoretisch, ich brauche Praxisbezug.“ Oft sei das Gespräch danach beendet gewesen, warum, weiß sie bis heute nicht.
Studienabbruch offen ansprechen
Mathis‘ Oma brachte ihn auf die Idee, die Ausbildung als Land- und Baumaschinenmechatroniker zu machen. Fünf Tage nach der Entscheidung, das Studium abzubrechen, schickte er seine Bewerbung ab. Einen Tag später fuhr er zum Vorstellungsgespräch und durfte mit einer dreiwöchigen Probearbeit beginnen. Sein Studienabbruch war bei der Ausbildungsstelle erst Thema, als es um den Vertrag ging. „Die Frage war aber nicht, warum ich mit dem Studium aufgehört habe, sondern warum ich überhaupt damit angefangen habe“, sagt Mathis schmunzelnd.
Robin wusste zunächst nicht, ob er eine Ausbildung oder ein duales Studium beginnen sollte. Er bewarb sich bei Banken und der Stadt. Da er sich fachlich in die gleiche Richtung orientierte wie im Studium, sprach er offen darüber, dass ihm der Praxisbezug gefehlt und ihn die Gruppengröße gestört habe.
Verantwortungsbewusste Erklärung finden
Das sei genau richtig, sagt Experte Andreas Buckert. Studienabbrecherinnen und Studienabbrecher müssten ihre Begründung für die berufliche Umorientierung plausibel darlegen. Generell gilt: „Je offensiver ich meinen Studienabbruch verkaufe, desto größer werden meine Chancen im Bewerbungsgespräch.“
- 1.Wie begründe ich meinen Studienabbruch am besten in einem Bewerbungsgespräch?0:41
Studierende, die nach wenigen Semestern abbrechen, haben es laut Buckert leichter, ihren Wechsel zu erklären. Wer sich erst nach ein paar Jahren anders entscheidet, sollte seine Begründung genauer durchdenken. Es sei eine schlechte Idee, offenzulegen, dass man jetzt erst bemerkt habe, das Studium sei nicht das Richtige. In solchen Fällen sei es sinnvoll, eine Begründung zu suchen, die mehr Verantwortlichkeit für sich selbst herausklingen lässt. „Etwa: Ich wollte nicht aufgeben und mir selbst nicht eingestehen, dass diese Hürde zu groß ist.“
Neustart: Ausbildung
Ich war so verzweifelt, ich hätte alles gemacht. Nur weil ich eine Ausbildung mache, bin ich ja nicht weniger wert”, sagt Dinendra. Die Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau sei ihr letzter Ausweg gewesen. Sie rechnete damals gar nicht mehr damit, überhaupt eine Antwort auf die Bewerbung zu bekommen.
- 1.Wie hat sich die Zusage der Ausbildungsstelle angefühlt?0:11
Auch Mathis fühlt sich wohl bei dem, was er heute tut: „Ich mache hier auch mal freiwillig Überstunden.“ Und Robin weiß, dass seine Ausbildungsstelle bei der Sparkasse die richtige für ihn ist.
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Bilder im Text: Bild 1,3-5: Simon Jost. Bild 2: Rupert Warren