Gute Noten mit möglichst wenig Aufwand: Das ist wohl das Ziel der meisten Studierenden. Professor Detlev Leutner erklärt, warum Wiederholungen so wichtig sind und wie Stress in der Prüfungsphase verhindert werden kann. Es kommt auf die Vorbereitung an.
Prof. Dr. Dr. h.c. Detlev Leutner ist Diplom Psychologe. Er lehrt und forscht am Lehrstuhl für Lehr- und Lernpsychologie an der Universität Duisburg-Essen. Im Kurt-Interview gibt er wichtige Tipps zum Thema “Lernen”.
Angenommen ich schreibe in einer Woche eine Klausur, habe bislang aber noch kein einziges Buch aufgeschlagen. Wie kann ich jetzt noch die Prüfungen bestehen?
Leutner: ,,Wichtig ist, dass Sie sich trotz Zeitmangels zuerst einen Überblick über den Lernstoff verschaffen und einen Lernplan erstellen. In diesem sollten die Ziele pro Lernphase eingetragen sein. Auch beim Last-Minute-Lernen sollten Sie genügend Erholungsphasen einplanen. Beim Lernen selbst können Sie Schnelllerntechniken anwenden. Zum Beispiel ist das Schreiben von Spickzetteln eine wirksame Lernstrategie, weil Sie entscheiden müssen, was besonders wichtig ist, und Sie das dann in eigenen Worten aufschreiben. Sie dürfen den Spickzettel in der Prüfung natürlich nicht benutzen. Aber allein das Schreiben des Zettels sorgt in der Regel dafür, dass Sie den Inhalt bis zur Prüfung beherrschen.”
Was ist Ihr wichtigster Lerntipp?
L: ,,Das Wichtigste beim Lernen ist das Verknüpfen von Wissen und das Wiederholen. Trotz der kurzen Zeit bis zur Prüfung sollten Sie den Stoff auf jeden Fall mehrfach wiederholen. Sicher kennen Sie folgende Situation: Sie sitzen in einer Prüfung und sind sich sicher, dass Sie die Antwort auf eine Frage eigentlich kennen oder irgendwo gelesen haben. In diesem Moment können Sie in Ihrem Gedächtnis aber nicht auf die Information zugreifen. Das ist ärgerlich. Durch das Wiederholen üben Sie, auf das Wissen zuzugreifen.”
Also lese ich mir den Lernstoff einfach mehrmals durch?
L: ,,Wiederholen bedeutet nicht, dass Sie immer wieder dasselbe durchlesen sollten. Im Gegenteil, es bringt viel mehr, wenn Sie zusätzliche Verknüpfungen in Ihrem Gedächtnis schaffen, um leichter auf das Wissen zugreifen zu können. Zum Beispiel, indem Sie an bereits vorhandenes Wissen anknüpfen oder Beziehungen zwischen den einzelnen gelernten Inhalten herstellen. Sie können das Concept-Mapping anwenden oder Anwendungsaufgaben lösen, in denen Sie das Wissen einsetzen müssen. Oder Sie überlegen sich eigene Beispiele oder Gegenbeispiele und fassen das Wissen in eigenen Worten zusammen. Lernstoff sollte fünf- bis sechsmal wiederholt und aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Am besten mit zeitlichen Abständen. Dann können Sie sich einigermaßen sicher sein, dass Sie jederzeit darauf zugreifen können.”
Wie funktioniert das am besten, insbesondere wenn die Prüfung kurz vor der Tür steht?
L: ,,Den Lernstoff können Sie zum Beispiel gut beim Kochen oder beim Warten auf den Bus wiederholen, indem Sie versuchen, ihn in eigenen Worten zusammenzufassen. Wenn Ihnen dann Lernlücken auffallen, können Sie diese im Nachhinein nachschlagen. Eine andere effektive Möglichkeit ist es, den Lernstoff abends vor dem Schlafengehen zu wiederholen. Allerdings nur, wenn Sie anschließend ausreichend schlafen. Das Gehirn braucht Zeit, um die Lerninhalte zu verarbeiten.”
Eine beliebte Last-Minute-Lernmethode ist es, sich Zusammenfassungen von Kommiliton*innen zu besorgen. Die haben schon die wichtigsten Inhalte rausgesucht. Wie sinnvoll ist das?
L: ,,Sie können die Zusammenfassungen von anderen auswendig lernen. Zumindest ein oberflächliches Wissen können Sie dadurch erlangen, vorausgesetzt, dass Sie sich auf die Unterlagen der Kommiliton*innen verlassen können. Es kann funktionieren, ist aber eine riskante Methode. Also ist es vielleicht eine Möglichkeit, wenn Sie wirklich gar keine Zeit mehr haben. Sie sollten dann zumindest versuchen, diese Zusammenfassungen in eigenen Worten wiederzugeben und Ihr Wissen durch Übungsaufgaben testen. Allerdings zweifle ich daran, dass das am Ende ausreicht, um ein umfassendes Verständnis des Lernstoffs zu bekommen. Meist funktionieren Zusammenfassungen und Spickzettel dann am besten, wenn Sie sie selber gemacht haben. Dann können Sie davon ausgehen, dass Sie die Dinge verstanden haben. Selbst von den unwichtigen Dingen, die Sie nicht in die Zusammenfassung aufnehmen, bleibt Ihnen ein gewisses Hintergrundwissen.”
Was halten Sie generell vom Last-Minute-Lernen?
L: ,,Nicht viel. Wenn Sie Sachverhalte ohne Verständnis auswendig lernen wollen, funktioniert es noch am ehesten. Zumindest kann es reichen, um eine Prüfung zu bestehen. Aber Prüfungen aus höheren Semestern bauen oft auf dem Wissen der vorherigen Semester auf. Wenn dieses Grundlagenwissen last minute erlernt wurde, können Sie ein Semester später wahrscheinlich nicht mehr darauf zugreifen.”
Wie lässt sich Last-Minute-Lernen vermeiden, wenn ich während einer Prüfungsphase für mehrere Klausuren gleichzeitig lernen muss?
L: ,,Sie sollten sich von der ersten Vorlesung an mit dem Material beschäftigen. Ich rate dazu, jede Vorlesung innerhalb von einer Woche zu wiederholen, indem Sie die Inhalte nachbearbeiten. Das sollten Sie auch dann machen, wenn Sie in der Vorlesung alles verstanden haben. Es geht hierbei um die Verarbeitung des Wissens. Das führt dazu, dass zumindest gewisse Anteile ins Langzeitgedächtnis übertragen werden, die Sie hinterher in der Lernphase reaktivieren können.
Sie bringen damit die erste der fünf bis sechs nötigen Wiederholung hinter sich und können währenddessen bereits Lernunterlagen für die Prüfungsphase erstellen, indem Sie wichtige Stellen im Skript unterstreichen, Zusammenfassungen in eigenen Worten und Concept-Maps erstellen, mit denen Sie vor der Prüfung lernen können. Wenn Sie während der Vorlesungsphase dranbleiben, brauchen Sie in der akuten Prüfungsphase nicht mehr so viel Zeit, um sich den Lernstoff anzueignen. Natürlich sollten Sie Ihre Lernunterlagen noch einmal überarbeiten, da Sie gewisse Zusammenhänge erst verstehen, wenn Sie die gesamte Vorlesung gehört haben.”
Welche Lernmethode empfehlen Sie?
L: ,,Die beste Methode ist das generative, also auf Verstehen hin ausgerichtete Lernen. Zuerst müssen Sie Lerninhalte selegieren, also wichtige Dinge von unwichtigen unterscheiden, indem Sie beispielsweise Zusammenfassungen schreiben oder wichtige Stellen in den Vorlesungsfolien markieren. Anschließend sollten Sie das Wissen organisieren. Das kann zum Beispiel durch Concept-Mapping geschehen, Sie können aber auch bildliche Skizzen oder Tabellen erstellen. Wissen wird schließlich integriert, indem Sie es mit dem eigenen Vorwissen verknüpfen. Zum Schluss sollten Sie das Wissen zum Beispiel durch Übungsaufgaben und die Feynman-Technik testen. Ich empfehle außerdem immer, sich einen Lernplan zu erstellen.”
Beitragsbild: William Iven via Unsplash
Poträtbild: Detlev Leutner
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