In 53 Videos haben Schauspieler*innen die Coronamaßnahmen in Deutschland kritisiert. Zynisch und undifferenziert. Der Promifaktor hat der Aktion #allesdichtmachen viel Aufmerksamkeit gebracht. Die wäre an anderer Stelle besser eingesetzt gewesen. Ein Kommentar.
Bevölkerung, Medien und Opposition: Aus allen Richtungen kommt Kritik an den Corona-Maßnahmen. Ausgangssperren gehen den einen zu weit – und anderen nicht weit genug. Zunächst sollte das Krankenhauspersonal geimpft werden, sagen die einen – zunächst sollten Alte und Kranke geimpft werden, sagen die anderen. Und solche Kritik ist wichtig, denn nur so kann sich eine Debatte weiterentwickeln. Aber nur, solange die Kritik konstruktiv bleibt.
Was nicht hilft: zynisch destruktive Kritik wie #allesdichtmachen und die andauernde Reproduktion solcher Kritik. Und genau das ist geschehen. Nachdem die Videos zunächst überwiegend in sozialen Netzwerken diskutiert wurden, haben sie nicht zuletzt durch Tatort-Schauspieler Jan Josef Liefers ihren Weg in sämtliche Talkshows und somit auch ins letzte deutsche Wohnzimmer gefunden.
Fehlgeleitete Aufmerksamkeit
So haben vor allem die Initiatoren bekommen, was sie wollten: Aufmerksamkeit. Besonders in diesen Talkshows ging es dann auch nur um die Meinung der Teilnehmer*innen und darum, ob die Aktion als solche richtig und vertretbar war. Zwar mögen dies interessante und auch wichtige Fragen sein, aber den Diskurs bringt das letztlich nicht weiter.
Die Aufmerksamkeit hätte stattdessen umgelenkt werden können: Auf die Sorgen und Nöte von Menschen, die durch den Lockdown unter psychischen Problemen leiden oder um ihre Existenz bangen müssen. Und auf die Suche nach möglichen Lösungen für diese Probleme — auf welche die Aktion laut Liefers nicht zuletzt aufmerksam machen wollte. Doch wo waren die Betroffenen? Diejenigen, die unter den Maßnahmen leiden? Und wo waren die Wissenschaftler*innen, die fundierte Lösungen anbieten?
Was bringt es der Gesellschaft also, wenn immer wieder inhaltsleerer Kritik eine Bühne geboten wird? Nichts. Jedenfalls solange nicht, bis der Diskurs nicht auf eine konstruktive Ebene gehoben wird. Viel zu schnell befindet man sich in einem emotionalen Konflikt, in dem sich beide Seiten im Selbstverteidigungsmodus befinden. Unterschiede erscheinen immer unüberbrückbarer und die eigentlichen Probleme bleiben ungelöst.
Mehr Selbstreflexion, mehr Empathie
Ein konstruktiver Diskurs bräuchte stattdessen ein großes Maß an Selbstreflexion und Empathie aller Beteiligten. Das soll heißen: Auch wer keine Lösungsansätze zu einem Problem hat, darf seine Meinung zu den Ansätzen anderer äußern und sollte dies auch ausdrücklich tun. Dann sollte aber auch die Einsicht des eigenen Unwissens folgen: “Ich sehe hier ein Problem, habe zurzeit aber selber noch keine bessere Lösung.” Diese Aussage ist nicht schwer zu tätigen, bereichert einen Diskurs aber ungemein. Sie zeigt nicht nur mit dem Finger auf das Problem, sondern signalisiert auch die Bereitschaft zur gemeinsamen Problemlösung — ohne Vorwürfe, ohne pure Provokation. Das muss natürlich auch erst einmal gewollt sein. Im Fall von #allesdichtmachen bleibt dies weitestgehend offen: Eine Anschlusskommunikation fand hier bislang nur bei wenigen Teilnehmer*innen statt und auch eine einheitliche Stellungnahme möchte die Initiative bislang nicht abgeben. Solches Verhalten ist nicht konstruktiv. Da muss sich dann auch keiner wundern, wenn einfach #alledichtmachen.
Teaser- und Beitragsbild: Wiebke Johanna Jung