Die Corona-Einschränkungen haben Sport über Online-Kurse in die eigene Wohnung gebracht. Die Video-Trainings von Fitnessstudios und Influencer*innen sind mehr als eine nette Geste. Für sie geht es um sehr viel Geld.
Liegestütze, Kniebeuge, Hampelmänner – Schwitzen im Schlafzimmer, zwischen Wäschekorb und Uni-Unterlagen, den Laptop auf dem Schreibtisch fest im Blick. Aus ihm tönt Kevin Pecniks Stimme. Er ist im Zoom-Meeting per Webcam aus seinem Wohnzimmer zugeschaltet. Als Trainer macht er die jeweiligen Übungen vor, korrigiert und motiviert die Teilnehmer*innen. „Los, auf geht’s! Bleibt dran! Noch zehn Sekunden, gut so!“.
Der 27-jährige Pecnik arbeitet im FFW, dem Fitnessstudio der TU Dortmund und macht gerade seinen Master auf Lehramt. Wegen des Coronavirus durfte er viele Wochen nur online per Videotelefonat Kurse geben. Doch das ist kein Hindernis für den Fitness-Freund.
“Jetzt müssen wir viel improvisieren”
Pecnik ist kein Muskelprotz. Er ist vielmehr ein schlanker Athlet, hat einige Jahre American Football gespielt. Seine Fitness sieht man nicht nur an seinen definierten Armmuskeln, wenn er Liegestütze mitmacht. Man hört sie auch, da er nach den Übungen kaum außer Atem ist. Normalerweise gibt Pecnik im FFW Zirkeltrainingskurse, mit Hanteln, Gewichten und Geräten. „Jetzt müssen wir viel improvisieren, trainieren zum Beispiel mit Wasserflaschen statt Hanteln. Es ist natürlich nicht optimal”.
Gerade am Anfang war es für ihn und die Teilnehmer*innen eine Umstellung, sagt Pecnik. Nach den ersten Einheiten sei das Feedback weitestgehend positiv geworden. Neben den Sportkursen auf Zoom gibt er jeden Donnerstag einen Instagram-Live-Kurs auf dem Kanal des Hochschulsports. Zwischen 40 und 80 Teilnehmende machen pro Session mit. Deshalb blieben die Onlinekurse auch nach der Wiederöffnung des Fitnessstudios Anfang Juni erst einmal bestehen.
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Online-Sport erlebt während der Corona-Einschränkung einen Boom. Viele Trainer*innen machen es wie Pecnik und der Hochschulsport der TU. Fitnessstudios hielten so die Kund*innen bei Laune, während sie schließen mussten. Ein großer Sportsender lädt jeden Morgen zum gemeinsamen Training vor dem Fernseher. Sport-Influencer*innen erreichen mit Videos zehntausende Klicks. Hinter dem Trend steckt ein Geschäft. Und sei es wie für Pecnik zumindest die Möglichkeit, weiter arbeiten zu können.
Aus Fonda und Crawford werden Reif und Thiel
Was Menschen wie Pecnik und sein Kurs über das Internet und Social Media machen, ist nicht neu. Mit Sportkursen auf dem Bildschirm sind schon unsere Eltern aufgewachsen. In den 1980ern waren Jane Fonda und Cindy Crawford das, was heute Sophia Thiel und Pamela Reif darstellen. Nur sind aus Mitmach-Sportkursen auf teuren Videokassetten jetzt kostenlose YouTube- und Social Media-Videos geworden. Wer „homeworkout“ in die YouTube-Suchleiste eingibt, wird von Influencer*innen zugeschüttet. Ganz oben in den Ergebnissen landen Videos von Sophia Thiel mit 3,9 Millionen Aufrufen und Pamela Reif mit 34 Millionen Aufrufen. Thiel, Reif und Co. heißen, anders als Fonda und Crawford, nicht mehr Aerobic-Stars, sondern Fitness-Influencer*innen. „Alles wird wieder modern“, hört man die Eltern sagen.
Es gibt tatsächlich Ähnlichkeiten zwischen den damaligen Trainingsstunden auf Videokassette und den YouTube-Workouts von Pamela Reif, meint Frank Daumann. Er ist Sportökonom an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. „Im Prinzip war Jane Fonda damals ein Superstar in den USA. Und das Fitnesstraining, mit ihr und ein paar Mittrainierenden im Hintergrund, im Fernsehen oder auf VHS-Kassetten eine absolute Innovation. Das Format von Pamela Reif und den anderen Fitness-Influencern ist ähnlich aufgebaut.“ Damals wie heute stehen durchtrainierte Menschen vor der Kamera und machen Übungen vor. Sie sind Vorbilder für ihre Kunden und Fans. Und ihr Ziel ist es, mit Hilfe der Trainingsprogramme zu den Traumfiguren ihrer Vorbilder zu kommen.
Was neu ist, ist die Art wie die Macher*innen Geld mit den Trainings verdienen. Videokassetten waren damals teuer und die einzige Einnahmequelle der Aerobic-Stars. Bei Influencer*innen ist das anders. „Das liegt an der sogenannten Plattform-Ökonomie“, erklärt Daumann. „Die Influencer verkaufen ihre jeweilige Plattform an eigene Werbepartner oder an Werbepartner von YouTube.“ Der von YouTube zertifizierte Blog „HitchOn“ gibt etwas Aufschluss über die Einnahmen als YouTuber. Demnach erhält ein Influencer pro tausend Videoaufrufe zwischen einem Euro und fünf Euro von der Videoplattform selbst, die dafür vor oder während der Videos Werbung schaltet. Folgt man diesen Zahlen, hat Pamela Reif mit ihrem meistgeklickten Video, mit 34 Millionen Aufrufen, bislang zwischen 34.000 Euro und 170.000 Euro verdient. Sie hat über 50 Videos von denen nur zwei weniger als eine Million Klicks haben. Die Top-3 haben allesamt mehr als 30 Millionen Aufrufe. Hinzu kommt eine weitere Einnahmequelle.
Pamela Reif nutzt YouTube auch, um ihren Instagram-Kanal zu bewerben. Dort postet sie täglich unzählige Stories mit Fitnesscontent und Workout-Plänen – und vielen Werbepartnern. Die bezahlen natürlich dafür, dass Reif die Produkte auf Englisch in einem Selfie-Video ihren Millionen Follower*innen präsentiert.
Der aktuelle Erfolg dieses Modells sei zusätzlich durch die Coronakrise bedingt, sagt Sportökonom Daumann. Damit meint er vor allem den rasanten Anstieg der Follower- und Abonnentenzahlen seit Schließung der Fitnessstudios am 17. März. Ende Mai hatte Reifs YouTube-Kanal 3,5 Millionen Abonnent*innen – Mitte März waren es noch 1,8 Millionen. Auf Instagram ist es ähnlich. Aus 4,6 Millionen Follower*innen Anfang April wurden bis Ende Mai 5,8 Millionen – Tendenz weiter steigend.
„Das Format dieser Influencer ist sehr zugänglich. Und gerade jetzt in der Coronakrise hatten die Menschen viel Zeit und kaum Möglichkeiten, um rauszukommen“, meint Daumann. Dass viele auf den Seiten der Influencer*innen landen, um neue sportliche Wege auszuprobieren, sei ein mögliches Resultat. Er rechnet aber damit, dass der Erfolg nach Corona langsam wieder etwas abnimmt. Doch obwohl nun wieder mehr Sport außerhalb der eigenen Wohnung möglich ist, würden viele bei neuen Angeboten bleiben. Influencer*innen werden also mit einem großen Plus auf dem YouTube-Channel, dem Insta-Account und vor allem dem Konto aus der Corona-Krise kommen.
Fitnessstudios wollten Mitglieder halten
Während Influencer*innen schon seit Jahren freiwillig auf digitale Sportangebote setzen, mussten sich Fitnessstudios spätestens seit Beginn der Corona-Krise damit befassen. Viele gehen dabei ähnliche Wege wie das FFW der TU Dortmund und bieten für die Mitglieder Fitnesskurse über Videochats zum Mitmachen an.
Der deutsche Fitnessstudio-Marktführer McFit, mit europaweit fast 1,3 Millionen Mitgliedern, ist sogar noch weiter gegangen. Er hat 2018 bereits die Sportapp „Cyberobics“ entwickelt, die Sportkurse, Ernährungs- und Trainingspläne für zahlende Mitglieder bietet. Die App soll das Fitnessstudio nicht ablösen, sondern „noch mehr Variation in das bisherige Training bringen.“ Für Premium-McFit-Mitglieder ist die App kostenlos, andere müssen ein extra Abonnement abschließen. Das Interesse war während des Corona-Lockdown sehr groß, zumal das Unternehmen das Angebot in dieser Zeit kostenlos bereitstellte. Zusätzlich zu Cyberobics hat das Fitness-Imperium in der Coronakrise noch den TV-Sender „The Big Pump“ gegründet. „Wir haben innerhalb von fünf Tagen einen Sender auf die Beine gestellt, der täglich zehn Stunden Livestream gesendet hat. Mit teilweise einer Million Zuschauern“, sagte McFit-Gründer Rainer Schaller im Podcast „Die Stunde Null“. Auf dem Sender liefen neben Workouts zum Mitmachen auch Beiträge zu Gesundheit und Ernährung.
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Der Hype um Fitnessstudios ist in Deutschland ungebrochen
Gerade in der Zeit des Corona-Lockdown spielten digitale Angebote der Fitnessstudios eine wichtige Rolle. „Mit dem größtenteils kostenlosen, digitalen Angebot versuchten die Ketten, die Mitgliedsbeiträge auch weiterhin zu rechtfertigen“, so Sportökonomie-Professor Daumann. Dadurch wäre die Fitnessbranche in Deutschland noch, verglichen mit anderen, glimpflich durch die Corona-Krise gekommen. Sie werde sich wieder erholen, ist sich Daumann sicher. Die Liquidität war durch die Monatsbeiträge weitestgehend gesichert, der Lockdown habe nicht so lange angehalten und die Nachfrage nach Fitnessstudios sei weiterhin ungebrochen. Zahlen des DSSV, dem Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen, zufolge gab es 2019 fast 10.000 Fitnessstudios in Deutschland mit insgesamt 11,7 Millionen angemeldeten Mitgliedern und einem Gesamtumsatz von mehr als 5,5 Milliarden Euro.
Wie geht es nun weiter? Zurück zum klassischen Training ohne digitales Angebot? „Wir haben gelernt, dass Fitness nicht mehr nur im Studio stattfindet, sondern auch zuhause“, sagt Rainer Schaller im Podcast. Mit der Digitalisierung beschäftige sich die Branche schon seit Jahren. Er hat vor, die digitalen Angebote beizubehalten und zukünftig vielleicht sogar auszubauen. Auch die Fitnessstudio-Kette „FitX“ aus Essen bleibt vorerst digital. „Wir werden unseren Mitgliedern vorerst weiterhin unsere Onlineworkouts zur Verfügung stellen, da wir viel positives Feedback erhalten haben. Viele nutzen die zeitliche Flexibilität und trainieren in den eigenen vier Wänden. Das ersetzt natürlich trotzdem keinen Livekurs in unseren Studios”, heißt es auf Anfrage.
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Das digitale Angebot wird das Studiogeschäft aber nicht ablösen, meint Frank Daumann. Das liege vor allem am Klientel. „Wer ins Studio geht, braucht den sozialen Kontakt. Dadurch entsteht die Motivation, sich zu verbessern“, sagt Daumann. Deshalb bleibe das Studiogeschäft auch in Zukunft der Hauptteil der Branche. Menschen, die lieber allein für sich trainieren, müssen viel Selbstdisziplin aufbringen. Wer das auf Dauer schaffe, könne genauso gut die kostenlosen Angebote der unzähligen Fitness-Influencer*innen nutzen. Er geht deshalb davon aus, dass die Fitnessstudios die digitalen Angebote aus der „Corona-Zeit“ nach und nach wieder reduzieren. Ganz verschwinden werden sie jedoch wahrscheinlich nicht.
“Lieber gar nicht, als unprofessionell!“
Auch Sportvereine versuchen, seit dem Beginn der Corona-Krise über YouTube und soziale Netzwerke vor allem die jungen Mitglieder zu beschäftigen. Nebenbei machen sie dadurch auch Werbung in eigener Sache. Der Basketball-Klub Alba Berlin hat das Potential eines Onlineauftritts früh erkannt. Mit dem Beginn der Pandemie und der Schließung vieler Sportanlagen und Schulen, haben die Berliner die „digitale Sportstunde“ ins Leben gerufen. Die hat nichts speziell mit Basketball zu tun. Spieler und Trainer des Profiteams zeigen in der eigenen Mannschaftskabine Sportübungen und -spiele, die Kinder zuhause am Bildschirm nachmachen können. Die Aktion wurde schnell bundesweit bekannt. Die Videos der „digitalen Sportstunde“ auf dem eigenen YouTube-Kanal werden teils 20.000 Mal geklickt. Dazu hatte der Kanal Ende Mai etwa 100.000 Abonnent*innen, etwa 20.000 mehr als vor Corona.
Für Vereine habe ein digitales Sportangebot einen nachhaltigen Mehrwert. „Es ist eine große Chance, seine Reichweite und damit die Bekanntheit und das Image zu stärken“, sagt Daumann. Bei kleinen, lokalen Vereinen werde ein digitaler Auftritt kaum zu stemmen sein – personell und finanziell. „Dann ist die Frage, ob man sich damit einen Gefallen tut. Kleine Vereine werden damit auch nur direkte Beteiligte ansprechen und kaum eine größere Reichweite bekommen, wenn sie nicht professionell und eben innovativ sein können“, sagt Daumann und rät deshalb: „Eher sein lassen, bevor es unprofessionell wird.“
Die Nische der Influencer*innen
Egal, wie sich Vereine oder Fitnessstudios bemühen: Die Gewinner*innen der Krise sind ohnehin die Influencer*innen. Neulinge haben es allerdings schwer, sich in der Szene zu etablieren. Unter all den Fitness-Influencer*innen werden die Marktführenden, also Pamela Reif und Co. wahrscheinlich am meisten profitieren. „Es gibt eben auch Branchen, denen die Corona-Krise gut getan hat“, sagt Daumann.
Ist „digitales Workout“ wirklich eine Alternative?
Mittlerweile ist auch bei den TU-Studierenden der 40-minütige Fitnesskurs über Zoom kurz vor dem Ende. Sogar der durchtrainierte Kevin Pecnik schwitzt ein wenig, als er die abschließenden Dehnübungen vormacht. Er wird diese Kurse weiterhin über Zoom und Instagram-Live aus seinem in andere Wohnzimmer geben. Das FFW ist zwar seit Anfang Juni geöffnet, wenn auch nur unter strengen Hygieneauflagen. „Wir werden das Onlineangebot aber auf jeden Fall beibehalten, wenn auch nur in abgespeckter Form “, erklärt er.
Fotoquellen: Nika Layeghi, Arlene Knipper