Wegen der Corona-Pandemie blieben die Hörsäle in diesem Semester leer. Das Online-Semester verbrachten die meisten Studierenden zu Hause. Aber wo ist das eigentlich? KURT-Autorin Sophia Eickholt glaubt, dass dieses besondere Semester es ihr verraten hat. Ein Essay.
Studieren konnte ich dieses Semester quasi überall. Hier in Dortmund, bei meinen Eltern, oder theoretisch an jedem Ort, an dem das Internet einigermaßen funktioniert. Ich bin in Dortmund geblieben, aber ich kenne auch Studierende, die sich anders entschieden haben.
Sie haben ihre Sachen gepackt und sind zurück in die Heimat gezogen. Sie hatten keine Lust, das Semester allein in einer leeren WG-Zimmern zu verbringen, denn ihre Mitbewohnerinnen und Mitbewohner oder Freundinnen und Freunde hatten oft der Studienstadt den Rücken zugekehrt.
Bei manchen war die Entscheidung eher pragmatisch: Jemand aus ihrer Familie gehörte zur Risikogruppe. Sie konnten deswegen nicht in der Studienstadt Zeit mit Freunden verbringen und dann am Wochenende die Familie besuchen. Sie mussten sich entscheiden.
Garten der Eltern vs. WG-Balkon
Dann sind da ja noch die Erstis: Für sie stellte sich der verheißungsvolle Neuanfang vermutlich als ziemlich ernüchternd heraus. Statt von der Kneipen-Tour in der O-Woche kannten sie die anderen Studierenden erstmal nur aus Whatsapp-Gruppen und den Hörsaal haben die meisten wahrscheinlich noch nie von innen gesehen. Da lohnt es sich kaum in eine neue Stadt zu ziehen, um dort alleine in der neuen Wohnung die Vorlesungen und Seminare vor dem Laptop zu verfolgen. Zugegeben ist es auch abgesehen davon eine nachvollziehbare Entscheidung: Wenn man schon die ganze Zeit zu Hause verbringen muss, kann es im elterlichen Garten doch schöner sein als in der WG, die höchstens einen kleinen Balkon hat.
Natürlich mussten nicht alle Studierenden sich entscheiden, wo sie dieses Semester verbringen wollen. Nicht alle können oder wollen bei ihren Eltern wohnen. Sie leben schon ewig in ihrer Studienstadt oder haben vielleicht auch schon immer dort gelebt. Ihre Studienstadt ist gleichzeitig ihre Heimatstadt.
Wohntypen: Pendler, Wochenend-Pendler oder Zugezogene?
Ich glaube außer ihnen gibt es, wenn man die Wohnsituation betrachtet, im Wesentlichen drei Gruppen von Studierenden: Da sind diejenigen, die das Studium hauptsächlich als notwendige Ausbildung für den Job betrachten. Sie sind froh, wenn sie sich mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen während der Gruppenarbeit gut verstehen und ab und an nach einer bestandenen Klausur mal ein Bier mit ihnen trinken gehen. Sie ziehen für ihr Studium nicht um, sondern pendeln zur Uni.
Die zweite Gruppe, das sind die Wochenend-Pendler. Sie sind in die Studienstadt gezogen, weil die Heimat zu weit weg ist, um jeden Morgen mit dem Zug zur Uni zu fahren. Aber auch, weil so ein WG-Leben oder Karaoke-Abende im Wohnheim ja eigentlich ganz cool sind. Trotzdem packen sie fast jeden Freitag ihre kleinen Koffer und verbringen das Wochenende in der Heimat.
Die dritte Gruppe, das sind die Studierenden, die sich zu Beginn oder im Laufe ihres Studiums in der neuen Stadt niedergelassen haben. Sie bleiben auch am Wochenende, denn sie verbindet offensichtlich mehr mit der Stadt als nur die Uni.
Was hält uns noch hier ?
Zu dieser Gruppe gehöre auch ich. Aber was ist es, was uns jetzt noch hier hält, wenn wir genauso gut wieder mal länger bei den Eltern wohnen und alte Freunde wiedersehen könnten?
In meinem Fall ist das ziemlich einfach zu beantworten: Meine Freunde hier, meine Mitbewohnerin und auch die Tatsache, dass ich nicht ein Semester lang Miete für eine leerstehende Wohnung zahlen möchte. Aber da ist noch mehr: Es ist das Gefühl, dass ich hier hingehöre, dass mein Leben gerade hier stattfindet und nirgendwo anders.
Aber bin ich deswegen jetzt eine echte Dortmunderin? Laut meines Personalausweises schon, aber gehört nicht mehr dazu? Nach über einem Jahr fühle ich mich manchmal immer noch, als wäre ich nur zu Besuch in dieser Stadt, als würde ich in einer studentischen Parallelwelt leben. Denn die meisten meiner Freunde sind, so wie ich, zugezogen. Ich kenne kaum „Ur-Dortmunder“.
Aber ab wann ist man eigentlich zu Hause in einer Stadt? Sobald man mehr Ecken kennt als den Campus und die drei Kneipen, die man in der O-Woche besucht hat? Sobald man ohne Bahn-App weiß, welche U-Bahn man nehmen muss? Oder eben erst, wenn man ein paar Jahre in einer Stadt gelebt hat oder womöglich sogar dort geboren ist?
Studierende – Nur Besucher auf Zeit?
Das würde heißen, dass die meisten Studierenden immer nur Besucher auf Zeit bleiben. Wer den Bachelor in Regelstudienzeit macht, der verlässt die Stadt möglicherweise schon nach drei Jahren für einen Master oder einen Job in einer anderen Stadt.
Das Studium ist also ein ziemlich kurzer Lebensabschnitt, vor allem gemessen an den neuen Erfahrungen, die man in dieser Zeit sammelt. Von zu Hause ausziehen, in einer fremden Stadt neue Freunde finden, die eigenen Grenzen austesten und mehr oder weniger auf eigenen Beinen stehen. Obwohl all diese Erfahrungen nicht direkt etwas mit dem Studium zu tun haben, gehören sie für viele, so wie auch für mich, dazu. Vermutlich werde ich mich später eher an meine erste WG-Party erinnern als an die Tage und Nächte, die ich mir beim Lernen um die Ohren geschlagen habe.
Vielleicht ist es auch ein bisschen die Angst, etwas von diesen Erfahrungen zu verpassen, die mich hier hält. Und das obwohl ich in diesem Semester auf keiner WG-Party war und viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen kaum gesehen habe. Dafür habe ich neue Orte entdeckt und mittlerweile brauche ich kein Navi mehr, wenn ich nachts nach Hause laufe.
Die Entdeckung der eigenen Wohnung
Durch Corona wurde das Studieren auf das Wesentliche reduziert: Vorlesungen, Seminare, Hausarbeiten, Klausuren. Es war ein ganz anderes Semester: Park statt Club, Selbstgekochtes statt Mensaessen, Jogginghose statt Jeans und vor allem: Eigener Schreibtisch statt Hörsaal. Vermutlich werde ich im Schnitt nie wieder so viel Zeit in meiner Wohnung verbringen, wie in diesem Semester und das obwohl Sommer ist.
Nun ist das Semester vorbei und ich bin immer noch hier. Vermutlich, weil ich mich hier zu Hause fühle, also zumindest vorerst, bis zu meinem Bachelor.
Beitragsbild: Sophia Eickholt