Mit gesenktem Kopf und hochgebundenen Haaren läuft Jane durch die Uni. Sie versucht, möglichst männlich zu wirken. Denn an der TU Dortmund gilt sie als Mann, obwohl sie sich damit nicht identifiziert. Jane ist transgender. Das stellt sie im Studium vor einige Hürden.
Wenn Jane sich ins Uni-System der TU Dortmund einloggt, fühlt sich das falsch an. Sie beschreibt es als einen ”Argh-Verdammt-Moment“. Noten einsehen, Updates erhalten, Kurse belegen – all das tut sie nicht als Jane, sondern unter ihrem Deadname. Dem Namen, den ihre Eltern ihr vor 23 Jahren gegeben haben und der nicht zu ihrer Identität passt. Deshalb möchte sie ihn hier nicht nennen. Wenn Jane sich hingegen bei Instagram einloggt, fühlt sich das richtig an. Dort, in ihrem kurzem Streckbrief, steht eine Beschreibung, mit der sich die Studentin identifiziert: ”Jane Kaiser. 23 years old trans girl from Germany“.
Dass sie transgender ist und ihr Geschlecht nicht mit dem übereinstimmt, welches ihr nach der Geburt zugewiesen wurde, betont die junge Frau auf Social Media bewusst.
So könne jede*r selbst entscheiden, wie sie*er damit umgeht. Das Internet wird so zu Janes safe space, dem Ort, an dem sie so sein kann, wie sie ist. An der Dortmunder Uni ist Jane offiziell nicht Jane. Bei der Anmeldung im vergangenen Jahr gab sie den für sie falschen Namen und das für sie falsche Geschlecht an. Denn so steht es in ihrem Pass. Die Konfrontation mit ihrem Deadname bleibt deswegen nicht aus. Und die führt zu Unwohlsein oder Diskriminierung. Es sind Schwierigkeiten, die für cis-Menschen meist nicht sichtbar sind. Bei ihnen passt das Geschlecht zur Identität.
Offiziell gibt es keine Angabe zur Zahl der Trans*studierenden in Deutschland. Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität von 2018 sind etwa 3,3 Prozent der Bevölkerung inter*-, trans*geschlechtlich und/oder identifizieren sich weder männlich noch weiblich. Bei aktuell 34.300 Studierenden an der TU Dortmund gäbe es demnach 1130, die sich nicht mit ihrem zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Diese Rechnung muss nicht der Realität entsprechen. Es könnten weniger Trans*studierende sein oder mehr.
Der falsche Name im System
Anders als im Internet hat Jane sich an der Universität noch nicht als Transfrau geoutet. Angst vor den direkten Reaktionen spielt für die Studentin dabei eine große Rolle. Denn sie entspricht nicht dem standardisierten Frauenbild. Medizinische Schritte hat sie in ihrer Transition noch nicht gewagt und weiß auch nicht, ob sie das tun wird. Persönlich ist ihr das nicht so wichtig. Gleichzeitig möchte Jane von der Gesellschaft als Frau gesehen werden: ”Wenn ich mit tiefer Stimme, ohne Busen und mit Bartstoppeln als Frau gesehen werden könnte, von allen, von jedem, würde ich vielleicht nichts ändern.“ Auch daher rührt ihre Angst, sich an der Uni zu outen. Sie befürchtet, eine Art Frau spielen zu müssen, die sie nicht ist. „Ich bin gerne Frau in T-Shirt und Jeans, aber für manche ist das nicht weiblich genug“, sagt die 23-Jährige.
Dass sie ein Mädchen ist, fand Jane beim Chat eines Videospiels raus. Dort gab sie mit 13 Jahren aus Spaß an, dass sie weiblich sei. Aus einem vermeintlichen Witz wurde schnell ihre Realität: „Ich habe in dem Spiel die Fassade des Mädchens aufbehalten, bis mir irgendwann aufgefallen ist, dass das Frausein viel besser zu mir passt.“ Von der Gesellschaft als Mann gesehen zu werden, sei für sie wie in einem aufgezwungenen Kostüm zu leben. Als sie nach einiger Zeit zum ersten Mal den Begriff ”transgender“ hörte, wusste sie: ”Damit kann ich mich identifizieren.“
Um an der TU Dortmund offiziell eine Frau zu sein, müsste Jane ihren Namen ändern lassen. Für den Uniausweis und das Unisystem. Diesen Schritt hat sie noch nicht gewagt. Ein Gespräch mit Ute Zimmermann, Leiterin der Stabstelle Chancengleichheit, Familie und Vielfalt an der TU Dortmund, schafft Aufklärung. Menschen können den Vornamen problemlos ändern, erklärt sie. ”Eine Mail an mich reicht, ich leite die Bitte an das Dezernat Studierendenservice weiter, das in Kooperation mit dem ITMC den Vornamen innerhalb von maximal zehn Tagen ändern kann.“ Im Anschluss daran könnten alle Dokumente neu ausgestellt werden und der neue Name sei im System gespeichert. Einen Hinweis auf den Internetseiten der TU Dortmund, der erklärt, wie die Namensänderung für Trans*menschen abläuft, gibt es jedoch nicht. Ob Jane ihren Namen im System bald ändern wird, weiß sie noch nicht. Ihre Angst, nicht akzeptiert zu werden, bleibt weiterhin. Sie hat sich bisher in zwei Kursen geoutet. Dort hat sie sich wohl gefühlt. Über einen dieser Kurse hat sie den Text ”Head Down, Hair Up“ geschrieben. Ihr offener Umgang mit dem Transsein war dort für die Lehrkräfte und Kommiliton*innen kein Problem.
Das Problem mit dem Toilettengang
Ein weiteres Hindernis für Trans*studierende sind die Toilettengänge. Da Jane für die meisten Menschen äußerlich männlich wirkt, geht die Studentin an der TU Dortmund auf die Männer-Toilette. Sie persönlich kann damit gut umgehen. Sie erzählt aber auch von einem Gefühl der Euphorie, wenn sie bei den LGBT*+-Demonstrationen am Christopher Street Day auf die geschlechtsneutrale Toilette geht. „Dort werde ich nicht daran erinnert, wer ich bin oder eher, was ich für die Gesellschaft bin.“ Jane weiß von ihren Freund*innen, dass der Toilettengang bei anderen Trans*studierenden mentale oder physische Belastung auslösen kann. Entweder, weil sie auf die Toilette für das nach der Geburt festgelegte Geschlecht gehen oder weil sie in der anderen komisch angeschaut werden.
Um den Gang auf das WC für Trans*studierende angenehmer zu gestalten, gibt es an der TU Dortmund das „I’ll go with you“-System vom Asta. Hierbei werden Trans*menschen begleitet, sodass sie sich vor Ort sicher fühlen. Geschlechtsneutrale Toiletten, die eine weitere Lösung für das Problem sein könnten, gibt es jedoch kaum. Auf dem Campus finden Trans*studierende nur im EF50-Gebäude ein WC, das jede*r benutzen kann. Ute Zimmermann begründet dies mit Einschränkungen durch die aktuelle Arbeitsstättenverordnung. Nach den Vorgaben muss es an der Universität eine bestimmte Anzahl an Männer- und Frauentoiletten geben. Menschen, die nicht dieser binären Aufteilung entsprechen, werden nicht berücksichtigt.
Bei Neubauten auf dem Campus wird anders geplant, erklärt Zimmermann. Dort können zusätzlich zu den Männer- und Frauen-Toiletten auch WCs gebaut werden, die beispielsweise mit der Bezeichnung divers gekennzeichnet sind. ”Auch Mehrfach-Toiletten werden dann so konstruiert, dass mensch nicht an Urinalen vorbeigehen muss, um zu den Kabinen zu kommen. Dann können wir die Toiletten eventuell auch ’entlabeln‘.“ Bis dies genehmigt ist, bezeichnet die TU Dortmund die bereits jetzt bestehenden Einzeltoiletten als ”Stehtoilette/Sitztoilette/Urinal“. Eine Universität in Deutschland zu finden, die in dieser Problematik weiter fortgeschritten ist, ist aufwendig. Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder zeigt, dass es möglich ist. Dort gibt es geschlechtsneutrale Toiletten. In sieben Gebäuden wurden 2019 zusätzlich zu den Männer- und Frauen-WCs Unisextoiletten eingeführt.
Baustelle Sport-Umkleide
Eine ähnliche Problematik findet sich im Hochschulsport, da auch die Umkleiden im Sportgebäude der TU Dortmund binär getrennt sind. Jane selbst nimmt das Angebot des Hochschulsports nicht wahr, meint aber, dass es vermutlich mehr mit ihr als Person zu tun habe als mit dem trans*-Sein: ”Ich bin nicht die sportlichste Person, aber Umkleide-Kabinen waren schon immer in der Schule etwas Unangenehmes und vielleicht auch ein Grund, warum Sport in meinem heutigen Leben für mich keine hohe Priorität hat.“
Eine Lösung wäre wie bei den Toiletten die genderneutrale Variante. Es birgt jedoch die Gefahr, dass Trans*menschen diskriminiert werden oder sich zwanghaft outen müssen. Diese Ansicht teilt auch Ute Zimmermann. ”Ob eine Kabine für alle akzeptiert würde, bezweifle ich und sie ist auch wegen der Arbeitsstättenverordnung nicht möglich“. Um diese zu umgehen, müssten Einzelkabinen gebaut werden.
Einen anderen Weg, den Hochschulsport inklusiv zu gestalten, hat die Georg-August-Universität in Göttingen eingeschlagen. Dort gibt es das Angebot ”Schwimmen für trans* inter* & friends“. Alle Teilnehmer*innen können ”mit ihrem jeweiligen Körper, in ihrer bevorzugten Schwimmkleidung teilnehmen“. Die Umkleideräume sind zu der Zeit nur für das Angebot geöffnet, heißt es in einem Flyer der Uni. Außerdem verpflichten sich alle Schwimmer*innen „mit der Teilnahme freiwillig dazu, die Körper der Mitschwimmer*innen oder deren Badebekleidung nicht zu mustern, anzustarren oder zu kommentieren“. Jane könnte sich vorstellen, bei diesem Angebot mitzumachen. ”Ich bin schon seit Jahren nicht mehr Schwimmen gegangen, weil ich mit meinem eigenen Körper so nicht zufrieden bin und ich mich in Schwimmbädern nicht wohlfühle. Denn da kann jede*r alles sehen.“
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Inklusion erfolgt auch durch Änderungen in der Sprache. Durch ein kleines Sternchen werden beispielsweise die Menschen angesprochen, die sich sonst ausgeschlossen fühlen. Und indem genderneutrale Begriffe wie Studierende oder Lehrkräfte benutzt werden, sind alle miteinbezogen. ”Mensch weiß nie, wer hinten im Klassenraum oder in einer Vorlesung sitzt und sollte deshalb immer versuchen, so inklusiv wie möglich zu sein“, sagt Jane.
An der TU Dortmund werden laut Ute Zimmermann Ausschreibungen und Texte auf der Uni-Homepage in gendergerechter Sprache formuliert. Hinzu kommen weitere Angebote der Universität, die zur Aufklärung beitragen. In den Räumen des Anglistik-Instituts im EF50-Gebäude hängen beispielsweise Plakate, die gendergerechte Sprache aufzeigen. Zusätzlich gibt es Kurse, in denen über die LGBT*+-Community aufgeklärt wird. Auch Jane hat ein solches Seminar belegt, das für sie schnell zu einem safe space wurde. ”Dorthin zu gehen und offen mit mir selbst zu sein, war immer ein Highlight der Woche für mich.“ Doch dieses Angebot beschränkt sich auf die Studierenden des Anglistik- und Amerikanistik-Instituts.
Warum ist es frauenfeindlich einen Begriff zu wählen, der Frauen & alle Anderen mit Uterus anspricht?
Ist dann Studierende auch frauenfeindlich, weil es alle anspricht die studieren?
Es nicht zu tun, ist trans-, inter- und enby-feindlich, weil diese ausgeschlossen werden.
— No-ra – For the honor of Stonewall (@Nora_Activista) September 3, 2020
An anderen Unis in Deutschland wird Aufklärung schon auf der Homepage betrieben. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat eine Informationsseite zum Thema ”Trans* an der Universität“ erstellt, auf der Infos für Trans*menschen zum Studium stehen. Die Göttinger Universität erklärt zusätzlich verschiedene Begriffe zu dem Thema auf der Website. Bei der TU Dortmund sind solche Informationen nicht auf den ersten Klick zu finden. Wer den Suchbegriff ”trans*“ eingibt, erhält kein Ergebnis. Stattdessen müssen Studierende die Stabstelle Chancengleichheit, Familie und Vielfalt anschreiben, um an Informationen zu gelangen.
Laut Ute Zimmermann stehe das Thema trans* auf der Agenda der TU Dortmund. Andere Universitäten könnten dabei als Vorbilder dienen. Auch wenn der Wandel langsam vorangeht: Für Jane und andere Trans*studierende ist jede kleine Änderung eine Möglichkeit, sich im Studium und an der Universität endlich richtig wohl zu fühlen.
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