Fleisch gehört einfach auf den klassischen Mittagstisch? In der Vergangenheit beeinflussen vor allem Veggie- und Biotrends den Fleischmarkt. Gleichzeitig wird die Nachwuchssuche für Metzgereien immer schwieriger.
Mindestens 20 Schweine hängen kopfüber von der Decke, als Theresa Kampmann die große Tür zur Kühlung öffnet. Als würden sie nur darauf warten, abgeholt zu werden. Der unangenehme Geruch aus dem Raum steigt einem erst Sekunden später in die Nase: Muffig und nach Reinigungsmittel.
Über die Schienen an der Decke zieht sie eins der Schweine zu sich und dann Richtung Tisch. Hier zerlegt sie das Tier in seine Einzelteile. Vieles erinnert an einen OP-Saal: die weißen Fliesen an der Wand, der Tisch in der Mitte, Theresa in ihrer weißen Kleidung und das grelle Licht. Alltag für die 21-Jährige. Seit eineinhalb Jahren macht sie eine Ausbildung zur Metzgerin.
Metzgereien in der Nachwuchsnot
Die Zahl der Metzgereien in Dortmund hat sich in den vergangenen 15 Jahren halbiert. 2004 waren es noch 61, 2019 nur noch 29 Betriebe. Ihre Zukunft ist unbestimmt. Denn es fehlt an Nachwuchs. Gerade einmal vier Auszubildende haben laut Handwerkskammer Dortmund 2018 ihre Ausbildung als Metzger*in abgeschlossen. Zeitgleich änderte sich das Essverhalten der Deutschen nicht sonderlich.
Rund 60 Kilogramm Fleisch isst jede*r Deutsche im Jahr. Seit 2004 hat sich daran nichts geändert. So haben es das Statistische Bundesamt, das Thünen-Institut und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung herausgefunden. Eins hat sich verändert: Die Nachfrage nach Biofleisch steigt. Das berichtet ein Branchenreport der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft aus 2020. Wie soll das produziert werden, wenn niemand mehr Metzger*in werden will?
Frühes aufstehen und starke Arme
Theresa ist auf einem Hof in Dortmund-Mengede aufgewachsen. Sie wusste schon immer, wo das Fleisch herkommt, das sie isst. Das Tier, das gerade am Haken von der Decke hängt, scheint sie nicht als Lebewesen zu sehen und schubst es förmlich durch den Raum. Das Zerlegen der Knochen fällt ihr nicht schwer. Denn bis vor kurzem hat sie noch Leistungssport betrieben – Rudern. Auch das frühe Aufstehen macht ihr nichts aus. Zwischen fünf und sechs Uhr ist für Theresa Schichtbeginn.
Nach dem Abitur fing die heute 21-Jährige 2018 ihre Ausbildung an. Jetzt arbeitet sie auf dem Hof von Biofleisch NRW. Der Hof möchte für qualitativ hochwertiges Fleisch stehen. Für Theresa gehören dazu vor allem gute Haltung und Aufzucht mit viel Platz,
regelmäßiger Fütterung und Stroh. Und die Schlachtung oder Tötung, wie sie es ausdrückt, muss unter richtiger Betäubung geschehen.
Kurze Transportwege sind wichtig
Bei Biofleisch NRW wissen die Mitarbeiter*innen immer, woher das Tier kommt, das sie gerade verarbeiten – von rund 200 Landwirt*innen, die den Hof beliefern. Bis zum Schlachter in Unna dürfen die Tiere nicht länger als 200 Kilometer unterwegs sein. Von da aus sind es noch 20 Minuten bis zu Biofleisch NRW. Der Metzgereibetrieb wird regelmäßig auf bestimmte Richtlinien kontrolliert. Schließlich wird das fertige Fleisch wird an lokale Metzgereien oder an eine Biomarktkette verkauft.
Das Gelände von Biofleisch NRW sieht aus wie ein alter Bauernhof: Fachwerkhäuser, Holzställe und Hütten. Dazwischen ein modernes Gebäude. Von außen ist es weiß und passt nicht zum restlichen Charme des Hofs. Das ist Theresas Arbeitsplatz.
Schichtarbeit: Manchmal auch nachts
Zu ihren alltäglichen Aufgaben gehört es vor allem, Tiere zu zerlegen und Wurst zu produzieren. Erst zum Ende ihrer Ausbildung durfte sie das erste Mal selbst kuttern – also das Fleisch, das vorher zerkleinert und zu einer Masse verarbeitet wurde, in einen Darm pressen und zu einer Wurst formen.
Am Ende ergibt sich eine lange Wurstkette. Die wird auf einem Wagen aufgehängt, der aussieht wie eine Kleiderstange, und zum Brühen in eine Art Ofen gerollt. Die Metzger*innen bei Biofleisch NRW arbeiten in Schichten, um der Nachfrage gerecht zu werden – vor Weihnachten sogar auch nachts.
Die Ausbildung hier wird hoch gelobt. Vor allem deswegen hatte sich Theresa auch für den Betrieb von Biofleisch NRW entschieden. Trotzdem: In dem Betrieb gab es zwei Jahre lang keine Auszubildenden mehr, sagt Theresa. Sie selbst hat damals mit vier Azubis angefangen. Davon schließen alle ihre Ausbildung in diesem Jahr ab. In der Berufsschule in Dortmund, wo alle Auszubildenden zusammen kommen, hat Theresas Jahrgang gerade einmal einen Klassenraum gefüllt.
Die Kund*innen sollen auf Qualität achten, statt im Supermarkt nach der Wurst für 30 Cent zu suchen!
Theresa sieht die Chancen des Berufs zwar vor allem auf dem Bio-Markt, aber auch bei den Vegetarier*innen. In den eineinhalb Jahren ihrer Ausbildung hat sie auch vegetarische Wurst hergestellt – erstmal zur Probe. Sie glaubt, dass das in nächster Zeit mehr wird. Gerade kleinere Betriebe müssten diesen Weg einschlagen, sagt sie.
In so einem “kleineren Betrieb” arbeitet Dennis Dobat. Er ist Metzgergeselle. Die Fleischerei Bachstein in Berghofen, in der er arbeitet, besteht schon seit 63 Jahren. 500 Läden besaß die Fleischerei allein in Dortmund. Heute sind es gerade noch 23. Was hier in der Fleischtheke liegt, hat Dennis produziert. Der 35-Jährige lebt für seinen Beruf, das merkt man sofort, wenn er von seiner Arbeit erzählt.
Fast jedes Tier landet auf seinem Tisch
Er kommt gerne besonders früh – um 20 vor fünf – um sich auf seinen Tag vorzubereiten. Denn die Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Fleisch vom Metzger sei mehr geworden, sagt Dennis. “Meistens zerlege ich Schweine – aber auch Lamm, Kalb, Rind. Manchmal sogar Wild.”, erzählt er.
Das Fleisch, das hier verarbeitet wird, stammt auch in dem Familien Betrieb von Tieren, die mit viel Auslauf und vernünftigen Futter aufgewachsen sind – genauso wie in Theresas Betrieb. Auch hier müssen Richtlinien bei der Aufzucht eingehalten werden: Haltung auf Stroh, Tageslicht im Stall oder regionales Futter für die Tiere.
Die Produktion ist Dennis‘ Arbeitsplatz. Ein einziger Raum, der gar nicht so groß ist, wie man ihn sich vielleicht vorstellt. Im hinteren des Metzgereibetriebs. Dennis’ Werkzeug hängt hier an der Wand. Eine Reihe Messer: Die kleinen benutzt er, um die Knochen vom Fleisch abzutrennen, und die großen zum Zerlegen.
Ein Beruf auf den man stolz sein kann
“Es gehört viel Wille zu dem Beruf. Man sollte auch damit klarkommen, oft länger zu bleiben, obwohl man schon früh anfängt.” Genau diesen Willen erwartet er auch vom Nachwuchs in der Branche. „Wir haben ein paar Praktikanten. Aber da merkt man oft, dass das Interesse fehlt. Die haben kein Bock darauf.“, sagt er.
Besonders seine Kinder sind stolz auf den Beruf: „Die erzählen gerne, dass Papa die Wurst selber macht.“ Das motiviert Dennis. Doch durch die steigende Nachfrage an Biofleisch und die zugleich geringe Anzahl an Metzger*innen, mussten Kund*innen – gerade zu Weihnachten – auch schon ohne Fleisch nach Hause gehen. „Wir sind schließlich auch nur Menschen“, begründet er.
Handwerk hat einen hohen Stellenwert
Die Fleischerei Bachstein, besitzt nur eine Maschine. Ein alter Kolbenfüller, der bei der Wurstproduktion hilft. Alles andere wird von Hand gemacht. Dabei können auch Fehler passieren. Löcher in der Wurst zum Beispiel. Aber genau das, mache richtiges Handwerk aus und ist für Dennis ein Zeichen von Qualität.
Vegetarische Produkte wird es beim Metzger nicht geben.
Trotzdem macht er sich Gedanken um die Zukunft der Branche: „Der Grundgedanke vieler Menschen wird sich nicht wandeln.“ Denn obwohl die Nachfrage nach Biofleisch gestiegen ist, vermutet er, dass viele ihr Fleisch weiterhin beim Discounter kaufen. Hier ist es billiger – das liege häufig auch an der geringen Qualität. Ändert sich dieser Gedanke nicht, dann wird das Handwerk aussterben, da ist sich Dennis sicher.
Im regulären Betrieb auf vegetarische Produkte umzusteigen, um in Zukunft auf mehr Kund*innen zu hoffen, kann er sich definitiv nicht vorstellen. Ohnehin hat er bereits schlechte Erfahrungen in seinem Alltag mit der Meinung von Veganer*innen und Vegetarier*innen gemacht. Und auch in Zukunft wird genug Fleisch gegessen. Wenn auch weniger, da ist er sich sicher.
Bildquelle: Magnus Terhorst
Sie schubst das am Haken hängende Tier bei Seite, als wäre es kein Lebewesen.
Ja, ist es ja auch nicht mehr. Was tot ist, muss doch nicht mehr hofiert werden. Oder? Wie kann sie nur.